David Bowie Tod Januar

Januar: Und der Tod hat Hochsaison

Man kommt mit dem Trauern zurzeit ja gar nicht hinterher. Ich habe inzwischen das Gefühl, als könnte ich die Push-Nachrichten von Todesmeldungen auch als Wecker benutzen. Das wäre doch zumindest auch mal eine Art, geweckt zu werden – Hey, wieder ein berühmter Schauspieler gestorben, aber du hast es geschafft, dich gibt es noch, Glückwunsch, guten Morgen, und jetzt mach was draus, du faule Sau! Und dann zieht man seine Socken an und sieht zu, dass man sich einen total persönlichen Post für Facebook ausdenkt und dazu einen Song findet, den nicht jeder kennt (bloß nicht „Modern Love“). Und der Tod von René Angélil ist jetzt auch kein Grund, Céline Dion zu spielen, eine Tragödie pro Tag reicht ja.

 

Der Tod hält keinen Winterschlaf

 

Yes, 2016 sucks so far. Am 2. Januar starb Chansonnier Michel Delpech, am 5. Januar Musiker und Komponist Pierre Boulez, am 10. Januar schied David Bowie ab, am 14. Januar Alan Rickman; noch am gleichen Tag verschwand René Angélil und Lemmy Kilmister hatte wohl schon keinen Bock mehr auf Silvester und starb am 28. Dezember. Dazwischen starben noch tausend weitere halbberühmte und völlig unbekannte Personen (höchstwahrscheinlich waren sogar ein paar unsympathische dabei). Und dann fragt man sich schon mal: Bilden wir uns das alles ein oder wird im Januar wirklich überaus freudig gestorben?

Nun, offensichtlich bilden wir uns das nicht ein – die Todesfälle berühmter Persönlichkeiten machen uns vielleicht nur bewusst, was so oder so bestattungstechnisch stattfindet. Verschiedenste Studien bestätigen, dass zu Beginn des Jahres tatsächlich die Todesraten in die Höhe steigen: Die Daten des Eurostat von 2015 belegen einen januärlichen Anstieg der Todesfälle um 18% im Gegensatz zu den vorherigen Monaten. Und auch die Domain mit dem schönen Namen www.bestattungen.de, die ihre Ergebnisse auf Daten des Statistischen Bundesamtes stützt, erklärt mir galant, dass im Januar in Deutschland circa 10.000 Tote mehr als in anderen Monaten verzeichnet werden. „Generell wird in den Wintermonaten Dezember bis März am meisten gestorben“, so der Geschäftsführer Fabian Schaaf.

 

Von post-festiver Laxheit und anderen Diagnosen

 

Unerhöhrt! Wir wollen Ursachen finden. Zunächst wäre da der Winter, ein ausgezeichneter Sündenbock, der mit kalten Temperaturen und Grippeinfektionen vor allem eh schon geschwächte und ältere Menschen dahinfegt. Außerdem könnten der Stress von Feiertagen und Jahreswechsel sowie unterbesetztes Krankenhauspersonal und die Unlust vieler Patienten, sich um diese Zeit noch um Kontrollen und regelmäßige Behandlung zu kümmern, verantwortlich für dieses Phänomen sein. Einige Spezialisten, wie laut Libération auch die Leiterin einer Studie am Inserm und Präsidentin des französischen Suizid-Präventionsprogrammes (UNPS) Françoise Facy, vermuten zudem psychologische Gründe; etwa, dass der Körper unbewusst die familienträchtige Zeit von Weihnachten und Jahreswechsel noch aushält – und dann im Januar erschöpft nachgibt. Eine post-festive Laxheit sozusagen.

Insgesamt werden in neueren Studien vor allem die natürlichen Todesursachen untersucht; von einer erhöhten Suizidrate ist wenn nur sehr vorsichtig die Rede, doch eines steht fest, der Mensch ist ein symbolisches Geschöpf: Émile Durkheim, soziologischer Suizid-Experte, beobachtete bereits 1897 das Phänomen des saisonalen Suizids und sprach von einem Frühjahrsgipfel. Interessant ist auch, dass er offenbar einen Anstieg jeweils zum Wochenanfang bemerkte – wir haben ja schon festgestellt, dass der Januar der Montag des Jahres ist und tatsächlich wird einem wahrscheinlich nie stärker bewusst, dass sich ja doch nie etwas ändern wird in diesem lächerlichen Hamsterrad, das wir Leben nennen.

 

Gruppenzwang und Januarloch

 

Doch es kann so viele Erklärungen geben: Möglicherweise entsteht daraus eine Art Gruppendynamik und man will dem Trend folgen, bevor er im Februar schon wieder out ist. Manch einer drückt sich vielleicht vor der anstehenden Steuererklärung. Und vielleicht wollen berühmte Persönlichkeiten die frische Motivation der Redakteure nutzen und suchen sich zum Sterben einen Zeitpunkt aus, zu dem die großen Medien ihre Nachrufe noch hübsch aufbereiten. Jeder weiß, dass alle Welt im Dezember was Besseres zu tun hat als Zeitungen zu lesen oder sich über das Schwinden eines Popstars den Kopf zu zerbrechen; im Januar, der Hochzeit existentiellen ennuis dagegen geht das fabelhaft, zwischen Neujahrskur und Winterdepression befeuert gelangweilte (und durch ansteigende Suizidfälle unterbeschäftigte) Steuerberater nichts so sehr, wie den Tod ihres Jugendhelden mit Filmclips und pathetisch untertitelten Zitatfotos zu betrauern. Ahnungslos sprechen wir von Konsumrückgang und Rezension, doch einer weiß die stille Zeit zu nutzen. Mit eiserner Schippe schaufelt sich der Tod unser aller Grab und wir fallen, unwissend und allein, hinein: es ist das Januarloch.

 

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Bildquelle: Jérôme Coppée unter cc by 2.0