Wir wollen immer etwas anderes und am besten gleichzeitig - Werden wir so glücklich und zufrieden? Phänomen

Und morgen grüßt das Gegenteil: Wieso wir immer etwas anderes wollen

Von Nadine Zwingel

Bin ich hier, will ich dies – bin ich dort, will ich es genau umgekehrt: Sprunghaftigkeit bestimmt meinen Alltag. Ich habe scheinbar tausend Möglichkeiten, Plan B reicht mittlerweile bis Plan Z. Plan A läuft noch, wird aber zunehmend unattraktiver. Und am Ende zählt nur, endlich glücklich zu sein; was auch immer das ist. Dabei verliere ich völlig aus den Augen, dass der Weg das Ziel sein sollte. Zumindest predigen uns das die „Phrasenmäher“. Als Antwort rolle ich mit den Augen. Typisch. Was, wenn der Weg nicht aufregend genug erscheint? „Kannst du nicht einfach mal zufrieden sein? Etwas durchziehen? Dich für Ja oder Nein entscheiden?“ Was für Scheißfragen, klar kann ich! Außer muss ich das denn?

Alles oder nichts

Fast dreißig und immer noch für kein Lebensmodell entschieden. Aber Entscheidungen fällen ist schwierig, also lasse ich mich treiben. Das fängt bei der Wahl meines Wohnortes an. Ich liebte Berlin, nie hätte ich geglaubt, diese Stadt jemals wieder zu verlassen. Trotzdem kam es anders. Jetzt liebe ich Nürnberg. Ist das nicht total uncool? „Wie, eure Supermärkte schließen um 20 Uhr? Echt jetzt?“, „Also in Berlin kannste jeden Tach feiern gehen!“, „Wow, ist das nachts immer so ruhig hier?“ So bemitleiden mich meine Hauptstadt-Freunde. Die Worte könnten genauso gut von meinem früheren Ich stammen. Die Angst, etwas zu verpassen war und ist groß. Aber warum? Lohnt es sich überhaupt, überall mitmischen zu müssen? Vielleicht sollte ich wieder zurückziehen, um es herauszufinden! Wobei – im Ausland war ich ja auch noch nicht! Diese Erfahrung sollte ich unbedingt noch machen, oder? Amsterdam, Barcelona, direkt nach New York? Moment, soeben wurde ein Zimmer im Selbstversorger-Haus in Oberhirschberg frei. Gemüse pflanzen, gemeinschaftliches Kochen und danach Lieder am Lagerfeuer singen. Sterne sehen! Seit Jahren habe ich keinen richtigen Sternenhimmel mehr gesehen. In der Stadt ist es nicht dasselbe wie auf dem Land. Ich könnte Hühner halten. Und Laufenten und Katzen … ah Shit, da fährt ja nicht einmal eine U-Bahn. Also doch nicht.

Slacklinen! Ok, ausprobiert. Und jetzt? Salsa tanzen!

Mehrere Leben leben geht nicht. Beruflich ist das auch so eine Sache: Als Kind wollte ich Steinmetz werden. Etwas mit meinen Händen machen. Spätestens als ich erfuhr, dass dies meistens nur bedeutet, Grabsteine zu schleifen, wurde der Wunsch verdrängt. Also dann eben Fotografin. Halt – irgendwie auch nicht das Richtige. Angeblich kann jeder heutzutage gute Bilder schießen. Orientierungslosigkeit treibt in die Enge. Vielleicht kann ich ja nichts wirklich gut? Allrounder braucht die Welt auch, heißt es seitens der Berufsberatung. Bäckereifachverkäuferin, Taxifahrerin, Schaufensterdekorateurin, Museumsführerin, Kindermädchen – nichts bleibt unversucht. Wann und wie erkennt man seine eigene Passion? Früher habe ich gern gemalt. Inzwischen liebe ich das Schreiben. Und meine Freizeit sowieso. Freizeit, von der ich entweder zu viel besitze, weil ich mich so schnell langweile, oder zu wenig, weil ich alles ausprobiert wissen will. Während ich noch im Yogakurs sitze, beschließe ich, lieber Motorrad zu fahren. Nach zehn Kilometern fällt mir ein: Das Gekurve ist ja auch irgendwie sinnlos. Slacklinen! Ok, ausprobiert. Und jetzt? Salsa tanzen? Nee, da ist man immer nur so gut wie sein Partner. Bouldern ist jetzt Trend! In den Hallen riecht es aber immer nach Fuß. Sammle ich eben Schallplatten und lerne Auflegen. Einsam im Wohnzimmer Musik machen ist öde. Ab zur Gitarrenstunde! Wie, dazu brauche ich Geduld? Wie viel davon, wenn ich fragen darf?

Brauchen wir überhaupt eine Beziehung oder reichen Sex und ein bisschen Nähe?

Ich möchte mich verwirklichen. Karriere machen. Bloß nicht Hausfrau und Mutter werden, dafür habe ich schließlich nicht studiert. Überhaupt sind Beziehungen nichts für Freigeister wie mich. Ein bisschen Sex und Nähe kann ich mir ja von überall holen. Oder? Wer weiß schon, ob es den passenden Deckel für jeden gibt! Vielleicht sind auch nur Nudelsiebe dabei. Und wenn alles abgetropft ist, werden sie wieder vom Topf genommen. Aber ein Kind will ich eigentlich schon einmal haben. Alleinerziehend, so muss ich keine Kompromisse eingehen. Das wäre ganz schön egoistisch. So ein Kind braucht zwei Elternteile. Also erst mal ausleben: wilder Sex, swingen, ein Dreier, homoerotische Erfahrungen sammeln. Wie im Film: sich die Kleider vom Leib reißen, Tische leer fegen und los geht’s! Am besten noch dabei beobachtet werden, es soll jeder wissen, wie arg spontan und leidenschaftlich ich bin. Aber eigentlich ist mir gerade mehr nach einem Arm. Arme sind wie Zauberei. Legt man sich hinein, dauert es höchstens dreißig Sekunden, bis man friedlich schlummert. Verdammt, das ist so „Mainstream“. Schließlich bin ich überzeugter Single – kann mich selbst umarmen. Oder ich schaffe mir einfach Katzen an und bleibe bei dem, worin ich mittlerweile am besten bin: Suchen und Meckern.

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Bildquelle: Brooke Cagle unter cc0 1.0