Roskilde-Festival

Was passierte, als ich alleine auf ein Festival fuhr

Von Maxi Jung

Es könnte romantisch wirken, wie wir engumschlungen daliegen, während der Regen auf das Zeltdach einprasselt und die Erde unter und um uns aufweicht. Wäre da nur nicht diese Kälte. Sie scheint aus dem Boden zu kriechen wie Kreaturen der Unterwelt, die sich auf leisen Sohlen von hinten anschleichen. Sie scheint in fahlen Tropfen in der Luft zu existieren, die wir einatmen und sie lässt sich definitiv langsam vom Zeltdach zu uns hinab. Ob als unter Tarnumhang versteckte Luft oder als Tropfen, die auf unseren Schlafsack prallen und auf unsere Gesichter, die nur wenige Zentimeter voneinander entfernt Tuborg-Atem ausstoßen und versuchen, den Körper gedanklich in die Schlafwelt hinüber zu bugsieren. Was selbstredend misslingt.

Denn es ist ja nicht nur die Kälte. Irgendwo spielen sie A-Trak-Beats. Scharfkantige, laute Musik, die zum dänischen Wind und den dicken Tropfen passt, die über dem Roskilde abgeworfen werden wie kleine Fallschirmspringer. Wir sind umhüllt von einem Geruch nach Pisse und Kotze. Und irgendwas Scharfem, das riecht wie Mundspülung. Statt tiefer Nacht und traumlosem Schlaf ist da ein leichtes Karussell, das das dänische Lager angeworfen hat. Da ist Stimmengewirr wie in einem Fiebertraum. Da sind die zurückliegenden Stunden, durchtanzt, durchredet, durchlebt in einem Freiluft-Käfig, der von Strobo-Licht, Bässen und Sommerregen zum Beben gebracht wurde. Und da ist Annika. Neben mir. Besser gesagt an mir, denn aus Schutz vor der Kälte, die ihr löchriges Zelt nicht einmal ansatzweise abzuwehren im Stande ist, haben wir uns zu zweit in einen Schlafsack gezwängt. Und so liegen wir mitten in der Nacht schlaflos da. Frierend, nass, übermüdet, angetrunken, aber glücklich. Irgendwie.

Wie Festival ohne Dosenbier

Ein paar Stunden vorher. The xx. Lange Lichtbahnen werden dem frenetischen Publikum, das mit glänzenden Augen dem Klangteppich aus den Stimmen von Romy Madley Croft und Oliver Sim und den den durch zuckende Körper hindurchfahrenden Beats von Jamie Smith lauscht, entgegengeworfen. Es wird getanzt. Und getrunken. Natürlich. Aus großen Bechern immer wieder Tuborg. Ich stehe schräg links vor der Bühne, bewege meinen Körper im Nieselregen Norddänemarks. Das britische Trio spielt Crystalised, das Festival-Publikum rastet aus. Ich mit, als eine Hand mich hart und plötzlich seitlich im Gesicht trifft. Ich schaue nach rechts. Da steht ein Mädchen, das mich schockiert ob der Wucht ihres ungewollten Schlags anblickt. Sie schreit mich an. Auf Dänisch. Ich schreie auf Englisch zurück, dass ich nur Englisch kann. „Sorry!“, schreit sie gegen die hunderten singenden Münder um uns herum. Und gegen die Premium-Boxen auf der Orange Stage, der größten Bühne des Roskilde Festivals 2017.

Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben alleine auf ein Festival gefahren. Es ist irgendwie falsch, gegen den Lauf der Dinge. So, als würde man auf einem Festival kein Dosenbier trinken. Alle, denen ich von meinem Vorhaben erzählte, sahen mich ein wenig irritiert an. „Alleine auf ein Festival? Nach Dänemark?“, sagten sie. Und als ich frühmorgens am Bahnhof in den Zug nach Hamburg steige, meinen Rucksack neben mich wuchte und zusehe, wie draußen langsam die Lichter angehen und der Julitag die Nacht vertreibt und sein Licht in schmalen Streifen zwischen den Bäumen auf die gerade erwachende Welt wirft und ins Zuginnere, in dem zwei kreischende Kinder endlich zur Ruhe kommen, kommen mir langsam auch Zweifel.

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Wir zittern immer noch, als wir, die Beine überschlagen, in einem kleinen Café außerhalb des Festival-Geländes Tee trinken und unsere Hände an der heißen Tasse wärmen. Irgendwie haben wir es geschafft, trotz Nässe, Kälte und Lärm zwei Stunden zu schlafen. Und jetzt freuen wir uns wie kleine Kinder über die Wärme, den Tee und irgendwie überhaupt darüber, dass wir uns getroffen haben, inmitten dieses verrückten, funkelnden Festivals, dessen Magie sich auch vom fahlen Grauwetter und den dicken dänischen Tropfen nicht vertreiben lässt. Oder besser: Gerade deswegen so aufregend und vibrierend ist.