Das Pretty Privilege: Der Vorteil der Schönen

Wer vom Pretty Privilege profitiert, genießt oft einen Vorteil im Leben. Aber was hat es mit dem Begriff auf sich?

Meine Schulzeit war schwarz-weiß. Es gab „die Coolen“ und „die Uncoolen“, es gab „die Hübschen“ und „die Hässlichen“ und es gab einen Jahrgangsstufenraum, der durch eine Sofareihe in zwei Hälften unterteilt war. Die Seiten haben sich niemals vermischt, es galt ein strenges Regime. Schon in der fünften Klasse warfen vor allem die Jungs mit Sätzen wie „Du hässliche Hackfresse“ um sich. Leider blieb das keine Phase, bis in die Oberstufe war ihr Bewertungsmaßstab die Optik. Mit Mädchen, die ihrer Meinung nach nicht hübsch genug waren, sprachen sie meistens gar nicht erst. War man schlank und hatte große Brüste, hatte man gewonnen und stand oben in der Hierarchie – ohne etwas dafür getan zu haben.

„Survival of the Prettiest“

Pretty Privilege nennt man dieses Phänomen. Es beschreibt die Vorteile, die Menschen aufgrund ihrer Attraktivität haben – bewusst oder unbewusst. Dass die Frage nach Schönheit nicht nur eine Antwort hat, sollte uns allen bewusst sein. Trotzdem findet sich in unserer Gesellschaft ein normiertes Schönheitsideal wieder, auf das sich dieses Privileg bezieht. Menschen, die als attraktiv wahrgenommen werden, haben es oft leichter im Leben. Sie bekommen bessere Jobs, höhere Löhne, abends im Club Drinks spendiert. Das stellte der Wirtschaftswissenschaftler Daniel Hamermesh in seinem Buch „Beauty Pays: Why Attractive People Are More Successful“ fest. Mehrere Studien belegen außerdem den Zusammenhang zwischen Aussehen und Erfolg in einem Bewerbungsverfahren. Eine Untersuchung der Wirtschaftspsychologin Kathrin Schütz und Studierenden der Hochschule Fresenius ergab beispielsweise, dass attraktivere Frauen oft als kompetenter eingestuft werden. Auch bei Arztbesuchen wirkt das Pretty Privilege. Nutzer*innen auf TikTok erzählen, dass ihre Symptome nicht ernst genommen worden seien. Ihre Krankheit sei darauf zurückgeführt worden, dass ihr BMI nicht dem des Schönheitsideals entspreche. Die Psychologin Nancy L. Etcoff spricht in Anlehnung an Darwins „Survival of the Fittest“ von „Survival of the Prettiest“. Und das gilt es vor allem vor dem Hintergrund sozialer Ungleichheit kritisch zu bewerten.

Sucht man nach dem Pretty Privilege im Netz, stößt man vor allem auf Videos von Mädchen, die darüber berichten, dass sie abgenommen hätten und seitdem von allen anders behandelt werden. Plötzlich werde überhaupt mit ihnen gesprochen. Auch in unserem Jahrgang gab es einen Jungen, der uns entweder nicht beachtet hat oder sich über uns lustig gemacht hat. In der achten Klasse hat er meine damals noch ungezupften Augenbrauen verspottet oder das Gewicht meiner Freundinnen kommentiert. Ein paar Jahre nach dem Abi hat er uns allen auf Instagram geschrieben, unsere Bilder geliked, auf unsere Storys mit Flammen-Emojis reagiert. Jetzt, mit gezupften Augenbrauen und ein bisschen Kinderspeck weniger, sind wir es wert, dass man sich mit uns beschäftigt?

Aussehen > Kompetenz

Ein Privileg, was objektiv sicherlich nützlich ist. Trotzdem bin ich mir sicher, dass es viele gar nicht haben wollen. Denn wer möchte schon eingestellt werden, nur, weil er als hübsch wahrgenommen wird? Wer möchte einen Vorteil, der die Kompetenz einer Person nicht wertschätzt und berücksichtigt? Manchmal ist das auch ganz schön frustrierend. Für die Arbeit war ich einmal auf einer Gemeinderatsitzung, über die ich berichten sollte. Ich hatte ein rotes Oberteil und eine enge Jeans an. Die anwesenden Männer haben mich angestrahlt, waren überfreundlich, haben mich ein bisschen zu lange angeschaut. Wäre es auch so gewesen, wenn ich etwas anderes getragen hätte, wenn ich ungeschminkt gewesen wäre, wenn ich pinke Haare gehabt hätte, wenn ich 40 Kilo mehr wiegen würde? Vermutlich nicht. Natürlich kann ich das nicht wissen. Was ich aber weiß: Ich möchte, dass man freundlich zu mir ist, weil man in mir eine kompetente Journalistin sieht, nicht, weil ich einem vermeintlichen Schönheitsideal entspreche.

Und was tun wir jetzt dagegen?

Ich glaube, dass es schwierig ist, die bestehenden Strukturen zu verändern. Aber nur, weil es schwierig ist, ist es nicht unmöglich. Wir müssen Diversität und verschiedene Körperbilder sichtbarer machen und uns darüber bewusst werden, dass Schönheitsideale immer gesellschaftlich konstruiert sind. In Bezug auf Bewerbungsverfahren schlägt Kathrin Schütz vor: „In einem ersten Schritt können Unternehmen Onlineplattformen für Bewerbungen einrichten, auf denen es nicht möglich ist, ein Bewerbungsfoto hochzuladen. In einem zweiten Schritt können sie noch vor einem persönlichen Treffen mit den Bewerbern Telefoninterviews führen. Auf diese Weise können sie dafür sorgen, dass sich ihr Bild der Kompetenzen der Bewerber verfestigt, bevor ihre Attraktivität eine Rolle spielen kann. – Denn unabhängig davon, wie professionell und erfahren die Verantwortlichen in einem Unternehmen sind: Schon ein kurzer Blick genügt, um sich vom Aussehen beeinflussen zu lassen.“

Meine Schulzeit war schwarz-weiß. Und jetzt wünsche ich mir ein bisschen mehr Farbe. Denn nur so kann unsere Welt eine gleichberechtigtere werden.

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Bildquelle: Pixabay via Pexels; CC0-Lizenz (Größe verändert)