Zebrastreifen

Autoritarismus-Studie: Ausländerfeindlichkeit nimmt immer weiter zu

Es sind Zahlen, die schockieren. Grausame Zahlen, dessen Inhalt wir uns Tag für Tag immer bewusster werden, aber nicht wahrhaben wollen. Spätestens seit den Landtagswahlen 2017, allerspätestens seit den Ausschreitungen in Chemnitz und seit den Angriffen auf die jüdischen und persischen Restaurants ist es klar, dass auch Deutschland dem europaweiten Rechtsruck ausgesetzt ist. Doch in welchen Ausmaß das alles auf landesweiter Ebene Einzug gefunden hat, ist unfassbar. Aufkeimende Probleme wurden in die Schuhe der Ostdeutschen geschoben, der Westen konnte sich zurücklehnen und das Ganze aus einer sicheren Entfernung beobachten. Aber diese Probleme betreffen längst nicht mehr nur den Osten. Eine Studie der Universität Leipzig hat uns jetzt schwarz auf weiß genau das bestätigt, wovor wir uns alle seit mehr als drei Jahren „Wir schaffen das!“ viel zu lange gewehrt haben: immer mehr Deutsche wechseln ins rechte Lager.

 

Beunruhigende Zahlen

 

Natürlich sind wir (noch) längst nicht in Richtung 1945 abgedriftet, aber der Anblick der Zahlen lässt ein mulmiges Gefühl zurück. Die Langzeitstudie ist unter der Leitung von Dr. Oliver Decker und Prof. Dr. Elmar Brähler vom Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll- und der Otto Brenner Stiftung vorgestellt worden. Und die Ergebnisse zeigen ganz klar, dass Ausländerfeindlichkeit im Land immer stärker verbreitet ist. Die Studie wurde seit 2002 geführt, und es wurden 2400 Menschen zu Themen wie Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Chauvinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus befragt.

 

Ost und West unterscheiden sich drastisch

 

36 Prozent der Befragten stimmten zu, dass Ausländer nur nach Deutschland kommen würden, um den Sozialstaat auszunutzen. Dabei ist das Ost/West-Gefälle bei den Antworten sehr hoch – im Osten stimmten 47,1 Prozent mit dieser Aussage überein, im Westen 32,7 Prozent. Mehr als 25 Prozent der Studienteilnehmer würde Ausländer wieder in die Heimat zurückschicken, wenn es in Deutschland einen Mangel an Arbeitsplätzen gäbe, und nochmal 36 Prozent halten Deutschland für „gefährlich überfremdet“. Diese Einstellung sieht Studienleiter Oliver Decker als „Einstiegsdroge“ in den Rechtsextremismus, da die Hemmschwelle, den Aussagen zuzustimmen, besonders niedrig ist. Im Vergleich zur letzten Erhebung 2016 ist die Ausländerfeindlichkeit deutlich angestiegen. Der Antisemitismus ist bundesweit zwar leicht gesunken, trotzdem noch sehr verbreitet: etwa jede zehnte Person findet, dass Juden nicht nach Deutschland passen. Zusätzlich dazu hat die Abwertung anderer Gruppen umso mehr zugenommen, vor allem gegen Sinti und Roma, und Muslime. Im Osten wären eher ältere Menschen für ein rechtsautoritäres Regime, im Westen eher jüngere. Doch Vorsicht vor dem Umkehrschluss: nur weil im Osten mehr Menschen eher rechts eingestellt sind, ist der Westen noch längst nicht rein demokratisch – die Zahlen der rechten Befürworter sind auch im Westen sehr hoch.

 

Autoritarismus als Ursache für Rechtsextremismus

 

Die Studie bezog noch einen weiteren Aspekt mit in ihre Studie ein: autoritäre Persönlichkeitszüge. Diese sehen Forscher nämlich als eine der Hauptgründe für rechtsextreme Einstellungen. Autoritäre Charaktere neigen zu festgefahrenen Ideologien, die es aber gleichzeitig erlauben, sich anderen Autoritäten zu unterwerfen, an deren Macht teilzunehmen und dadurch die Abwertung anderer Gruppen fördern zu können. Dieses Merkmal weisen 40 Prozent der Befragten auf – 40 Prozent wären also bereit, ein autoritäres Regime zu unterstützen. Den Wunsch, anders-denkende Menschen auszugrenzen, teilen sogar etwa zwei Drittel: 65 Prozent stimmen dem zu. Ein weiterer Faktor ist gesellschaftliche Anerkennung: 30 Prozent der Studienteilnehmer fühlen sich als Bürger zweiter Klasse – fehlende Anerkennung eines Einzelnen sehen Forscher als weiteren Einflussfaktor für rechtsextreme Einstellungen, ebenso wie Einkommen, Bildung und Alter. Demnach sind Arbeitslose und ältere Menschen eher ausländerfeindlich und chauvinistisch veranlagt. Neben all diesen beunruhigenden Zahlen enthält die Studie auch eine gute Nachricht: im Großen und Ganzen ist die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie gestiegen – im Osten sogar mehr als im Westen.

 

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Bildquelle: Unsplash unter CCO Lizenz