Sebastian Schramm Krebs Kolumne

Fürs Erste Krebs: Episode #14

Ein Gespräch

 

Ich will gerade los, zurück nach Hause. Endlich wieder verkriechen. Aber Schwester Solveig lässt mich nicht. Der Arzt will mich sprechen, sagt sie. Es würde nicht lange dauern. Verwundert nehme ich Platz. Der Kopf fängt an zu arbeiten. Warum will er mich sprechen? Wieso hat Solveig nicht gesagt, worum es geht? Fünf Minuten können ewig sein.

Er holt mich in sein Arbeitszimmer. Hier haben wir noch nie gesprochen. Ein schlauchartiger Raum, schlicht eingerichtet: Schreibtisch, Stuhl, ein Platz für den Patienten. Er spricht über meine Werte. Seit der letzten Chemotherapie entwickelten sie sich gut. Auch heute, alles in Ordnung. Dann lenkt er das Gespräch auf Köln. Mit den Kollegen habe er gesprochen. Sie seien Experten bei meinem Krebs, weltweit angesehen. Und er hätte ihnen meinen Befund der Abschlussuntersuchung geschickt. Ihre Empfehlung: keine Bestrahlung.

„Wie: Heißt das, ich habe es geschafft?“

„Ja, Sebastian. Keine Bestrahlung mehr. Du bist fertig.“

„Okay.“

Danach reden wir einfach weiter. Wie oft ich zur Kontrolle kommen soll und wann er mir empfiehlt, wieder ins richtige Leben zurückzukehren. Dass Rückschläge normal sind. Dass nicht jede Erkältung gleich wieder Krebs bedeutet. Dass es keine Niederlage ist, einen Psychologen aufzusuchen. Als hätte es die beste Nachricht meines Lebens nicht gegeben.

Oft hatte ich mir vorgestellt, wie es wohl sein würde, endlich diesen Satz zu hören: Du hast den Krebs besiegt. Der Gedanke daran hat mich getragen, wenn es mir schlecht ging. Wenn ich nicht mehr weiter wusste. Jetzt ist alles so anders. Ich fühle nichts. Ich bin leer. Im Auto, kurz vor dem Losfahren, halte ich mich am Lenkrad fest. „Ich hab’s geschafft“, sage ich zu mir, „ich hab’s geschafft.“  Mehr kommt nicht aus mir heraus.

 

 

Zu Hause bin ich alleine. So wie ich es wollte, als ich aus der Tür bin. Ich kann mich verkriechen. Niemand soll meine Gefühle sehen. Ich setze mich an den Küchentisch und mache mir das Lied „Freedom“ an. Meine Krebs-Hymne. Sie singen für mich.

Life hasn’t been very kind to me lately, but I suppose it’s a push for moving on,

in time the sun’s gonna shine on me nicely,

something tells me good things are coming and I ain’t gonna not believe.

Ich kann nicht mehr aufhören zu weinen.

 

Hier findest du alle „Fürs Erste Krebs“-Episoden von Sebastian Schramm.


Die Diagnose Krebs ist immer schlimm. Aber gerade jungen Menschen wird oft der Boden unter den Füßen weggerrissen, wenn ihnen die Krankheit in ihre Lebensplanung hineinpfuscht. Deshalb gibt es seit 2014 die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs. Ihr Ziel ist es, die Therapiemöglichkeiten und die Versorgungssituation zu verbessern und Erkrankten mit Gesprächen und Austausch zur Seite zu stehen. Die Facebook-Seite der Stiftung findet ihr hier.

 
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Bildquelle: Josefine Rosse