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So lebt Hamdi, ein junger syrischer Flüchtling, in Deutschland

Manchmal bekommt Hamdi Heimweh. Er denkt dann an seine Mutter, seinen Vater und seinen Bruder, der ihn zwar manchmal nervte, aber immerhin sein einziger Bruder war. Er denkt an das Maqlube seiner Oma, niemand konnte das so gut wie sie. Und natürlich denkt er an Damaskus, an seine Freunde auf der internationalen Schule, an das Kicken nach der Schule und daran, wie sein Vater sauer geworden war, wenn seine Schuluniform wieder einmal ganz dreckig und staubig gewesen war.

Er sieht sich dann alte Bilder an, auf seinem Smartphone. Bilder von seinem Vater, der vor einem Gebäude steht, einen Helm auf dem Kopf. „Mein Vater ist Architekt in Damaskus“, erzählt Hamdi mir stolz. Oder ein Bild, das ihn in einem Cristiano-Ronaldo-Trikot mit Freunden zeigt. Wenn er wieder an die tausende Kilometer entfernte Heimat Syrien denkt, dann denkt er aber auch an die Bomben und daran, wie Baschar al-Assads Männer seinen Vater einmal mitnahmen und er erst nach drei Tagen wieder kam, was „Glück war“, so Hamdi, „denn viele Syrer verschwinden einfach“.

Das war der Tag, an dem sein Vater entschied, seinen ältesten Sohn wegzuschicken. Er umarmte Hamdi zum Abschied feste, hatte ihm das ganze Ersparte mitgegeben und sagte: „Tu es für unsere Familie“. Hamdi lächelt, als er mir das erzählt, fast so, als sei er stolz, dass er den Auftrag seines Vaters erfüllt hat. Ein Onkel, einer der Brüder seines Vaters nahm ihn mit in die Türkei, wo er beruflich zu tun hatte. „Wir haben gesagt, ich sei der Gehilfe meines Onkels.“ Plötzlich war er Flüchtling.

Von der Türkei aus, aus Bodrum, begann eine Odyssee, die mir ganz surreal vorkommt. Man hat schon hundertfach gehört von den schrecklichen Reisen der Flüchtlinge, in Schlauchbooten, hungernd. Wenn einem das aber ein 19-Jähriger erzählt, der fast immer lacht und unfassbar hilfsbereit ist, dann bekommt seine Geschichte eine so persönliche Dimension, dass man sich fast schämt, dass es so viele Menschen gibt, die ihm jetzt vorwerfen, er sei ein „Frauen-Schänder“ und solle zurück. Nach Syrien. In den Krieg.

 

4600 Euro für ein neues Leben

 

Mit dem Boot ging es über das Mittelmeer nach Zypern. „Diese Route“, die östliche Mittelmeerroute, „nehmen nicht so viele, weil sie sehr gefährlich ist“, erklärt mir Hamdi. „Auch mein Vater hat mir immer wieder gesagt, ich solle auf keinen Fall eine Route über das Meer nehmen. Als ich aber in Bodrum saß und so viele Menschen sah, die alle nach Europa wollten und die alle verzweifelt waren, nahm ich das erste Angebot an.“

Hamdi beschreibt seinen Schlepper als mittelalten Türken, der „nett“ war. Umgerechnet zahlt Hamdi für die Überfahrt nach Europa 4600 Euro, das sei „günstig“, verspricht der Schlepper, der Normalpreis liege bei „5800 Euro“. Hamdi glaubt, dass er deswegen gezielt angesprochen wurde, weil er ein Polohemd trug und gerade sein Smartphone in einem Restaurant auflud. „Die haben geglaubt, ich hätte das Geld.“ Und er hatte es. Am 02. Juni besteigt er einen Frachter. „Er war alt, aber er sah sicherer aus als die Boote, die ich im Internet gesehen hatte.“

Er weiß nicht genau, wann er Europa erreichte, er weiß nur, dass er hungrig war, dass es heiß war und dass er sein Zeitgefühl verloren hatte. Babys schrien, er hatte seit Tagen keinen Handyakku und zu Trinken gab es viel zu wenig. Es stellte sich heraus, dass er in Italien und nicht wie versprochen in Zypern landete, Geld hatte er nicht mehr viel.

Anfang September kam er dreckig, mit Blasen an den Füßen und erschöpft bis zum Umfallen in München an. Dort ist er geblieben, bis heute. Hamdi hat großes Glück gehabt, er wohnt zusammen mit einem Freund, einem Afghaner, bei einem Ehepaar, dessen Kinder ausgezogen sind. „Petra kocht zwar nicht so gut wie meine Oma, aber es ist super hier. Petra und Jochen sind so nett zu uns.“

Er strahlt, als er das erzählt und ich bin ergriffen, dass er sich darüber freut, eine neue Heimat zu haben. „Mein Vater hat sie auch schon kennengelernt, auf Skype. Er kann zwar nicht so gut Englisch, aber ich konnte übersetzen. „Jochen hat gesagt, dass er einen sehr mutigen Sohn hat, da hat mein Vater geweint. Und ich auch.“

 

Seine Freunde sind Deutsche, Somalier, Afghanen

 

Hamdi geht in München zu einem Deutschkurs, seine besten Freunde sind Kevin, ein Deutscher aus dem Fußballverein, Abdi, ein Somalier und Arjun, sein afghanischer Mitbewohner, der erst 17 ist, aber „von uns allen am besten Fußball spielt.“ Hamdi geht vormittags zur Schule und lernt Deutsch, es macht ihm Spaß, sei aber „richtig schwer“ und kickt abends oft mit seinen Kumpels. Im Verein spielt er mit Kroaten, Serben, Türken, Deutschen, Afghanen, Somaliern, einem Schweizer und einem Iraker. Seine Mitspieler nennen ihn „CR7“, weil er fast immer eines seiner beiden Ronaldo-Trikots trägt. Probleme? „Gibt es eigentlich nie. Wir alle lieben Fußball. Es ist lustig, bei einem Gegentor hört man manchmal Flüche auf vier oder fünf Sprachen, auch wenn der Trainer uns sagt, wir sollen auf dem Platz alle Deutsch reden“.

Fußball, Kumpels, ein Wiesn-Besuch mit der Mannschaft. Hamdi lebt eigentlich wie ein ganz normaler Teenager. Dazu gehören natürlich auch Mädchen und die Liebe. Seit kurzem hat er eine Freundin, sie geht mit Kevin in die Klasse und hat einen Vater aus Kasachstan. Als ich ihn frage, was die beiden so zusammen unternehmen, schaut Hamdi mich leicht geschockt an. „Nicht so“, lache ich und auch er muss lachen. „Ach so, ich dachte schon“, sagt er. „Na ganz normale Sachen. Kino oder zusammen essen oder uns mit den anderen treffen.“

Streit gebe nur ganz selten, „zum Beispiel, wenn ich James Bond gucken will und sie irgendeinen Film für Frauen.“ Ich muss grinsen, als er das sagt, Teenager-Probleme hat er und das, obwohl seine Familie weit weg von ihm ist. Obwohl unklar ist, ob sie nachkommen können und wann. Und trotzdem wirkt er glücklich. Etwas, was nicht viele Deutsche von sich behaupten können, obwohl sie alles haben.

Nur einmal sei er angegangen worden, da habe er „schon Angst gehabt“. Auch deswegen will er kein Foto von sich machen lassen und auch seinen Nachnamen nicht verwendet wissen. Es war in der U-Bahn, er war spätabends nach dem Fußball-Training mit Arjun unterwegs, das ganze passierte noch vor den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln. „Da war eine Gruppe von Betrunkenen. Sie haben uns geschubst und gesagt, dass sie uns umbringen wollen. Dass wir ja die deutschen Frauen in Ruhe lassen, weil sie uns sonst fertig machen und mit einem Messer töten.“

Dann grinst er mich irritierenderweise an und sagt: „Aber fucking idiots gibt es immer. Die Deutschen sind sehr nett zu mir.“ Deswegen will er auch bleiben und „vielleicht Architektur studieren. Wie mein Vater“.
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Bildquelle: Jeremy unter CC by 2.0