Ein Pferd springt mit seiner Reiterin über eine Hürde

Reitsport bei Olympia: Muss das sein?

Nach dem Ende der Olympischen Sommerspiele häufen sich Berichte über Misshandlungen und Quälereien im Reitsport. Athlet*innen, Verbände und Außenstehende geraten mit ihren Meinungen in Konflikt – und entfachen eine Grundsatzdiskussion über die Sinnhaftigkeit des Wettbewerbs. Ein Kommentar.

Zwei Disziplinen hatte die Berlinerin Annika Schleu bereits erfolgreich hinter sich gebracht, als sie am 6. August 2021 als Erstplatzierte in den dritten Teil des Modernen Fünfkampfs startete. Die Goldmedaille schien in greifbarer Nähe, Trainerstab und Bundesverband setzten große Hoffnungen auf die 31-Jährige. Doch dann kam alles anders als gedacht: Das ihr zugteilte Pferd Saint Boy ließ sich im Springreiten zunächst nicht auf den Parcours bewegen, verweigerte später mehrere Hindernisse, bevor Schleu den Durchlauf schließlich abbrechen musste. Mit einer Wertung von null Punkten fiel sie auf Rang 31 der Gesamtwertung zurück, welchen sie bis zum Ende des Wettbewerbs nicht mehr verlassen konnte. In Anbetracht der Tatsache, dass Athlet*innen wie Schleu sich über Jahre auf Momente wie diesen vorbereitet und eine unvorstellbare Menge an Energie und Lebenszeit in den Kampf um die olympischen Medaillen investiert haben, erweckt eine derartige Pleite durchaus Mitgefühl. Wäre da nicht ein kleiner Haken an der Sache: Der Umgang mit dem „Problempferd“ Saint Boy ließ während des dramatischen Ritts definitiv zu wünschen übrig.

„Hau mal richtig drauf, hau drauf!“, war Bundestrainerin Kim Raisner vom Rand aus zu hören, während die vollkommen überforderte Reiterin unter Tränen versuchte, ihr Pferd über den Parcours zu steuern. Schleu traktierte Saint Boy mit der Gerte, nutze ihre Sporen, doch das verwirrte Pferd machte keinerlei Anstalten, zu kooperieren – im Gegenteil. Goldmedaille, Ruhm und Ehre schienen Saint Boy – logischerweise – vollkommen schnuppe zu sein. Die ROC-Athletin Gulnas Gubaidullina, welche es als erste Teilnehmerin auf seinem Rücken versuchte, war zuvor ebenfalls in Schwierigkeiten geraten. Nachdem Raisner wenig später sogar mit der Faust auf das Tier eingeschlagen haben soll, wurde die Trainerin nach Ende des Wettbewerbs von den Olympischen Spielen ausgeschlossen. Das Drama im Tokio Stadium endete mit einem geplatzten Traum, jeder Menge Frust und Verzweiflung – und einem offensichtlich traumatisierten Lebewesen, an das von Seiten der betroffenen Personen zunächst kein Gedanke verschwendet wurde.

Anders als Raisner oder Schleu sprach sich der Deutsche Olympische Sportbund in einer Pressemitteilung für eine baldige Änderung des Regelwerks aus, auch die Deutsche Reiterliche Vereinigung sowie die Reitsportlerinnen Ingrid Klimke und Isabell Werth sehen im Hinblick auf den Modernen Fünfkampf dringenden Reformbedarf. Die Eingewöhnungszeit zwischen Pferd und Reiter*in müsse verlängert werden – momentan liegt sie bei einer Dauer von 20 Minuten. Man muss kein Profi sein, um zu erkennen, dass sich in einer solch knappen Zeit und unter einem derartigen Druck keine Verbindung, geschweige denn ein Vertrauen, zwischen Mensch und Tier aufbauen lässt. Auch die Tatsache, dass die Pferde den Athlet*innen unbekannt sind, trägt nicht unbedingt zu einer entspannten Atmosphäre bei. Öffentliche Stimmen fordern deshalb unter anderem, den Springreit-Teil des Modernen Fünfkampfs durch eine andere Sportart, beispielsweise Radfahren, zu ersetzen.