yoga marie hesse

Yoga oder: Mein Dreier auf der Matte

„Ihr müsst alles loslassen, um mehr Platz für die guten Dinge in euren Seelen zu schaffen“, säuselt die Yogalehrerin und ich kann förmlich hören, wie die psychischen Lasten des Alltags von den Schultern der Kursteilnehmerin neben mir fallen. Während ihre Sorgen und Ängste in tausend Scherben zerspringen, lässt sie beharrlich die Sonne aus ihrer Leber strahlen. Ich wippe von einem Fuß auf den anderen, halte mich gedanklich an der Schulter meiner Mattennachbarin fest und versuche meiner Milz angespannt ein Grinsen zu entlocken. „Lass alles los, was dir und deiner Seele schadet, Marie“, flüstert mir die Kursleiterin über die Schulter. Mann, ja doch! Ich will ja loslassen … aber woran halte ich mich dann fest?

Meine besten Freunde

Schon seit ich denken kann, grübele ich. Was war zuerst da? Das Gedankenkarussell oder Marie? Nobody knows. Schon Lichtjahre vor meiner Adoleszenz wog ich Eventualitäten ab und sammelte Risiken sowie Vor- und Nachteile in bunten Mindmaps. Die Konsequenz dieses Verhaltens war meist, dass ich mich viel zu spät für schöne Dinge entschied oder sie einfach bleiben ließ. Man sagt ja, manche Frauen würden eine innere Göttin besitzen. Bei mir wäre das dann wohl eher eine ängstliche Grüblerin. Mit zunehmendem Alter sitzt die Angst vor Verletzungen (physisch wie psychisch), Tod oder einer Sechs in Mathe zwar nicht mehr ganz so tief, die Fragen, die mich beschäftigten, wurden dafür aber immer komplexer. Was will ich? Kinder, Studium, reisen, innerer Frieden? „Come in and find out“, sagen da einige und ich antworte: „Gern! Habt ihr auch Platz für drei?“

Herr Angst und Frau Melancholie begleiten mich schon, seit ich einen Stift in der Hand halten kann. Mal trage ich sie Huckepack, mal halten sie ein paar Meter Abstand. Seit dem Umzug ins Ausland trotteten die beiden Idioten, die ich zuvor ganz gut an der langen Leine hielt, aber wieder beharrlich auf mich zu. Hand in Hand und im Gleichschritt kamen sie mir immer näher. Zunächst konnte ich sie zwar ausblenden und in eine andere Richtung schauen, aber schon kurze Zeit später waren sie fast da. Untergehakt, wie Greenpeace-Demonstranten, formten sie eine undurchdringbare Mauer. Es gab kein Entkommen und obwohl sie nur zu zweit waren, wusste ich: Es ist vorbei, ich muss mich den Idioten wieder stellen.

Mach doch mal Yoga!

Was bei anderen zu Glück und innerem Frieden führt, kann für mich wohl nicht ganz verkehrt sein! Der Kurs war schnell gebucht, der Sport-BH festgeschnallt und die Yogamatte ausgelüftet. Ich hatte es satt, mir bei Instagram immer nur Bilder von drahtigen Yoginis anzusehen, es war an der Zeit selbst eine zu werden. Die Aufregung stieg, je näher der Tag der Wahrheit rückte. Herr Angst und Frau Melancholie waren anscheinend spontan auf einem Wochenendtrip und ich demnach so entspannt wie schon lange nicht mehr. Leider kam dann doch alles ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte.

Nachdem wir von der Kursleiterin begrüßt wurden und sie schnellen Schrittes in Richtung Musikanlage ging, lief mir der Angstschweiß schon in die Augen. Bitte, bitte keine Musik. Der Yogagott zeigte Erbarmen: keine Musik. Dafür ein Geräusch. Während im Hintergrund leise ein rauschender Wasserfall für Entspannung sorgen sollte, begann ein Krieg zwischen mir und meiner Blase. Ich weiß nicht, ob das nur bei mir so ist, aber sobald ich Wasser sehe oder höre, meldet sich der untere Bereich meines Körpers sofort. So gesehen bilden mein Geist und der dazugehörige Körper schon irgendwie eine Einheit. Es folgten verschiedene Übungen, die (wie ich jetzt weiß) auf Bildern nur leicht aussehen, in Wirklichkeit aber für Sesselpupser wie mich einer Foltermethode nahekommen. Was ich da allerdings noch nicht wusste: Das Schlimmste lag noch vor mir.

Und jetzt denken wir einfach mal an nichts!

So oder so ähnlich begleitete die Trainerin unsere an die Yogastunde anschließende Meditation. Der weiterhin vor sich hinplätschernde Wasserfall wurde nun auch noch von einer ab und an durch die Kursleiterin angeschlagenen Triangel unterstützt. Während um mich herum die Frauen im Chor atmeten und manche von ihnen sogar in kurzen Schlaf versanken (ergo: schnarchten), versuchte ich angespannt so entspannt wie möglich auszusehen. Jetzt bloß nicht auffallen!

Bimm… „Und wir blähen unsere Lungenflügel langsam auf und spüren, wie sich jede der Bronchien mit Sauerstoff füllt…“

Bimm… „und atmen aus… Unsere Schultern sinken in den Boden, die Hüftknochen liegen sanft auf der Matte, unsere Organe entspannen sich. Unser Körper lächelt von innen zufrieden nach außen.“

Bimm… Was esse ich bloß heute Abend? Wieso liegt hier eigentlich kein Teppich? Mir ist kalt. Ich habe Hunger. Ich muss auf die Toilette. Brezel? Pommes? Ich hasse Yoga.

You get the point, folks. Mein Geist machte alles, nur keine Pause. Ganz im Gegenteil hatte ich auf einmal das Gefühl, dass mein Innerstes durch diese Meditation mit Wasserfall und Triangel erst richtig in Fahrt kam. Wenn die anderen Frauen sich aber durchaus entspannen konnten… was war dann bloß falsch mit mir? „Geh doch nicht mehr hin“, sagte meine Freundin, die von Yoga ungefähr so viel hält, wie Jamie Oliver von CurryKing. Wäre eine Option. Mein naives jungfräuliches Yoga-Ich hatte aber natürlich wieder mal nicht abwarten können. Schnupperstunde? Wofür denn? Yoga hilft allen, also hilft es auch mir! Ein Halbjahres-Abo bitte.

Sechs Monate Yoga oder: 183 Tage so tun als ob

Ich zog es durch. Nein, nicht, weil ich mich beim Meditieren dann doch irgendwo selbst auf dieser Yogamatte gefunden habe. Auch nicht, weil die gewonnene physische Flexibilität meiner Seele mehr Platz ließ und meine Gedanken intensiver durch meine Membranen fließen konnten (bitte was?!). Nein, der Grund ist banal: Yoga ist teuer. Yoga ist so verdammt teuer, dass ich anscheinend tatsächlich geglaubt hatte, mit dem stolzen Einstiegspreis wäre „innerer Frieden“ kostenlos mit inbegriffen. Stimmt natürlich nicht. Yoga ist nicht das Allheilmittel gegen Frau Angst und Herr Melancholie. Zumindest nicht bei mir. Anstatt 90 Minuten lang abschalten zu können, machte ich mir 90 Minuten lang Sorgen. Sorgen darüber, dass ich meine Milz diesmal wieder nicht zum Lachen bringen kann. Dass das auffallen könnte. Sorgen darum, dass ich zwischendurch wieder pinkeln muss. Dass sie mir im Supermarkt wieder die letzten Zwiebelkäsebrötchen weggeschnappt haben, während ich hier auf dem Boden liege. Kurzum: Ich sorgte mich um alles. Was stimmt denn bitte nicht mit mir?

Du bist verrückt, aber wir lieben dich trotzdem

Neulich erzählte mir dann meine Mutter – eine (wie ich immer glaubte) begeisterte Yogakursbesucherin – von ihrem wöchentlichen Kampf mit der Matte: „Ich muss mich immer regelrecht hinprügeln, und wenn ich dann da bin, hoffe ich die ganze Zeit, dass es bald vorbei ist.“ Auch eine Freundin berichtete mir letzte Woche, dass sie ihre Sorgen beim Yoga nicht los wird. „Ich weiß echt nicht, wie die anderen das machen. Ich muss die ganze Zeit an meine To-do-Liste denken. Außerdem habe ich dabei ständig Hunger.“

Bevor der innere Hater in euch jetzt euren erleuchteten Yogi k.o. schlägt und sich auf mich stürzt: Yoga ist einfach nichts für mich als Profi-Grübler. Mein Geist kriegt die Krise, wenn ich versuche meine Gedanken gezielt auszusuchen. Zur Strafe für die zwanghafte Entspannung lässt mein Gehirn dann noch mein linkes Augenlid zucken. Yoga stresst mich und so gern ich auch mal ein Foto von mir im herabschauendem Hund bei Instagram posten möchte: Yoga is just not my cup of tea.

Frau Angst und Herrn Melancholie hat mein Ausflug in die Welt der Kobras, Kühe und Krähen übrigens überhaupt nicht interessiert. Die Arschlöcher haben sich einfach wöchentlich zu mir auf die Matte gelegt. Wenn ihnen langweilig wurde, haben sie einfach eine Runde im Gedankenkarussell gedreht und während der Meditation haben sie gekonnt in ihre kleinen Bäuche geatmet und mich dabei fest umschlungen. Zusammen haben wir dann dem Wasserfall gelauscht und an Pommes gedacht. Die Suche nach innerer Balance geht für mich also weiter. Nur eben ohne Matte.

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Titelbild: Pexels  unter CC0 Lizenz