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Meine Eltern, ihre Midlife-Crisis und ich

Von Delia Friess

Steffi war Anfang 20, gerade von zuhause ausgezogen und eigentlich gerade selbst auf Selbstfindungstrip. Da überraschte sie aus dem Hinterhalt: die Midlife-Crisis. Nicht ihre eigene – die ihrer Eltern. Steffis Mutter, gerade 50, reiste nach Ghana, um dort armen Waisenkindern zu helfen. Zurück in Deutschland ging der Selbstfindungstrip der Mutter weiter.

 

Das Gefühl, etwas verpasst zu haben?

Junge(r) Geliebte(r), schnelles Auto, Weltreise: Es gibt viele Klischees über die Midlife-Crisis. Leider beobachteten Steffi und Clara auch einige an ihren Eltern. Mittlerweile wird die 25-jährige nicht mehr sauer, wenn ihre Mutter von ihrem neuen Typen erzählt, der gerade mal so um die 30 ist. Ist ja auch mehr als gerecht: Schließlich sagt bei älteren Männern mit jüngeren Frauen niemand was. Auch der Vater von Clara hatte seine Midlife-Crisis: Er trennte sich von seiner Frau und bändelte mit Mitte 50 mit einer 28-jährigen an. Die Mutter von Hanna tauchte als Antwort mit einem Arschgeweih auf. Und es wurden noch sehr viel mehr Tattoos.

 

Aber woher stammt dieses Gefühl eigentlich, etwas im Leben verpasst zu haben? Und was kann man daraus für Lehren für sein eigenes Leben ziehen? Laut Forschung gibt es die Midlife-Crisis wirklich. Im Netzwerk für Alterforschung in Heidelberg forschen Experten über das Erleben des Alterns. Auf der einen Seite gibt es die erwiesenen biologischen und hormonellen Veränderungen des Körpers: bei Männern die Abnahme der Testosteronproduktion und bei Frauen die Wechseljahre. Während der Krise in der Mitte des Lebens werden häufig Lebensentwürfe hinterfragt: Das Leben, das in eingefahrenen Bahnen fährt.

 

Oft seien Ziele wie Erfolg im Beruf, Familie und Kinder bereits erreicht und die Frage komme auf: War das alles? Oder: Das Gefühl, zurückgesteckt zu haben, wird stärker. Aus dieser Perspektive kann Steffi ihre Mutter sogar verstehen: Sie hatte früh die Verantwortung für mehrere Kinder und konnte nicht einfach ihr eigenes Ding machen. Gleichzeitig erlebte sie das Alter und den Tod der eigenen Eltern. Vielleicht muss man dann auf einen Schlag alles nachholen, denkt Steffi. Übrigens: Auch Orang-Utans und Schimpansen erleben Formen der Midlife-Crisis. Das berichteten Wissenschaftler im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ nach einer groß angelegten internationalen Studie.

 

Was hat das alles mit Feminismus zu tun?

Anfangs konnten Steffi, Clara und Hanna mit dem Verhalten meiner Eltern gar nicht umgehen: Ist eine Jugend nicht genug? Gönnen ihnen die Eltern ihre Jugend nicht oder ist es ihre Art, doch irgendwie die Kontrolle über die Kinder zu behalten und sich in alles einzumischen? Vielleicht ist die Midlife-Crisis von Müttern auch auf die Geschlechterverhältnisse in Deutschland zurückzuführen: Wir sind die Generation von Frauen, die viele Möglichkeiten haben, ihr Leben selbst zu gestalten. Während wir studieren, alleine reisen, Auslandsaufenthalte verbringen und unser eigenes Geld verdienen, sagte man früher noch zu Frauen: „Warum willst du studieren? Mädchen heiraten ja sowieso!“ Nur sehr wenige Frauen hatten die Möglichkeit, das zu machen, was sie wollten, studierten oder wurden selbstständig.

 

Meine Mutter hat mich immer ermutigt, mein eigenes Leben zu leben und eigenständig zu werden. Auch bei vielen Freundinnen war das so. Wenn wir das gemeinsam diskutieren, stellen wir fest, dass unsere Mütter ein bisschen geschockt über das Ergebnis sind: „Wann kommst du denn endlich mal wieder nach Hause!“ oder „Kannst du dir nicht irgendwo hier einen Job suchen“, hören wir oft. Als wäre Selbstständigkeit zwar okay, aber zu viel Autonomie ist dann doch gewöhnungsbedürftig.

 

„Wenn ich etwas durch die Midlife-Crisis meiner Eltern gelernt habe, dann wohl das: nichts auf die lange Bank schieben.“, sagt Steffi. Und: „Bei Lebenswünschen keine faulen Kompromisse einzugehen und mein Leben möglichst so zu leben, wie ich es will.“ Als role model schlug Steffis Mutter ihrer Tochter übrigens schon als Kind Madonna vor. Vielleicht ist das Verhalten vieler Frauen auch eine sehr feministische Art mit der Lebensmitte umzugehen. Einfach auszuprobieren, was man noch vom Leben will und sich keine gesellschaftliche Schranken mehr setzen zu lassen – die vorher vielleicht vorhanden waren. Auch Eltern sind nicht nur Eltern und ihnen stehen ein eigenes Leben und eigene Erfahrungen zu.

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Bildquelle: Sebastien Hamel unter cc0 1.0