Sebastian Schramm Krebs Kolumne

Fürs Erste Krebs: Episode #14

Nur fünf Buchstaben. Sie reichen aus, um ein Leben für immer zu verändern. Was aber, wenn das Leben noch gar nicht richtig begonnen hat? Sebastian Schramm ist 26 Jahre alt – und leidet an Krebs. Von nun an teilt er auf ZEITjUNG seine Gedanken, Erlebnisse und Anekdoten über die Zeit mit einer Krankheit, die in Deutschland jährlich eine Großstadt auslöscht. Teil 12 , 3, 4567 , 8 , 9 , 10 , 11 , 12 und 13 findet ihr hier.

Heute: Folge 14: Der Sieg. 

Ich soll nur zum Blutabnehmen. Eine bloße Kontrolle, so wie jede Woche. Mit ein wenig Glück bin ich 20 Minuten raus. Bloß schnell zurück nach Hause. Endlich wieder verkriechen, vor den anderen, vor mir selbst. Niemand soll meine Gefühle sehen. Ich spiele den Kämpfer, dabei bin ich mit den Kräften am Ende. Vor zwei Wochen hat sie mir der Arzt genommen, nach der Abschlussuntersuchung. Der Tumor sei nicht mehr aktiv. Dafür aber kaum kleiner geworden. Bestrahlung unumgänglich.

Seitdem bin ich wie gelähmt. Warum hat es nicht gereicht? Ich hatte alles gegeben, jede Tortur überstanden: die Diagnose Krebs, sechs Chemotherapien, die ausgefallene Haare, die Unfruchtbarkeit, die Schmerzen, die Angst. Ich wollte längst frei sein. Endlich wieder selber Regie führen. Die Zukunft planen. Mir das zurückholen, was mir die Krankheit genommen hat. Aber sie lässt mich nicht los.

Für die Schwestern setze ich ein Lächeln auf. Ich bin es ihnen schuldig. Sie waren immer gut zu mir. Ich hätte Glück, es würde heute nicht lange dauern, sagt Solveig. Ich warte auf dem Gang der Station, wie immer. Patienten gehen an mir vorbei, mit einer Hand schieben sie den Infusionsständer neben sich her. An ihnen hängen Beutel, manchmal befüllt mit Chemotherapie, manchmal mit Blut. Eine der Schwestern kommt auf mich zu. „Sebastian“, ruft sie, „wir können.“

Jeder Handgriff sitzt. Ohne ein Wort von ihr stelle ich mich auf die Waage, sie notiert mein Gewicht, 71 Kilo. Sie fragt mich, welcher Arm es denn heute sein soll. Meist sage ich rechts. Auch heute. Beim Blutabziehen neige ich meinen Kopf zur linken Seite. Früher hatte ich panische Angst davor, mittlerweile lasse ich es über mich ergehen. Sehen will ich es aber nicht. Die Schwester weiß das. „Und, wie geht es dir?“ „Ach, ganz okay. Ziemlich schlapp bin ich.“ „Ja, das wird auch noch lange so bleiben.“

Mit dem abgenommenem Blut geht sie zum Schnelltester, am anderen Ende des Raums. Es braucht nur ein paar Sekunden, dann hat sie die wichtigsten Werte vor sich. Alles sei in Ordnung. Ihretwegen könnte ich nach Hause gehen. Zur Kontrolle nächste Woche müsse ich ja sowieso wieder kommen.