Reisen - Zusammen oder allein?

Reisen – allein oder mit Freunden?

Das Abitur. Die Prüfungen. Die Klausurenzeit an der Uni. Ständig gibt es etwas, das uns nervt und beschäftigt. Wochenlanges Dahinpauken, Stühlerücken, spätes Einschlafen und die Angst vorm Verschlafen. Und dann: Endlich vorbei, endlich Freiheit, endlich Ferien!

Die Zeit nach dem verkrampften Schreiben und hektischen Taschenrechnergetippe soll eine Belohnung sein. Wir wollen und sollen sie gut nutzen. Und nicht selten geschieht es, dass am ersten freien Tag die Koffer oder Backpacks gepackt sind und das Flugticket in der Hand eine Freikarte ins Paradies darstellt. Die Frage ist nur: Lieber allein? Oder doch eher mit den besten Freunden zusammen nach Asien abhauen?

 

Mutter, mit wem soll ich reisen?

 

Neulich in der Bar: Zwei Freundinnen stehen vor mir, beide haben bereits mehrmals ihre sieben Sachen weite Strecken getragen. „Also“, setze ich an, „Reisen. Allein oder mit Freunden?“ Anna (nennen wir sie Anna, weil sie nicht so heißt) antwortet sofort: „Allein! Ist viel besser!“, während (Nicht-) Lea die Gegenseite vertritt. „Warst du schon mal mit Freunden unterwegs?“, fragt sie Anna. Diese schüttelt den Kopf. „Dann kannst du das doch auch gar nicht beurteilen.“

Laut der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) fanden vergangenes Jahr 70,3 Millionen Reisen statt. Davon waren 7,6 Prozent – also circa 5,34 Millionen – Fernreisen. Der Anteil derjenigen, die online buchen, steigt ständig: Am häufigsten bucht man übers Internet, wenn man zwischen 18-30 Jahre alt ist. Bei einer Analyse von 2014 kam heraus, dass von ca. 2 Millionen Reisenden nur 12 Prozent allein verreisen, 69 Prozent gehen zu zweit auf Abenteuersuche und die restlichen Prozent teilen sich auf eine Gruppe ab mehr als zwei Personen auf.

 

Oh, lonesome me

 

Mittlerweile fliegen die Argumente zwischen meinen zwei Freundinnen hin und her.
Anna: „Allein zu reisen fördert deine Selbstständigkeit.“
Lea: „Mit ’nem Freund zu reisen bewahrt dich davor, einsam zu sein.“
Anna: „Du kannst viel besser entscheiden, was du tun willst. Wo du als nächstes hinfahren willst, welche Tour du mitmachen willst – du bist viel unabhängiger, freier.“
Dem stimmen sowohl Lea als auch ich zu.
„Aber“, setzt Lea hinterher, „du kannst nie dein Zeug allein lassen. Du hast niemanden, der auf deinen Rucksack aufpasst, während du aufs Klo musst. Den musst du dann mitnehmen, in jede verdammte winzige Kabine.“
Wieder erfolgt Zustimmung in Form von Kopfnicken, diesmal von Anna und mir.

„Zusammen ist man weniger allein“, lautet der Titel eines Buches über Freundschaft, Liebe und über das Leben. Über die alltäglichen Höhen und Tiefen und wie man das Leben meistern kann, selbst dann, wenn man wieder von ganz von vorn anfangen musst. Zu zweit tut man sich leichter, schlechte Tage und Rückschläge zu überwinden. Allein aber, überlebt man es auch. Vielleicht wächst man sogar noch mehr daran, auf sich selbst gestellt und ohne die Hilfe von Mama und Papa, Geschwistern und Freunden Schwierigkeiten entgegenzutreten und eine Lösung zu finden.

 

Zu viel Smalltalk, zu wenig Seelenverwandte

 

„Ohne Freunde unterwegs zu sein, zwingt dich dazu, neue Leute kennen zu lernen“, argumentiert Anna. „Ja“, stimmt Lea ihr zu, „aber mit Freunden zu reisen bedeutet, dass du im Bus neben dir jemanden sitzen hast, neben dem du auch sitzen willst.“

Mit die größte Angst, die einen beim Alleinreisen vor dem Abflugtag nicht einschlafen lässt, ist die Sorge: Werde ich Leute kennenlernen? Oder wegen fehlender sozialer Kontakte sofort am Ankunftsflughafen wieder umdrehen?

Es sind die typischen, überflüssigen Sorgen, die jeden von uns vor einer Reise quälen: Werde ich Anschluss finden, reicht mein Englisch aus, wie komm ich von A nach B? Und dabei sind es genau die Dinge, um die wir uns am wenigsten kümmern müssen. In einem Hostel geht es gar nicht, dass man alleine bleibt: Im Zimmer, beim Kochen, spätestens bei dem vom Hostel organisierten Partyabend lernt man zwangsläufig die Anderen kennen. Das viel größere Problem kristallisiert sich erst nach ein paar Wochen heraus: Immer wieder dieser lästige Anfangs-Smalltalk, die gleichen Fragen (Woher kommst du? Was machst du? Wo warst du schon überall?) sind anstrengend und dennoch unvermeidbar.

Da ist es gut, wenn man einen Freund an seiner Seite hat, mit dem man auch andere Gespräche führen kann. Bei dem es nicht zwingend ist, erst eine Vertrauensbasis aufzubauen, um über ernstere Themen reden zu können. Das geht zwar mit Fremden auch, aber da muss man auf einer Wellenlänge sein, um bestimmte Geschichten, Gedanken, Ängste und Erfahrungen teilen zu können. „Freundschaften sind eine der zentralen Relaisstationen des sozialen Zusammenhalts“, sagt der Soziologe Heinz Bude. Langsam, aber sicher, stellen wir unsere Freunde auf dieselbe Stufe wie unsere Familie – und sie werden zu einer unverzichtbaren Stütze in unserem Leben.

 

Der goldene Mittelweg

 

Der hitzigen Diskussion von Anna und Lea folgend, ergibt sich nur eine mögliche Schlussfolgerung. Es gibt zwei Arten von Reisenden: Entweder man ist ein Rudeltier, jemand, der gern mit Freunden und Bekannten reist, um auch in der Ferne ein Stück Heimat bei sich zu haben. Oder aber man ist eher der Steppenwolf unter dem Fahrenden Volk, ein Eigenbrötler, der mehr Wert legt auf Freiheit und weniger auf vertraute Gesellschaft.

„Manche Sachen muss man aber einfach allein erleben“, wirft Anna ein. Lea bleibt skeptisch: „Aber du kannst es mit niemandem teilen. Wenn du dann wieder Zuhause bist, versteht keiner, was du erlebt und gesehen hast. Und niemand kann nachvollziehen, wie du jetzt bist. Warum du jetzt zu dem Mensch geworden bist, der du vor ein paar Monaten noch nicht warst.“ Und Anna: „Aber ihr versteht mich.“ – „Stimmt“, sagt Lea, „aber wir haben Glück. Nicht jeder hat solche Freunde.“

Einen Gin Tonic später starten wir einen letzten Versuch. Alleine reisen, fassen wir zusammen, hat unfassbar viele Vorteile: Die Freiheit, die Spontaneität, das Sich-Selbst-Kennen-Lernen, das Grenzen austesten und Erfahrungen machen, die man zu zweit nicht gemacht hätte. Als Gegensatz dazu: Ein echter Freund ist eine unersetzliche Stütze, die Verantwortung und, noch viel wichtiger, auch die Erfahrung und die Erlebnisse können mit ihm geteilt werden.

„Am besten ist es wohl“, meint Lea am Ende, „wenn man mit jemanden reist, der ebenfalls unabhängig und frei sein will. Und man sich ohne Bedenken zwischendrin trennen kann, um eigene Erfahrungen zu machen.“ Anna und ich nicken. Dann ist man zwar zusammen, befinden wir, aber eben auch allein – und zwar genauso viel von beidem, dass genug Platz ist für ein unvergessliches Abenteuer.

 

 

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Bildquelle: Joshua Earle unter CC0 1.0