Thirtysomething: #5

Von Melanie Christina Mohr

Die Generation Y: Wir kaufen nur Bio, sind überakademisiert, rotten uns in Hipster-Vierteln zusammen und sitzen angeblich lieber im Café statt im Büro. Stimmt das? Was uns ausmacht, vereint und unterscheidet, darum geht’s hier.

Wir haben es uns gemütlich gemacht, in der, über ein Jahrzehnt designten, Seifenblase. Vieles hat bereits seinen festen Platz, anderes soll, wenn möglich, dauerhaft bewegbar sein. Irgendwo dazwischen wäre gut. Damit ich bei der nächsten Hochzeit endlich mal bei den Erwachsenen sitzen darf, Silvesterplanungen auf die lange Bank schieben kann, weil du, meine langersehnte Dauerverabredung, endlich Wirklichkeit geworden bist. Davor müsste ich aber noch mal eben kurz die Welt umreisen, meine Doktorarbeit in Ruhe und ohne Druck fertig stellen, ein paar Jahre Auslandserfahrung hinter mich bringen und mir genau überlegen, wie deine Vorstellungen irgendwie mit meinen Hand in Hand einhergehen könnten.

Denn was uns umtreibt, niemals wirklich los lässt, selbst in Phasen der scheinbaren Abstinenz heimsucht, mit ziemlicher Sicherheit ein Garant der Lebenslänglichkeit zu sein scheint, ist die Liebe, und alles was dazu gehört. Ansonsten wär’s nämlich ziemlich angenehm alleine. Weil meistens aber nicht immer ist, müssen Kompromisse fokussiert werden.

 

Virtuelle Liebe

 

Die Nummer mit der Kneipe ist tot. War sie eigentlich schon immer, auch in den Zwanzigern. Jetzt, mit Dreißig, wenn einem der Kater auch noch nach Tagen wirklich im Nacken hängt und man selbst mit einem gewissen Pegel die hochstilisierten Ansprüche nicht ignorieren kann, müssen Alternativen gefunden werden. Online-Dating zum Beispiel. Seit längerem in aller Munde, mittlerweile recht etabliert und von den Medien in der Breite durchdiskutiert, schließe ich mich dem neuen Dogma der virtuellen Liebe an. #activism

 

Profildesign

 

Selfies gehen gar nicht, deshalb kommt die beste Freundin zum Shooting vorbei. Erst werden die Haare diskutiert, der Kleiderschrank inspiziert und dann sitzt man pseudo-gelassen am Küchentisch mit Zeitung und Kaffee und posiert für Schnappschüsse. Einige Lachkrämpfe und ziemlich viele Sinnfragen später wird es dann doch das Urlaubsbild vom letzten Jahr. Beim Text wird’s tricky, aber der soll ja auch nur Interesse wecken, also wird das Lieblingszitat als Header gewählt und unten steht dann irgendwie sowas wie „weniger ist mehr“, blablablaba. #youareonline

 

Kaffee statt Wein

 

Huch, völlig unerwartet matched es auch. Das ging schnell. Nach dem Üblichen Faktencheck hast du dich auch im casual writing bewährt und da dir das mit mir genauso geht, wollen wir uns nun treffen. Wer auf Nummer sicher gehen will, wählt lieber die Kaffee-Variante statt dem Wein – hab’ ich mir sagen lassen. Erstens ist es dann draußen noch hell, sprich, man sieht viel besser und zweitens kann man das Gespräch im Anschluß an das Treffen mit völliger Sicherheit, alle Sinne beisammen gehabt zu haben, exzessiv rekonstruieren. Jetzt muss nur noch der Wochenrhythmus abgeglichen werden und schon kann’s losgehen. Wieder ein Treffer, wir können beide, generell nur samstags. Ohne zu viel hineininterpretieren zu wollen, sieht das Ganze schon recht gut aus. #hope

 

Zwei Flat White & einen Cookie

 

Du schlägst das hippe Café am Park vor. Ich komme fünf Minuten später (macht man so) und atme erleichtert auf – das Profilbild, das ich gefühlte eine Million mal angeklickt habe, entspricht der Wirklichkeit. Nach einer kurzen Umarmung bestellst du uns zwei Flat White und einen Cookie. Wir sitzen am Fenster quatschen über Lieblingskneipen, Literatur und die Bio-Box – ich bin begeistert! Das einzige was mich etwas irritiert sind deine Schuhe. Ich ertappe mich, nur noch lächelnd zu nicken, und überlege mir, warum du Business-Slipper zu einem Kaffee-Date gewählt hast? #weirdo.

 

Schmetterlingssehnsucht

 

Du hältst plötzlich inne und fragst leise: „Und wenn das schon das Höchste der Gefühle ist?“ Und da ist es plötzlich wieder, mein altes Ich, das von seinem vollgestopften Leben aufblickt und sich nach Schmetterlingen sehnt. Später schlendern wir noch durch den Park, erzählen uns, warum’s beim letzten Mal schief ging, und was wir besser machen wollen. Wir mögen uns, aber es flattert eben nicht. Die Schuhe gehen gar nicht, geb’ ich dir dann noch als Tipp mit auf den Weg. Wir tauschen Nummern und sind jetzt Freude, meistens samstags. #reality

Melanie Christina Mohr ist Autorin. Sie schreibt Kinder- und Kurzgeschichten, Texte über Religion, Gesellschaft und Kultur und arbeitet am ersten eigenen Roman. Sie hat in Bonn und London Persisch und Literatur studiert, zeichnet gerne Gedanken und fotografiert Details.

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Bildquelle: Morgan unter CC BY 2.0