Shamestorming: Die üble Nebenwirkung von Social Media
Die eigene Meinung zu sagen ist heute einfacher denn je. Man muss den Menschen nicht mehr gegenüber treten und ihnen dabei ins Gesicht sehen, während man sie verurteilt. Verurteilung geht jetzt auch via Smartphone und Computer. Vernichtung per Mausklick. Dank Kommentaren, Likes und Sharing ist das Anprangern inzwischen erstaunlich einfach geworden. Das Internet ist der wohl größte Gerichtssaal, den die Welt zu bieten hat und der alltägliche Shitstorm ein fester Teil davon. Er fegt über die sozialen Netzwerke hinweg und macht dabei vor niemandem Halt.
Der böse Bruder des Shitstorms
Der Begriff „Shitstorm“ wird für manche Aktionen langsam allerdings zur Untertreibung. 2016 bringt nun etwas Neues! Ladies and Gentleman, wir präsentieren Ihnen den bösen Bruder des Shitstorms: Der Shamestorm – ungezügelt, unaufhaltsam und unglaublich unverschämt. Den starken Wandel von „Shit“ zu „Shame“ erklärt Constantin van Lijnden auf ZEIT Online :“Was als Gemeinschaft von Nerds und Nachrichtenfreaks begonnen hatte, wurde mit wachsender Nutzerzahl heterogener, anonymer, zerstrittener: Aus ‚Wir gegen die‘ wurde ‚Jeder für sich‘ – und immer öfter ‚alle auf einen‘.“
In 12 Stunden von der unbekannten PR-Managerin zur meistgehassten Twitter-Userin
Das Internet ist mit Vorsicht zu genießen und man sollte sich genau überlegen, was man veröffentlicht und der Welt preis gibt. Das musste Justine Sacco im Jahr 2013 am eigenen Leib erfahren. Ein Feed machte sie innerhalb weniger Stunden zur meistgehassten Twitter-Userin weltweit. Vor ihrem Abflug nach Afrika postet sie spontan und unüberlegt: „Going to Africa. Hope I don’t get AIDS. Just kidding, I’m white.“ Anschließend stieg sie ins Flugzeug. Was sie zwölf Stunden später erwartete, ahnte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Denn während sie im Flieger saß, entdeckte ein Journalist Saccos Feed und twitterte ihn an seine 15.000 Follower weiter. Die Reaktionen setzen sich zusammen aus Beleidigungen, Mord- und Vergewaltigungsdrohungen. „Jemand mit HIV muss die Hure vergewaltigen, dann sehen wir, ob ihre Hautfarbe sie schützt“ – nur eine (Über-)Reaktion von vielen.
Alles, was zählt: Die Aggression, nicht die Aktion
Im Fall von Justine Sacco findet man schnell die üblichen Merkmale eines Shamestorms. ZEIT Online erklärt es genauer: „Am Anfang steht ein echter, aber nicht allzu gravierender Fehltritt des Betroffenen. Wer im Netz veröffentlicht, vergisst womöglich manchmal, dass er sich auf der größten Bühne der Welt bewegt.“ Die Aktion selbst hat sicherlich negative Reaktionen verdient, auch wenn Sacco es mit Humor begründet. Doch bei all den Beleidigungen und Hasskommentaren, die ein solcher Shamestorm mit sich bringt steht schon lange nicht mehr die Aktion im Mittelpunkt. Viel mehr geht es darum, eine möglichst große Meute an Internet-Usern zusammenzubringen, die sich mit aller Wut auf eine Person stürzen – und selbstverständlich: anonym.
Vielleicht hat Justine Sacco etwas aus ihrem Fehler gelernt, doch daraus sollten alle lernen. Es ist einfach, seine Meinung kundzutun, wenn man sich hinter einem Bildschirm versteckt, aber vielleicht kehren wir ja irgendwann wieder zu den altmodischen aber direkten Kommunikations- und Konfrontationsformen zurück, denn dann würde sich der ein oder andere sicher mehr Gedanken über seine Äußerungen machen. Und vor allem: Die Aktion von der Aggression lösen, die Tat von der Person.
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Bildquelle: Hannah Wei unter CC0-Lizenz