Sein eigener Chef sein: Glücksformel oder kurzfristiger Hype?


Unabhängig sein. Keine Vorgesetzten haben. In die eigene Tasche arbeiten. Vielleicht sogar ein passives Einkommen generieren. Solche und ähnliche Themen dominieren bereits seit mehreren Jahren die sozialen Netzwerke und ein Ende des Trends scheint nicht in Sicht zu sein. Plötzlich will gefühlt jeder sein eigener Chef sein und da drängt sich die Frage auf, ob es sich nur um einen kurzfristigen Hype handelt und wie realistisch das Bild ist, das Social Media von der Selbständigkeit zeichnet? Hier kommen die Antworten!

Lange Zeit kam es nur für wenige Menschen infrage, eine Alternative zum Angestelltenverhältnis zu wählen. „Nine-to-five“ für einen Arbeitgeber tätig zu sein, war demnach die Norm und diese wurde kaum infrage gestellt. Dies ändert sich nun bereits seit einigen Jahren und daran sind gleich mehrere Entwicklungen schuld: Die Arbeitswelt verändert sich und muss flexibler werden, was die Nachfrage nach freien Mitarbeitern erhöht. Diese wird zudem durch den Fachkräftemangel genährt, denn wo keine festen Fachkräfte zu finden sind, können zumindest Selbständige der Überbrückung dienen. Es ist aber auch die Digitalisierung, die dieses Umdenken angestoßen hat, denn plötzlich ist die Arbeit in immer mehr Jobs zeit- sowie ortsunabhängig möglich. Dadurch stellt sich die Frage, ob das klassische Arbeitsmodell nicht längst ausgedient hat? Die jüngeren Generationen jedenfalls ticken anders, wenn es um die Arbeit geht, was manchmal positiv und manchmal negativ bewertet wird. Fakt ist aber, dass sie neue Anforderungen an die Arbeitswelt stellen und viele junge Leute träumen davon, ihr eigener Chef zu sein.

Warum will plötzlich jeder selbständig sein?

Natürlich ist jeder Mensch individuell und ebenso seine Vorstellung von einem Traumjob. Pauschale Aussagen sind deshalb schwierig, aber es lassen sich gewisse Tendenzen erkennen. Dazu gehört bei den Generationen Y und jünger zum Beispiel der steigende Wunsch nach Unabhängigkeit, sowohl in finanzieller Hinsicht als auch bezüglich ihrer Selbstbestimmung, sprich wann, wie und wo sie arbeiten. Es lässt sich durchaus von einem regelrechten Trend sprechen, denn die meisten jungen Leuten versprechen sich durch eine Selbständigkeit zum Beispiel mehr

  • Selbstverwirklichung,
  • Freiheit,
  • Flexibilität,
  • Kreativität,
  • Wohlstand oder
  • Freizeit.

Sie möchten schlichtweg selbst bestimmen, wie sie ihre wertvolle Lebenszeit verbringen und sind nicht mehr bereit, ihr gesamtes Privatleben dem Beruf zu opfern. Zudem wünschen sie sich bessere finanzielle Perspektiven, denn das Lohnniveau sinkt in vielen Jobs – direkt oder indirekt durch die Inflation – und eine Selbständigkeit eröffnet deutlich höhere Verdienstchancen. Und noch ein letzter Faktor darf nicht unerwähnt bleiben: Ein Stück weit ist der Traum von der Selbständigkeit auch eine Form der Rebellion gegen die traditionellen Strukturen und die Lebensart der Eltern- sowie Großelterngenerationen. Es ist völlig normal, in Zeiten der Digitalisierung und wirtschaftlichen Unsicherheit nach neuen Optionen zu suchen, schließlich hat jede Generation ihre Vorgänger kritisch hinterfragt. Es handelt sich sozusagen um einen natürlichen sowie wichtigen Prozess.

Macht die Selbständigkeit wirklich glücklich(er)?

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Bleibt nur die Frage offen, wie realistisch das Bild ist, das in diesem Zuge von der Selbständigkeit gezeichnet wird. Ist sie wirklich eine regelrechte Glücksformel, wie oftmals erwartet? Tatsächlich bringt es zahlreiche Vorteile mit sich, sein eigener Chef zu sein, die das Glücksempfinden positiv beeinflussen können. Die Selbständigkeit verspricht mehr Selbstverwirklichung, Autonomie, Flexibilität sowie auch bessere finanzielle Perspektiven. Allerdings kommen diese Vorteile nicht ohne Risiken: Wer sein eigener Chef ist, genießt weniger finanzielle Sicherheit und muss für den eigenen Lebensunterhalt sowie die Vorsorge selbst aufkommen. Zudem bedeutet die Selbständigkeit mehr Verantwortung und – vor allem zu Beginn – oftmals auch längere Arbeitszeiten sowie ständiges Multitasking. Sie ist daher sicherlich kein einfacher Weg und nicht für jeden geeignet. Wer jedoch die passende Persönlichkeit mitbringt sowie das Durchhaltevermögen, um ein langfristig erfolgreiches Unternehmen aufzubauen, der will oftmals nicht zurück ins Angestelltenverhältnis. Denn so ist die persönliche und berufliche Entfaltung ohne äußere Kontrolle möglich, sozusagen resultierend aus einer tiefen Motivation.

Welche diese Motivatoren sind, ist von Fall zu Fall verschieden: Manche wollen schlichtweg mehr Freiheit bei ihrer Lebensgestaltung und eine bessere Work-Life-Balance, andere streben nach dem großen Geld oder der Möglichkeit, die Welt zu bereisen. Wichtig ist aber in jedem Fall, dass die grundlegende Motivation, um sich selbständig zu machen, eine intrinsische Motivation sein sollte. Ansonsten drohen ähnliche Risiken wie in jedem anderen Job auch, wie fehlender Spaß oder übermäßiger Leistungsdruck, die zu Stress und stressbedingten Folgeerkrankungen wie einem Burnout-Syndrom führen können. Es kann somit nicht behauptet werden, dass die Selbständigkeit prinzipiell eine Glücksformel sei, sondern jeder muss selbst herausfinden, ob das Arbeitsmodell zur eigenen Persönlichkeit sowie den individuellen Zielen passt – und in welcher Form. Denn Selbständigkeit ist nicht gleich Selbständigkeit…

Was bedeutet es eigentlich, sein eigener Chef zu sein?

Wer ernsthaft über eine Gründung nachdenkt, sollte sich erst einmal mit den zahlreichen Optionen auseinandersetzen, die es für eine Selbständigkeit gibt. Denn sein eigener Chef zu sein, kann vielfältige Formen annehmen und nicht jedes Modell passt zu jeder Persönlichkeit und den jeweiligen Qualifikationen, die der Gründer mitbringt. Das ist aber gleichzeitig eine gute Nachricht, denn aufgrund der zahlreichen Möglichkeiten findet sich in der Regel für alle eine passende Lösung, die eine Alternative zum klassischen Angestelltenverhältnis suchen. Gängige Optionen sind zum Beispiel:

  • Freelancing, das maximale Freiheit bietet, da die Selbständigen nur für sich arbeiten können, ohne Verantwortung für ein Unternehmen oder viele Mitarbeiter. Damit ähnelt die Arbeit dem Angestelltenverhältnis – allerdings mit wechselnden Kunden und der Möglichkeit, Aufträge abzulehnen. Damit eignet sie sich hervorragend für Menschen mit großem Freiheitsdrang, die passende Fähigkeiten mitbringen und vielleicht sogar ortsunabhängig als „digitaler Nomade“ arbeiten möchten. Allerdings verzichten sie dafür auf ein festes Einkommen, den Arbeitgeberanteil bei ihren Sozialversicherungen sowie staatliche Absicherungen, beispielsweise bei einer Arbeitslosigkeit.
  • Unternehmensgründung, wofür wiederum die Auswahl aus verschiedensten Rechtsformen besteht. Das Unternehmen kann mit der Zeit wachsen und dadurch hohe Gewinne einbringen, aber es bedeutet auch eine große Verantwortung. Die Gründer müssen Führungsqualitäten mitbringen und die richtigen strategischen Entscheidungen treffen können – alleine oder mit Geschäftspartnern. Das bedeutet oftmals auch höhere Investitionen zu Beginn sowie ein größeres Risiko, falls die gewünschten Erfolge ausbleiben.
  • Franchise, bei dem viele dieser Risiken entfallen, da ein bereits erprobtes sowie erfolgreiches Geschäftsmodell übernommen wird. Das heißt zwar weniger Möglichkeiten, um eigene Visionen zu verwirklichen, bringt aber alle Vorteile der Selbständigkeit wie mehr Freiheit und bessere Verdienstchancen mit sich. Der Franchisegeber unterstützt zudem durch Schulungen sowie im Marketing und bietet ein wertvolles Netzwerk. Übrigens gibt es selbst innerhalb eines Franchise-Modells verschiedene Varianten zur Auswahl, wie sich am Beispiel eines Küchenstudios hervorragend erklären lässt: Von ganz klein bis ganz groß kann jeder genau so einsteigen, wie es im Einzelfall erwünscht ist. Franchisenehmer müssen also nicht direkt mit hohen Investitionen beginnen, sondern können sich auch vorsichtig an die Selbständigkeit herantasten und das Unternehmen dann langsam wachsen lassen.
  • Online-Handel, denn der boomende E-Commerce bietet vielfältige Einstiegsmöglichkeiten für Selbständige und hervorragende Perspektiven. Der Vorteil: Durch den Online-Vertrieb kann das Unternehmen ortsunabhängig gegründet werden und richtig organisiert, laufen die Prozesse irgendwann beinahe vollautomatisiert. Das bedeutet eine globale Reichweite mit niedrigen Betriebskosten – sprich eine hervorragende Gewinnmarge. Genau deshalb ist der Andrang im Online-Handel aber groß und es gibt einen intensiven Konkurrenzkampf. Zudem ist technisches Know-how notwendig und es gilt, beim Online-Marketing stets „up-to-date“ zu bleiben. Denn mehr noch als jede andere Branche, ist der E-Commerce schnelllebig und ständigen Veränderungen unterworfen.

Damit ist die Liste noch lange nicht zu Ende, sprich man kann vom Einzelunternehmen über die Arbeit als Coach und Berater bis hin zur Gründung eines internationalen Großkonzerns vielfältige Wege einschlagen, um sein eigener Chef zu sein.

Fazit

Sein eigener Chef zu sein und dadurch automatisch glücklich zu werden, ist ein Gedanke, der zu kurz gefasst ist. Schließlich kann eine Selbständigkeit vielfältige Formen annehmen, jede bringt eigene Vor- sowie Nachteile mit sich und eignet sich daher für unterschiedliche Persönlichkeitstypen. Trotzdem führen die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt dazu, dass solche Modelle immer attraktiver werden – und die Chance auf ein erfolgreiches sowie glückliches Berufsleben steht tatsächlich gut, sofern die persönlichen und fachlichen Voraussetzungen stimmen. In Zeiten der Digitalisierung und „New Work“ handelt es sich daher wahrscheinlich um keinen kurzfristigen Hype, sondern um einen anhaltenden Trend zu mehr beruflicher Autonomie. Diese in eine Glücksformel zu verwandeln, liegt dann nur noch an einem selbst!

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