Schein Sein Kompetenz Selbstbewusstsein

Schein und Sein: Wie man Selbstbewusstsein von Kompetenz unterscheidet

Viel zu oft machen wir uns vor Leuten klein, die zwar laut schreien, aber eigentlich gar nichts auf dem Kasten haben. Ehrfürchtig erstarrend lauschen wir den semi-gehaltvollen Worten dieser laut röhrenden Platzhirsche und lassen uns von ihnen ein Revier zuteilen: nämlich die billigen Plätze, von denen wir zu ihnen hinaufschauen sollen. Meistens sind wir uns dessen gar nicht bewusst und denken fatalerweise, dass diese charismatisch und extrovertierten Menschen krass kompetent sein müssen. Ein folgenreicher Trugschluss! Aber warum ist das überhaupt so?

Das Interview mit dem Organisationpsychologen Dr. Tomas Chamorro-Premuzic bringt Licht ins Dunkel. Seit Jahren forscht und beschäftigt er sich damit, wie Menschen Selbstbewusstsein mit Kompetenz verwechseln, welche Folgen das hat und wie wir dem entgegenwirken können. Dementsprechend ehrfürchtig bin ich, als wir in Kontakt treten.

Wahre Kompetenz ist unsichtbar

Für Tomas Chamorro-Premuzic ist es offensichtlich, warum wir oft wirkliches Können mit bloßem Getue verwechseln. „Kompetenz ist schwer zu beurteilen. Die meisten Haupttalente wie Intelligenz, Kreativität und Fachkenntnis sind für das menschliche Auge nicht sichtbar“, sagt er. Viel eher werden wir auf Menschen aufmerksam, die den Fokus lauthals tösend auf sich lenken. „Dominante, durchsetzungsfähige und selbstbewusste Menschen sind leicht auszumachen. Diese Charaktereigenschaften werden oft als Kompetenz interpretiert. Wir denken, dass Leute die selbstsicher sind, etwas können müssen,“ erklärt er gegenüber ZEITjUNG.

Selbsttäuschung vom Feinsten

Allerdings sind wir nicht die Einzigen, die sich vom Verhalten der selbstbewussten Menschen täuschen lassen. Denn vorher haben die Blender selbst oft eine umfangreiche Selbstmanipulation hinter sich: „Faktisch entsteht übersteigertes Selbstvertrauen aus einer fundamentaler Täuschungsstrategie: Es ist leichter, andere zu täuschen, wenn du dich bereits selbst getäuscht hast und niemand ist getäuschter als ein geblendeter Narzisst“, ergänzt Chamorro-Premuzic.
Aber wie zur Hölle kann man sich so sehr etwas einbilden und glauben, etwas zu können, obwohl man in Wahrheit meilenweit davon entfernt ist? Ein normalreflektierender Mensch ist doch in der Lage, sein Verhalten einzuschätzen, möchte man meinen. Hochstapler ticken da anders. „Es mangelt ihnen schlichtweg an kritischem Feedback oder sie ignorieren es. Betrachtet man sie aus der Perspektive der Persönlichkeit, sind sie arrogant und haben die Konsequenzen ihrer Inkompetenz noch nicht in Erfahrung gebracht“, weiß Chamorro-Premuzic zu berichten.
Geschlechterunabhängig ist dieses Phänomen nicht. Seinen Untersuchungen zu Folge sind es vor allem Männer, die dazu neigen, mittels ihrer egozentrischen Art Kompetenz vorzugaukeln. Während Frauen meistens nicht weniger kompetent sind und besonders im Bereich der emotionalen Intelligenz punkten können, ziehen sie im Vergleich zu den Männern aber oft den Kürzeren, wenn es um die Anerkennung ihrer Leistungen geht. Allerdings ist dieser Missstand der Gesellschaft anzukreiden. „Viele Männer sind selbstbewusster, weil wir übersteigertes Selbstbewusstsein bei Männern belohnen und bei Frauen bestrafen. Wir sollten es eigentlich bei Männern genau so sehr bestrafen wie bei Frauen“, erklärt Chomorro-Premuzic.

Wie mit Blendern umgehen? Zurückblenden mit Fernlicht?

Nun stellt sich die Frage, wie wir mit solchen Menschen umgehen sollen. Wir können sie ja schlecht freundlich darum bitten, endlich damit aufzuhören, gefährliches Halbwissen zu streuen. Tobsuchtartig im Dreieck springen und Handgemenge androhen erweisen sich auch nicht als effektive Alternativen. Sollten wir uns ihr Verhalten vielleicht abgucken? Sollten wir einfach auch mal so tun, als ob? Schließlich fahren sie mit ihrer Strategie „Fake it til you make it“ ganz gut. Chamorro-Premuzic sieht das allerdings anders. „Dieser Ratschlag ist in Ordnung, wenn du keine Probleme damit hast, dass Hochstapler oder Gauner die Verantwortung oder Erfolg haben“, sagt er. „Es ist wirklich ein guter machiavellistischer Tipp, wenn wir talentfreien Leuten dabei helfen wollen, etwas zu erreichen.“
Das leuchtet ein, wenn wir daran denken, wie viele amöbenhafte und dumme Menschen mit dieser Einstellung bereits zu Ruhm gekommen sind – obwohl sie nichts in ihrem Leben erreicht haben. Stattdessen sollten wir eher auf Wahrhaftigkeit und richtige Arbeit setzen: „Für andere und für die Gesellschaft wäre es an sich besser, wenn wir sagen würden „Work on it til you make it“.

Hinter die Fassade blicken

Wenn wir dann herausfinden wollen, ob es jemand so richtig drauf hat, ist das meistens gar nicht so leicht. „Der einzige Trick ist, zu verstehen, wie kompetent jemand ist“, erklärt Chamorro-Premuzic. „Egal, ob die Person ein Manager, Zahnarzt oder iranischer Uber-Fahrer ist. In allen Situationen ist es egal, wenn jemand denkt, dass er etwas gut kann. Relevant ist, dass jemand es gut kann.“ Wir dürfen uns nicht von egozentrischem und narzisstischen Verhalten irritieren zu lassen, sondern müssen versuchen, Aussagen auf ihre Substanz zu überprüfen. Was zählt ist das Ergebnis, das eine Personen abliefert.

Die Guten gewinnen

Leute, die am Ende Erfolg haben, sind nicht die unfähigen und selbstbewussten Menschen. „Die Gesellschaften und Gruppen, die von kompetenten Spitzen geführt werden, werden Gruppen und Gesellschaften übertreffen, die von inkompetenten Spitzen geführt werden. So wird Kompetenz Selbstbewusstsein langfristig jeder Zeit schlagen“, stellt Chamorro-Premuzic fest und bezieht seine Antwort nicht nur auf die private, sondern auch berufliche und politische Ebene. Weiterhin betont er aber die Wichtigkeit, das Eine vom Anderen zu unterscheiden. „Wenn wir aber wahre Kompetenz nicht ausmachen können, werden selbstbewusste Menschen trotz ihres Unvermögens weiterhin Erfolg haben, sehr zur Gefahr der anderen“, warnt und appeliert er.
Vermutlich müssen wir uns einfach von dem Stereotyp verabschieden, dass selbstbewusste Menschen automatisch auch fähig und kompetent sind. Sicherlich gibt es genügend Leute, die wahrlich etwas erreicht haben und auch stolz auf ihre Leistungen sein können. Dagegen spricht überhaupt nichts. Jedoch sollten wir nicht gleich Selbstbewusstsein mit Kompetenz gleichsetzen und uns von großen Worten irritieren lassen. Auch müssen wir damit aufhören, stilleren und zurückhaltenderen Menschen ihr Können abzusprechen, nur, weil sie es nicht in die Weltgeschichte hinausposaunen. Und das ist an sich die Quintessenz: Zeitgenossen, die wirklich was können, haben es gar nicht nötig, große Töne zu spucken.

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Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz