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Stellungswechsel: Warum dir Geschlechtskrankheiten nicht peinlich sein sollten

Sex und Feminismus, das passt nicht zusammen? Doch, wie unsere Kolumne „Stellungswechsel“ beweist. Nadine Kroll befasst sich mit den Fragen, die junge Menschen und speziell Frauen, die gerade ihre Sexualität entdecken, ganz besonders beschäftigen. Es geht um gesellschaftlichen Wandel, Selbstbestimmtheit, neugewonnene Freiheiten, Frauenrechte und natürlich ums Ficken, kurz: um sexpositiven Feminismus und darum, dass sich niemand für seinen Körper oder seine Vorlieben schämen muss.

Geschlechtskrankheiten werden gerne verheimlicht – und das nicht nur vor Freunden oder sogar Partnern. Oft dauert es Monate, bis Betroffene zum Arzt gehen, obwohl sie unter den Symptomen leiden. Sie riskieren dadurch nicht nur eine Verschlimmerung der Erkrankung, sondern auch die Ansteckung anderer Menschen. Nicht aus Böswilligkeit, sondern aus falscher Scham heraus.

Der Ruf von Erkrankungen im Intimbereich ist in den allermeisten Fällen viel schlimmer als die Krankheiten selbst – denn nahezu alle sind gut behandelbar und vor allen Dingen mit speziellen Salben oder Antibiotika vollständig heilbar. Sofern sie früh genug erkannt werden, versteht sich. Gerade aber wenn es am Geschlechtsteil juckt oder ganz und gar Schleim in eher untypischen Farben herausläuft, sollte man den Weg zur Ambulanz wagen.

Auch Menschen mit Penis können Scheidenpilz bekommen

Zu viele Menschen tun das trotzdem nicht. Dabei fangen ja Geschlechtskrankheiten nicht erst bei HIV an, sondern bereits bei Scheidenpilz. 99% aller Frauen leiden irgendwann einmal daran, denn Pilz kann unter anderem von Antibiotikum ausgelöst werden, das man beispielsweise bei einer Mandelentzündung schlucken muss. Und auch wenn es umgangssprachlich zwar „Scheidenpilz“ heißt, weshalb die meisten Menschen davon ausgehen, dass nur Vagina und Vulva davon betroffen sein können, ist die Erkrankung übertragbar. Ja, ihr habt richtig gelesen: auch Menschen mit Penis können Scheidenpilz bekommen. In festen Partnerschaften, in denen keiner fremdgegangen ist und trotz Verhütung mit Kondom.

Auch HPV ist keine seltene Erkrankung. Die allermeisten Humanen Papillomviren – es gibt über 120 verschiedene Typen davon – sind harmlos. Einige wenige davon können sich jedoch durch die Bildung von Genitalwarzen äußern und im schlimmsten Fall sogar Gebärmutterhalskrebs auslösen, oder zu (zugebenermaßen sehr seltenen) Anal- und Peniskarzinomen führen. Die weit verbreitete Annahme, dass nur Frauen an Humanen Papillomviren erkranken, ist übrigens falsch.

Inzwischen wird auch für Jungen zwischen 9 und 14 Jahren eine Impfung empfohlen, die zuvor nur für Mädchen vorgesehen war. Die Ansteckung bleibt meist unentdeckt, bis Symptome – etwa in Form von Feigwarzen – auftreten, doch wenn ein Test ergeben habt, dass ihr einen der HP-Viren in euch tragt, solltet ihr unbedingt mit eurem Partner oder eurer Partnerin darüber sprechen. Auch dann, wenn es sich um sogenannte „low-risk“-Viren handelt, die nicht im Zusammenhang mit irgendwelchen Krebserkrankungen stehen.

Geschlechtskrankheiten kann man sich auch unverschuldet einfangen

Fakt ist, dass wir Geschlechtskrankheiten unbedingt enttabuisieren müssen. Ganz egal, ob es sich dabei um HIV, Hepatitis, Herpes, Chlamydien, Streptokokken, Filzläuse oder Gonorrhoe, der den meisten wohl unter der umgangssprachlichen Bezeichnung „Tripper“ geläufig ist, handelt.

Dazu müssen wir zunächst natürlich einige Vorurteile abbauen. Allen voran, dass Menschen, die an dieser Art von Viren und Bakterien erkranken, irgendwie unsauber sind. Und auch, dass es nur Menschen trifft, die ständig wechselnde Geschlechtspartner haben und nicht auf die Verhütung achten. Beides ist nämlich nicht korrekt und verstärkt zudem das Schamgefühl bei den Personen, die sich völlig unverschuldet etwas eingefangen haben. Zum Beispiel beim Besuch einer Sauna, im Schwimmbad, auf einer Clubtoilette oder weil sie wie bereits erwähnt aufgrund einer anderen Infektion Antibiotika schlucken mussten.

Traut euch zum Arzt zu gehen!

Nur wenn Betroffene sich trauen, zum Arzt zu gehen, kann ihnen geholfen werden. Kein Mediziner wird ein negatives Urteil über jemanden fällen, der sich mit einer Erkrankung des Intimbereichs an ihn wendet. Erst recht keiner, der auf Geschlechtskrankheiten spezialisiert ist. Egal wie schlimm es also gerade untenrum bei einem selbst aussieht: Man kann davon ausgehen, dass besagter Arzt bereits viel Schlimmeres gesehen hat. Vor allem bei Menschen, die den Arztbesuch selbst dann noch herausgezögert haben, als ihnen bereits grüner Schleim aus Körperöffnungen floss, aus denen nun wirklich kein grüner Schleim fließen sollte. Mit einem frühzeitigen Besuch beim Onkel Doc kann so etwas vermieden werden. Ebenso wie die Ansteckung weiterer Partner, die dann wiederum weitere Partner anstecken können und so weiter und so fort.

Ja, Geschlechtskrankheiten zu haben ist unangenehm. Nicht nur wegen der körperlichen Symptome, es belastet auch die Psyche. Weil man sich irgendwie ja doch immer dafür schämt, dass ausgerechnet untenrum etwas nicht in Ordnung ist. Und immer irgendwie die Mitschuld gibt, selbst wenn es nur ein wirklich harmloser Pilz ist. Aber es sollte uns nicht peinlich sein. Denn Erkrankungen im Intimbereich können wirklich jeden treffen, genauso wie ein simpler Schnupfen. Lösen lässt sich das Problem des „Tabuthemas“ aber nur, wenn wir darüber sprechen. Mit unseren Partnern wie mit unseren Ärzten. Wenn wir aufklären und informieren. Und Leute, die an Filzläusen oder ähnlichem erkrankt sind – ob nun selbstverschuldet oder nicht – nicht länger verurteilen, sondern ihnen so begegnen, wie wir auch Menschen mit Halsschmerzen oder Schnupfen begegnen: vorurteilsfrei und unterstützend.

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