Radikale Ehrlichkeit? Darum sind Lügen legitim

Ob bei der Arbeit, unter Freund*innen oder sogar in der Beziehung: Um bestimmte Situationen zu entschärfen oder einen besseren Eindruck zu hinterlassen, nehmen wir es mit der Wahrheit nicht immer ganz so genau. Exakt da setzt die „radikale Ehrlichkeit“ an und verspricht uns ein besseres Miteinander durch schonungslos offene Kommunikation. Doch vertragen wir so viel Unverblümtheit überhaupt?

Disclaimer: Der Artikel enthält teils subjektive Standpunkte der Autorin.

Wird man im Vorstellungsgespräch darauf angesprochen, würde sich wohl fast jeder von uns als ehrlichen Menschen beschreiben. Doch liegt hier bereits die erste Lüge? Denn was Ehrlichkeit wirklich bedeutet, ist in vielen Fällen Auslegungssache. Während die einen schon mit sich hadern, bei der Arbeit ein aufrichtiges Feedback zu geben, gehen andere viel weiter. Wer eine radikal ehrliche Einstellung an den Tag legt, sagt seinen Mitmenschen konsequent und geradeheraus, was er von ihnen hält. Angeblich sollen wir dadurch in der Lage sein, die „Lügen-Dynamik“ des Alltags endgültig zu durchbrechen. Aber lebt es sich wirklich leichter, wenn wir eine lästige Verabredung mit der Begründung absagen, einfach überhaupt keinen Bock auf unser Gegenüber zu haben? Oder täte es Omas Geburtstag nicht genauso gut?  

Nichts als die Wahrheit

Der US-amerikanische Psychotherapeut Brad Blaton verspricht ein erfüllteres und glücklicheres Leben durch radikale Ehrlichkeit. Er hält dabei nichts von „oberflächlichen Nettigkeiten“ in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Was zählt, sind die harten Fakten und was man denkt, wird dem Gegenüber am besten sofort mitgeteilt. Obwohl wir Ehrlichkeit im Normalfall als eine positive Eigenschaft beschreiben würden, scheinen hier die Grenzen zur Taktlosigkeit fließend zu verlaufen.