Mostar

Selbstversuch: Im Reisebus mit Oma quer durch den Balkan

03:30 Uhr morgens. Unsanft reißt mich das schrille Klingeln eines Telefons aus einem ohnehin schon seichten Schlaf. Mein Puls ist sofort auf Hab-Acht-Stellung. Müde linse ich auf mein Smartphone, auch hier beginnt zeitgleich mein Wecker sein unbarmherziges Ritual. Ist ja schon gut. Die Betthälfte neben mir ist leer. Wie immer, wenn ich seit einer Woche aufwache. Oma war schon lange vor dem Weckruf-Service des Hotels im Badezimmer. Mit unserem Rückflug nach Deutschland um sieben Uhr morgens endet heute eine Reise, die ich nicht nur wegen der menschenverachtenden Flugzeiten niemals wieder vergessen werde.

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Seit ich denken kann, wollte ich mit meiner Oma in den Urlaub fahren. Getreu der Mitgliedschaft einer Generation, der eh von allen Seiten her bescheinigt wird, sie würde sich niemals festlegen wollen, habe ich dieses Unterfangen im letzten Jahr erstmals in die Tat umgesetzt. Nach schlappen 24 Jahren. Dabei ist es so verdammt einfach. Ich nenne ein Datum zwischen Praktika und Sommersemester, Oma schaut sich in einschlägigen Tages- und Fernsehzeitungen nach einem passenden Urlaubsziel um. Dass wir die Reise nicht selbst planen werden, ist von Anfang an klar. Unnötigen Stress wollen wir schon von Vornherein ausschließen und Oma ist mit ihren 77 Jahren zwar rüstiger denn je, doch in Sachen Reisen eher unerfahren. Was für den Solotraveler-Studenten heute Vietnam ist, hieß in der damals noch sehr knapp bemessenen Freizeit meiner Großeltern Balkonien. Ganz nach dem Motto „Jetzt oder nie“ entscheiden wir uns schließlich also für eine sechstägige Busreise quer durch den Balkan und kurze Zeit später finde ich mich in der Warteschleife eines klischeehaften Reiseveranstalters für Senioren wieder. Die freundliche Dame am anderen Ende der Leitung glaubt beim Diktat der Geburtsdaten beider Reisenden gefühlt erst einmal, Opfer eines Telefonstreiches eines öffentlich-rechtlichen Radiosenders zu sein. Dann findet sie es total süß. Und zeigt damit eine Reaktion, die ich während unseres Urlaubs irgendwann nur noch müde lächelnd quittieren werde können. Jeder, wirklich jeder, findet es süß, dass ich dabei bin und irgendwann ist meine Oma fast so weit, sich bei mir fürs Mitfahren zu bedanken. Liebe Oma, an dieser Stelle möchte ich kurz einmal etwas klarstellen: Natürlich war mir von Anfang an bewusst, dass meine Wenigkeit den Altersdurchschnitt unserer Reisegruppe um ein Jahrzehnt senken wird. Dass ich oft ein bisschen Hilfestellung geben werde, am Flughafen, bei englischsprachigen Stadtführungen und am Geldautomaten. Aber natürlich wollte ich das alles auch und zwar in jedem einzelnen Moment. Denn seit ich denken kann, wollte ich mit dir in den Urlaub fahren und jetzt war es endlich so weit!

Wenn Enkel reisen…

Wer jetzt aber denkt, geführte Busreisen sind nichts weiter als Kaffeefahrten, dem sei an dieser Stelle gesagt: Pustekuchen! Sechs Tage, drei Länder und insgesamt 15 unterschiedliche Orte. Ich liege jeden Abend total fertig in den Kissen, Oma sitzt aufgedreht neben mir, in den Augen blitzt ein: „Was machen wir als Nächstes?“ Ich möchte jetzt lieber nicht darauf eingehen, was das über mein persönliches Energielevel aussagt. Stattdessen erzähle ich, was ich in einer knappen Woche unterwegs mit einem meiner größten Vorbilder, gelernt und empfunden habe. Oma und ich – in unseren Adern fließt ähnliches Blut, was jedoch noch lange nichts über dessen Rhythmus auszusagen scheint. Omas Tag beginnt, wenn selbst Vögel sich noch verschlafen die Augen reiben, meiner mindestens drei Stunden später. Morgenmensch und permanently exhausted pigeon sollten nicht im selben Käfig gehalten werden! In unserem Bus grüßen schließlich täglich 40 Senioren, die uns in sechs Tagen ganz schön ans Herz wachsen. Da gibt es den Solotraveler Opa, der stilecht mit 4you-Schulrucksack und Käppi reist oder den Franzosen, der mit seinen 72 Jahren jeden Sommer eine 1200 Kilometer lange Fahrradtour plant. Außerdem im Gepäck: Notorische Nörgler, die es in absolut jeder Altersklasse zu geben scheint. Von wegen Jugend von heute, denke ich kopfschüttelnd, als sich ein älterer Herr zum x-ten Mal über eine Nichtigkeit echauffiert. „Was soll ich hier an einem Hafen? Schiffe anschauen?“ Exakt. Oder gemeinsam mit deinen nach unten hängenden Mundwinkeln im Bus bleiben und auf unsere Rückkehr warten. Ansagen dieser Art muss ich mir während unserer Reise des Öfteren verkneifen, doch glücklicherweise sind die Miesepeter in der Unterzahl. Vor uns sitzt zum Beispiel mein liebstes Ehepaar, das sich mit sechzehn Jahren kennen und lieben gelernt hat. Wir essen immer zu viert und bald schon hält uns die restliche Reisegruppe für eine Familie. Die Gespräche am Tisch werden schnell persönlich. So sehr, dass mir die Frau am fünften Tag der Fahrt ein Bild eines jungen Mannes vor die Nase hält. „Der wäre noch frei, kann kochen und hat Geld.“ Ich muss grinsen. Mein Singledasein scheint sogar mir relativ fremde Personen zunehmend zu beunruhigen. Die Kuppelversuche des Paares werden zum Running Gag der Reise. Bei zwei weiteren Cuties waren die Kuppelversuche einer Freundin weitaus erfolgreicher. Sie befinden sich mittlerweile in zweiter Ehe und schweben beim Tanzabend im Hotel verliebt übers Parkett. „Vielleicht lohnt es sich ja doch, sich einmal auf jemanden einzulassen?“, meine ich bei ihrem Anblick verträumt zu meinem Glas Rotwein. Wer hätte gedacht, dass ich in einem Reisebus in Kroatien meinen Glauben an die Liebe wiederfinden werde? An eine Liebe, wie sie auch meine Großeltern Zeit ihres gemeinsamen Lebens verbunden hat. Der Todestag meines Opas jährt sich während unserer Reise zum ersten Mal. Ich bin froh, dass ich diesen Moment mit meiner Oma teilen und wieder einmal spüren kann, wie nahe sich die beiden standen. Doch das mit Abstand Schönste an dieser Reise? Endlich einmal gibt es Zeit, die nur für uns bestimmt ist – meine Oma und mich. Ich habe noch nie zuvor im Schlafanzug neben meiner Oma im Bett gelegen und mit ihr Quizsendungen geschaut, wusste nicht, wie extrem wichtig ihr die Kopfkissen im Hotelbett sind und dass sie wirklich schon ab vier Uhr morgens schlaflos ist. Ich habe ihr gezeigt, wie sie das WLAN auf ihrem Tablet (!) einrichten kann, sie hat mich an den Zimmerschlüssel und eine warme Jacke erinnert. Kurzum: Ich kann es euch nur empfehlen mit Großeltern (unter Großeltern) zu reisen. Ich verspreche, dass ihr euch noch einmal ganz neu kennenlernt. Und ist das nicht eine wirklich große Sache, nach so einem Vierteljahrhundert gemeinsam verbrachter Lebenszeit?

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Bildquelle: Privat