Tatort für alle

Wir sind extra etwas früher dran, um gute Plätze zu bekommen. Die Kneipe ist trotzdem rappelvoll und extrem laut. Das legt sich sicher noch. Als um 20:15 Uhr das Fadenkreuz auf dem Fernseher erscheint, werden immer noch fleißig Stühle gerückt und meine gute Sicht wird bereits von einem Lockenschopf vor mir verdeckt. Was sagt Batic da, wie heißt der Tote? „Lauter!“ Kommt es da schon vom Nebentisch. Aber auch das hilft nichts. Es wird einfach zu viel gemurmelt. Während ich versuche trotzdem irgendwie mitzukommen, spielt mein Begleiter mit dem Handy. Tatort fand er schon immer uncool. Er guckt lieber Cobra 11. Zehn Minuten später will er wissen, warum der eine jetzt festgenommen wurde. Also erkläre ich es ihm und verpasse dabei, was die Pathologie rausgefunden hat. In diesem Moment beschließe ich, dass das mein erstes und letztes Tatort-Public Viewing war. Vielleicht haben Kneipe und Besucher auch einfach das Tatort-Konzept nicht verstanden.

Tatort ist einfach nicht zum „Nebenbei-Gucken“ gemacht. Das Drehbuch ist häufig so konzipiert, dass der Zuschauer mit der Zeit immer mehr Infos zum Tathergang bekommt, sodass man selbst mit ermitteln kann. Dafür muss man jedoch auch aufmerksam zuhören, was auf dem heimischen Sofa nun mal am besten funktioniert. Das ist auch der Grund dafür, dass echten Tatort Fans die Zeit von 20:15-21:45 Uhr am Sonntag heilig ist. Natürlich hat jeder seinen Lieblingstatort und es kommt auch mal vor, dass man auf den neuen Saarbrücker Tatort lieber verzichtet, weil er einfach zu klamaukig ist. Aber dafür kann man zum Glück noch auf die alten Klassiker zurückgreifen, denn ein gepflegter Schimanski-Tatort auf DVD hat noch jeden Sonntagabend gerettet.

Die Lust auf das gemeinsame Tatortschauen ist trotzdem ungebrochen. Die Fanseite des Tatorts enthält eine Liste aller Lokale in Deutschland, die sonntags den aktuellen Krimi zeigen, 360 Einträge. Zusätzlich flimmern Thiel, Ballauf und Co. auch in Hörsälen und Kinos über die Leinwand. Der Schöpfer des Tatorts, Gunther Witte, erklärt sich das Phänomen so: „Der Mensch reagiert auf Unwissen mit enormer Neugier. Dieser menschliche Trieb sorgt dafür, dass der Zuschauer in seinem Kopf mitanalysiert und mitermittelt. Kein anderes Genre kann den Zuschauer so einbinden.“ Und gemeinsam ermittelt es sich eben noch leichter. Vielleicht gebe ich dem öffentlichen Tatort-Schauen ja noch eine zweite Chance. Auf Bewährung sozusagen.

Bildrechte: Flickr Hörsaal bei „Back to the Moon“ this.is.seba CC BY-SA 2.0 Bestimmte Rechte vorbehalten