#DeinKindAuchNicht

Toyah, 29, kämpft sabbernd gegen Kinderfotos im Netz

#kidstyle, #littlebaby, #firststeps, die Liste der Hahstags unter Baby-und Kinderfotos ist lang. Unter #babygirl gibt es weit mehr als 56. Millionen Beiträge auf Instagram. Was für Bilder unter #firstpoopinthepotty erscheinen, kann man sich wohl vorstellen. Selbst auf dem Töpfchen, eindeutig einem Ort der Privatheit, lichten Eltern ihren Nachwuchs begeistert ab – und teilen das Bild mit all ihren Followern. Aus meiner Kindheit gibt es ähnliche, heute eher peinliche Kinderfotos. Auch ich bin damals splitterfasernackt und von oben bis unten mit Schokoeis beschmiert fotografiert worden. Mit dem Unterscheid, dass mein Foto ins Familienalbum geklebt und nicht mit der ganzen Internetwelt geteilt wurde.

Baby weint, Baby schläft, Baby badet.

Fotos von nackten, weinenden Babys im Feed sind völlig okay, aber wehe man sieht einen Nippel irgendwo rausblitzen – zack, zensiert. Oder gesperrt. Das zeigt wieder mal, wie absurd unsere Gesellschaft denkt. Die Sucht nach Aufmerksamkeit und Bestätigung ist in Zeiten von Social Media wirklich nichts Neues. Auf Instagram zeigt ständig jeder, was er hat. Da müssen natürlich auch die Kleinsten herhalten, jeder noch so kleine (Kinder-)Schritt muss fotografiert und online festgehalten werden. Stolze Eltern hin oder her, geht das nicht ein bisschen zu weit?

Kinder als Mittel zur Selbstdarstellung?

„Ja, es geht zu weit“, findet Bloggerin Toyah Diebel. „Die Identität eines Kinder hat auch außerhalb von peinlichen Fotos nichts im Internet verloren. Kinder haben nicht selbst die Wahl, ob sie eine digitale Identität im Internet haben wollen oder nicht. Das entscheiden die Eltern für sie, ohne sie zu fragen.“ Grundsätzlich hat jedes Kind ein Recht auf Privatsphäre. Aber genau das wird verletzt, sobald Eltern Fotos von ihren Kindern ins Netz stellen. Das Ziel der Bloggerin ist es, mit ihrer Kampagne #DeinKindAuchNicht auf die Wichtigkeit der Privatsphäre von Kindern im Social Web aufmerksam zu machen. Ohne jegliche Bedenken und ohne Rücksicht auf die Privatsphäre posten junge Eltern Fotos und Videos ihrer eigenen Kinder, ständig und überall. „Ich verurteile vor allem Bilder, die die Privatsphäre von Kindern offensichtlich nicht respektieren. Das sind Bilder wie: Kind weint, Kind ist nackt, Kind schläft oder Kind ist verschmiert. Solche Bilder gehören nicht ins Internet.“ Wie finden Kinder das wohl, wenn ihr Kleinkinder-Dasein rund um die Uhr in den Sozialen Medien breitgetreten wird? Wenn sie zehn Jahre später Pipi-Nacktfotos von sich auf dem Insta-Kanal ihrer Eltern entdecken? „Ein Kind ist kein Gegenstand, über den man bestimmen kann.“ Für Toyah ist es schwer vorstellbar, dass Eltern derartige Fotos auch von sich selbst posten würden. Das sähe ja auch ziemlich verstörend aus, wie die Bilder ihrer Kampagne beweisen.

#DeinKindAuchNicht

#DeinKindAuchNicht

Zusammen mit Wilson Gonzales Ochsenknecht hat Toyah sich für die Kampagne fotografieren lassen, die beiden sind seit Jahren gute Freunde. „Als ich ihm von meiner Idee erzählt habe, war er sofort Feuer und Flamme. Er ist das perfekte männliche Pendant zu mir.“ Die beiden haben sich in instagram-typische Babyposen geschmissen, nackt auf dem Klo, schlafend, mit Essen verschmiert. Es gibt auch ein provokantes Still-Foto, Milch läuft aus Toyahs Mund über ihr Gesicht. Wie es für sie war solche Fotos zu machen? „Ich empfinde es als sehr unangenehm, Bilder von mir zu sehen, wie ich schlafe. Im Schlaf habe ich keinerlei Kontrolle über meine Mimik. Das ist ein so unschuldiger und reiner Moment – wenn ich so ein Bild ungefragt ins Internet stelle, dann ist das ein Eingriff in die Privatsphäre. Kein Erwachsener würde das wollen, aber bei Kinder machen es die Eltern einfach.“

#DeinKindAuchNicht

„Ich mag keine Fotos, auf denen ich schlafe“

Ihr Ziel ist es, mit den Bildern eine Diskussion zu entfachen, damit sich Eltern der möglichen Konsequenzen ihres unvorsichtigen Handelns bewusst werden. „Jeder Elternteil sollte sich fragen: Wer wird dieses Bild sehen? Gibt es Personen, bei denen ich nicht will, dass sie dieses Bild sehen? Kann ich mir vorstellen, dass das Bild von meinem Kind auf irgendeinem Server landet und in einem sexuellen Kontext verwendet wird?“ Wer sich als Mutter oder Vater diese Fragen nicht stellt, ist laut Toyah nicht nur naiv, sondern extrem fahrlässig. Die Bloggerin fordert mehr Bildung, mehr Aufklärung. Ein Großteil der Eltern hat keine Vorstellung davon, was, einmal gepostet, mit den Bildern ihrer Kinder geschieht. Generelle Verblödung? „Ich glaube es gibt zwei Arten von Eltern. Das sind einmal die, denen die Gefahren des Internets nicht bewusst sind. Gerade die muss man aufklären. Ich werfe niemandem vor, dass er seinem Kind schaden will, aber man muss sich bewusst sein, dass es im Internet Leute gibt, die ein Kinderbild mehr als nur süß finden. Und Eltern, die das wissen und die Bilder trotzdem posten sind einfach nur massiv fahrlässig.“

#DeinKindAuchNicht

Kinder haben keine Kontrolle

Seit sie schreiben kann, ist Toyah Diebel viel im Internet unterwegs. Auf ihrem Instagram-Kanal teilt sie täglich Bilder und Videos, die so gar nicht dem typischen Instagram-Beauty-Lifestyle entsprechen. Ihre Stories sind authentisch, auf Bildern zeigt sie sich meistens ungeschminkt. Kein Schickimicki, keine Selbstoptimierung, sondern sehr sehr viel Humor und Ironie. Die Bloggerin nimmt sich selbst nicht so ernst. Peinlich ist ihr auf Instagram so schnell nichts – Solange sie die Kontrolle darüber hat, was sie im Internet preisgibt und was nicht. „Wenn ich ein Bild von mir hochlade, wie ich in der Nase bohre, dann ist mir das nicht peinlich. Wenn mich aber jemand beim Nasebohren filmt und das dann hochlädt, dann ist mir das schon peinlich.“ Und genau das ist ihrer Meinung das Problem. Gerade jüngere Kinder haben diese Kontrolle nicht, können nicht selbst entscheiden, welche Inhalte sie mit der digitalen Welt teilen wollen und welche nicht.

#DeinKindAuchNicht

Sensible Daten auf dem Servierteller

Die Reaktionen vieler Eltern im Internet auf ihre Kampagne waren empört und verständnislos. Eltern glauben, die Kontrolle über die Bilder ihrer Kinder zu besitzen. „Wer glaubt, Bilder einfach so wieder aus dem Internet löschen zu können, braucht meiner Meinung nach einen Internetführerschein“, so die Bloggerin. Ein Argument, das Toyah immer wieder vorgeworfen wird, ist dass es ja auch Kinderfilme und -Werbung gibt. Ihre Rechtfertigung: „Weißt du, wie das Kind aus der Pampers-Werbung heißt, weißt du, wo es wohnt und wann es gestillt wird? Nein! Das Problem ist, bei Mama-Bloggern weißt du alles. Die präsentieren sensible Daten und Infos ihrer Kinder freiwillig auf dem Servierteller. In der Werbeproduktion gibt’s strengste Regularien, wann und wie ein Kind arbeiten darf – auf Instagram gibt’s keine Richtlinien und keiner sagt was dagegen, wenn du dein Kind 24/7 filmst.“

Und wenn Toyah Diebel selbst mal Kinder hat? „Dann würde ich sofort nen Livestream aus meinem Uterus einrichten – natürlich nicht! Hätte ich Kinder, würde ich sie nicht schon als Babys zeigen. Meine Kinder hätten bis zu einem gewissen Alter nichts im Internet verloren. Ich halte mein Privatleben raus, niemand weiß, wer mein Freund ist. Das ist mir einfach zu privat. Je mehr du dich gläsern machst, desto mehr wissen die Leute über dich, das kann ganz schnell nach hinten losgehen.“

Folge ZEITjUNG auf FacebookTwitter und Instagram!

Bildquellen: Delia Baum