„Ich will, dass dieser Staat mein Geschlecht anerkennt“
Interview: Markus Ehrlich
Der Jubel über die Entscheidung des höchsten US-Gerichts, die Ehen homosexueller Paare rechtlich gleichzustellen, ist grenzenlos: Über 30 Millionen Menschen färben in sozialen Netzwerken ihre Profilbilder regenbogenfarben, der Hashtag #lovewins wird zum viralen Dauerbrenner. Bei all der Freude gibt es aber auch Menschen, die noch immer systematisch diskriminiert werden – auch in Deutschland. Wir haben eine transsexuelle Frau getroffen.
Frau Schicklang, die USA haben die gleichgeschlechtliche Ehe rechtlich gleichgestellt. Verbessert das Urteil des höchsten amerikanischen Gerichts auch die Situation von transsexuellen Menschen?
Kim Schicklang: Nein, Transsexualität hat damit wenig zu tun und transsexuelle Menschen profitieren davon nicht. Trotzdem finde ich gut, dass da offensichtlich etwas in Bewegung geraten ist, und freue mich, dass Homosexuelle in den USA jetzt die Freiheit haben, die ihnen zusteht.
Transsexuelle Menschen stehen auch in Deutschland am Rand der Gesellschaft und kämpfen mit Klischees.
Das Problem sind die Stereotype. Es ist nicht vorgesehen, dass es Frauen mit vermännlichten Körperteilen gibt. In Fernsehfilmen zum Beispiel…
…geht es immer um Frauen, die mal Männer waren?
Richtig. Es wird in nahezu allen Filmen zum Thema die Geschichte eines Mannes erzählt, der zur Frau wird. Bebildert wird das mit den üblichen Utensilien wie schlechtem Make-up, dem Tragen von Frauenkleidung oder dem unbeholfenen Gehen in Schuhen mit hohen Absätzen. Was da erzählt wird, ist die Story von Transvestiten – verkleideten Männern. Transsexuelle Frauen sind aber Frauen mit vermännlichten Körpermerkmalen. Da wird nichts von einem Geschlecht zum anderen gewandelt. Transsexualität beschreibt eine körperliche Variation, auch wenn nicht alle wahrhaben wollen, dass es das überhaupt gibt: Frauenkörper können von Normen abweichen.
Aber eigentlich ist das doch ganz einfach: Jungs haben einen Penis und Mädels eine Vagina. Was stimmt an dieser Sichtweise nicht?
Diese Vorstellung geht davon aus, dass Frauen und Männer grundsätzlich verschiedene Menschentypen sind. Das ist gesellschaftlich zwar tief verankert und uns über Generationen so antrainiert worden, entspricht aber nicht den Erkenntnissen der Biologie. In den ersten Wochen hat ein Embryo nämlich beide Geschlechter, dann entwickeln sich die verschiedenen geschlechtlichen Merkmale. Das ist der Grund, warum Männer Brustwarzen haben oder es am Hodensack eine Naht gibt. Diese Naht heißt Raphe und wächst erst später zu. Das heißt: Sie könnte sich auch zur Vagina bilden. Es gibt verschiedene geschlechtliche Merkmale. Deswegen lässt sich auch nicht sagen, dass es da eine einzelne Linie zwischen Mann und Frau gibt. Geschlecht ist komplex.
Aber diese Körpermerkmale entwickeln sich doch schließlich in die eine oder andere Richtung.
Kein Penis, beziehungsweise keine Klitoris, ist ein verlässliches Geschlechtsmerkmal. Es gibt so viele Dinge, die wir nicht wissen und deswegen nicht verallgemeinern können. Ein Genital muss nicht die gleiche geschlechtliche Entwicklung durchgemacht haben, wie ein anderes der vielen geschlechtlichen Merkmale eines Menschen. Manche denken ja: Jungs haben einen Penis und spielen mit Autos, Mädchen haben eine Vagina und bevorzugen Puppen. So einfach ist das aber nicht. Aus meiner Sicht ist das Gehirn das einzig verlässliche Geschlechtsorgan, da es der Sitz des Bewusstseins ist. Ich bin nicht transsexuell geworden, sondern so geboren. Das Coming-Out ist immer eine Wahrheit und muss sich keiner gesellschaftlichen Norm unterordnen. Warum kann man Menschen nicht einfach glauben, dass sie wissen, wer oder was sie sind?
Die Rechtslage ist da auch schwierig oder?
Wenn jemand seine Papiere ändern will, damit der Ausweis oder Urkunden dem eigenen Geschlecht entsprechen, muss er sich von einem Gutachter eine Geschlechtsidentitätsstörung attestieren lassen. Diese besagt, dass er oder sie als Mann oder Frau leben möchte. Es wird geprüft, ob eine Frau mit vermännlichtem Körper „als Frau leben“ kann. Kommt ein psychiatrischer Gutachter zum Ergebnis, dass die Frau aus seiner Sicht dazu nicht in der Lage ist, darf der Staat sie weiter als Mann behandeln.
Haben Sie Ihre Papiere geändert?
Nein, weil ich eben kein Mann bin, der eine Frau sein möchte, so wie das heute noch verstanden wird. Ich will, dass dieser Staat mein Geschlecht anerkennt – und nicht als einen Mann, der sich wie eine Frau fühlt. Dass Frauen mit nicht normgerechtem Körper sich in Deutschland zu Männern erklären lassen müssen, die als Frau leben wollen, haben 2008 bereits die Vereinten Nationen als Paradoxon bezeichnet. Geändert hat sich in den letzten Jahren an dieser Praxis nichts. Es muss da ein gesellschaftliches Umdenken her. Man muss sich das mal vorstellen: Es wird Menschen unterstellt, dass sie nicht real sind.
Sie haben trotzdem eine Operation Ihrer Genitalien vornehmen lassen. Warum?
Ich habe die Operation aus einem anderen Grund gebraucht – nämlich um stimmig mit mir zu sein. Es mag zwar sein, dass es Frauen gibt, die mit einem Penis zwischen ihren Beinen glücklich sind, ich empfand das aber als ziemliche Einschränkung der Lebensqualität. Das hat weniger mit Ästhetik zu tun, sondern eher mit so etwas wie einer Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit. Eine außen liegende Klitoris, die so aussieht, wie ein Penis ist eben nicht ganz so prickelnd. Da leiden viele darunter. Bei mir war das auch so.
Wie lebt es sich als transsexuelle Frau in Deutschland?
Ich hatte mein Coming-Out mit 33 und davor schon mehrere Versuche. Mein Glück war dann schließlich, dass ich in meinem Umfeld viele verständnisvolle Menschen hatte, die mir geglaubt haben. Denen war klar, dass ich keinen Unsinn rede, sondern die Wahrheit sage. Natürlich wurde mir aber nicht von überall Verständnis entgegengebracht. Im Job war es beispielsweise sehr schwierig. Vor dem Outing habe ich eine Abteilung geleitet – danach halt nicht mehr.
Transsexuelle Menschen werden gerne als Freaks dargestellt. Im Orsons-Song „Horst und Monika“ beispielsweise.
Ich nehme den Orsons diesen Song aus einem Grund übel: Die Frau, von der sie da singen, existiert wirklich. Hätten sie einen fiktiven Charakter gewählt, wäre das nicht so schlimm gewesen. So sehe ich das aber als Dummheit spät-pubertierender Rapper an. Wenn man sich am Leben eines real existierenden Menschen bereichert und eine Lebensgeschichte für Profit ausschlachtet, indem man sich über diesen Menschen lustig macht und sich dabei noch nicht einmal an der Wahrheit orientiert, ist das Allerletzte.
Was muss passieren, dass diese „Freakisierung“ aufhört?
Kritische transsexuelle Menschen müssen in den Medien vorkommen und sich äußern dürfen. Anstatt das Freak-Klischee zu dreschen, müsste man sie mal zu bestimmten Themen befragen. Warum Frauen mit vermännlichten Körpern als Männer gelten beispielsweise. Bisher kommen aber meist nur Menschen zu Wort, die das Klischee über Transsexualität eher bestätigen, als zu hinterfragen. Die Stereotype werden in Deutschland aber dauerpenetriert.
Sie haben einen Spielfilm zur Thematik gedreht. Er heißt „Der Spalt“. Wovon handelt er?
Im Film geht es um die Frage, was passiert, wenn etwas oder jemand nicht den gesellschaftlichen Normen entspricht. „Der Spalt“ ist also ein Spielfilm, der sich genau mit dem Thema Transsexualität beschäftigt. Menschen stehen in unserer Welt häufig vor der Entscheidung, ob ihnen die Person oder die Norm wichtiger ist. Also: Akzeptieren sie den Menschen oder verleugnen sie ihn? Die Fragen, die der Film aufwirft, zeigen, dass es in der Gesellschaft Redebedarf zum Thema gibt.
Kim Schicklang arbeitet als Sprecherin, Redakteurin und Moderatorin. Zudem ist sie Mitglied der Initiative „ATME e.V.“, welche sich für die Rechte transsexueller Menschen einsetzt. Das Bündnis ist Herausgeber der Stuttgarter Erklärung, welche mit Betroffenen, sowie Psychotherapeuten und Medizinern erarbeitet wurde. Kim Schicklangs Film „Der Spalt“ ist momentan auf Deutschland-Tour.
Folge ZEITjUNG auf Facebook, Twitter und Instagram!
Bild: privat