Frau sitzt im Klassenzimmer

Interview mit Sprach-Dozentin: „Neugier ist eine gute Motivation“

Dies bezieht sich nun auf ein Studium, aber wie sieht es mit einem autodidaktischen Vorgehen aus? Wie sinnvoll ist das?

Das Lesen kann man alleine einfacher lernen als das Sprechen. Das liegt auch daran, dass zwischen der Alltagssprache und der Schriftsprache Chinesisch oft ein großer Unterschied besteht: Man kann sich theoretisch alle Schriftzeichen selbst beibringen, ohne ein einziges Wort Chinesisch sprechen zu können. Um das Sprechen zu lernen, ist die Praxis aber ganz besonders wichtig. Man kann sich selbst schließlich kein Urteil darüber bilden, was man richtig und was man falsch gemacht hat, wenn man keine Erfahrung mit der Sache hat. Eine App kann bei diesem Mangel nur zum Teil Abhilfe schaffen: Sie kann dir bei der Audioaufnahme inzwischen mitteilen, ob du einen Laut oder ein Wort richtig oder falsch ausgesprochen hast. Sie gibt dir aber keine Verbesserungsvorschläge und sagt dir auch nicht, worin dein Fehler lag und wie schwerwiegend er war; sie sagt dir auch nicht, ob man dich im Gespräch noch hätte verstehen können. Das alles lässt sich am besten im Austausch mit einer erfahrenden Person lernen.

Spielt das Alter beim Lernen eine große Rolle?

Das Alter spielt schon eine gewisse Rolle. Das bedeutet aber nicht, dass man mit dem etwas fortgeschrittenen Alter auch immer einen Nachteil hat. Kinder lernen einfach auf eine andere Art und Weise als Erwachsene: Kinder lernen besonders durch Nachahmung und Imitation, ohne die Theorie oder Sprachregeln hinter dem gesagten begreifen zu müssen. Dem Kind brauche ich nichts von Phonologie zu erzählen, weil es für das Kind nicht von Relevanz ist. Kinder lernen viel intuitiver, was beim Sprechen von Vorteil ist. Erwachsene machen sich viel mehr Gedanken, manchmal sogar zu viele: „Was genau war mein Fehler? Warum treffe ich den Ton nicht?“. Das muss nicht, kann aber durchaus zu einem Hindernis werden. Junge Erwachsene nutzen diese Intuition noch am ehesten und sind zudem alt genug, um komplexe Zusammenhänge begreifen und eigene Spracherfahrungen reflektieren zu können. Das bedeutet aber nicht, dass Erwachsene ab einem bestimmtem Alter nur rein rational denken können. Die Intuition ist ihnen keinesfalls abhandengekommen. Besonders beim Lernen einer neuen Sprache sollte man deshalb wieder mehr auf seine eigene Intuition vertrauen. Wenn man dann an einer Stelle mit der Intuition nicht mehr weiterkommt, kann man auf seine eigenen Erfahrungen zurückgreifen, um etwa Bezüge zu anderen, ähnlichen Sprachen herzustellen.

Vielen Dank für das Interview!

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Bildquelle: Brooke Cagle on Unsplash; CCO-Lizenz