VaterKuckuckskinderFamilieElternSeitensprungStatistik

Kuckuckskinder: Weißt du, wer dein Vater ist?

Gewissermaßen sind Kinder ihren Eltern ausgeliefert. Schutzbefohlene, so heißt es in Gesetzestexten, wenn man es positiv formuliert. Und meistens ist das auch gut so. Doch diese Abhängigkeit bezieht sich nicht nur darauf, dass jemand das Pausenbrot schmiert, vielleicht das Studium mitfinanziert oder auch 29 Jahre nach der Geburt noch beim Umzug hilft. Unsere Eltern prägen uns auch in unseren Werten. Von ihnen schauen wir uns ab, wie Lieben aussieht, wir reiben uns an ihren politischen Meinungen, wir orientieren uns an ihrem beruflichen Werdegang. Ob wir wollen oder nicht – unsere Eltern sind Teil unserer Identität.

Doch was ist mit jenen, denen diese Sicherheit genommen wird. Kuckuckskinder leben solange im Idyll einer irgendwie skurrilen und doch liebenswerten Familie – bis dann ein Vaterschaftstest die Welt aus den Fugen reißt.

Es gibt weitaus weniger Kuckuckskinder als gedacht

Wie viele Kinder unwissend nicht bei ihrem biologischen Vater aufwachsen, ist ungeklärt. In Zeitungen liest man von Schätzungen von Kuckuckskindern zwischen fünf und zehn Prozent. Mal sprechen Buchautoren von gesicherten 10, eher von 20 Prozent. Mal werden anonyme Experten zitiert, die von einer noch größeren Dunkelziffer sprechen. Neuere Studien, wie jene vom Forscherteam um Mark Bellis sprechen von 3,7 Prozent. Es wurde die Mitte früherer Studien gebildet. Zu einer ähnlichen Ziffer kommen Professor Mark Jobling und sein Kollege Dr. Turi King, welche eine Korrelation zwischen Nachnamen und Y-Chromosomen errechneten.  Dr. Maarten Larmuseau von der Universität in Leuven und seine Co-Autoren, sprechen von weitaus weniger Kuckuckskindern. Heute wie auch in früheren Zeiten, in Europa und auf anderen Kontinenten, beträgt die Zahl eins bis zwei Prozent.

Trotzdem, laut den neusten Studien wachsen bis zu  4 von 100 Kindern nicht mit ihrem biologischen Vater auf. Und da stellt sich natürlich die Frage, warum das so ist? Warum bauen Mütter derartige Lebenslügen auf? Warum ziehen sich Väter zurück, wenn die Biologie nicht mehr als Grundlage für die Vaterschaft dient?

Es ist nicht die Jagd nach besseren Genen

Lange Zeit gingen WissenschaftlerInnen davon aus, dass es darum gehe, „bessere Gene einzukaufen“, dass die Biologie zur Rechenschaft gezogen werden müsse. Doch die Studie von Larmuseau widerlegt diesen Ansatz, da auch in früheren Zeiten, die ohne den Luxus von Verhütungsmitteln auskamen, genauso wenige Kuckuckskinder entstanden wie heute. Eine verhaltensbiologische Antwort auf die Frage, warum Frauen Männern Kinder unterschieben, gibt es wohl nicht.

Die Kulturanthropologie würde eher ein patriarchales System dafür verantwortlich machen. Erstens wird Promiskuität bei Frauen weltweit härter bestraft als die von Männern. Das fängt beim Fehlen eines Pendants zu den Worten „Hure, Nutte, Schlampe“ an (und ja, es gibt das Wort Stricher – aber wie oft wird jemand im Alltag damit beschimpft) und geht bis zu Steinigung von Frauen in anderen Kulturkreisen.

Gleichzeitig liegt auch das Thema Reproduktion auf den Schultern von Frauen. In Bali beispielsweise schicken Heilerinnen ihre Patientinnen zu jüngeren Männern, um schwanger zu werden. Grund für diese radikale Medikation ist ein Ehemann, der wegen fehlender Nachkommen prügelt. Eine Familie ohne Kinder, eine Frau, die keinen Nachwuchs liefert, werden gesellschaftlich immer noch stark kritisiert, belastet und ausgegrenzt.

… es ist die Gesellschaft.

Und den Seitensprung zu beichten, bedeutet auch, die Gesundheit und das Wohlergehen ihres Kindes, einem Kuckuckskind, zu riskieren. Auch wenn wir der Zeit, in der Männer über jeden Schritt von Frauen entscheiden durften, mehr oder weniger entflohen sind, haben es alleinerziehende Mütter auch heute noch nicht einfach. Und solange ist es doch noch nicht her, dass es in Deutschland ein „Letztentscheidungsrecht“ des Ehemanns gab, das besagte, dass er bis 1958 bei der Arbeit, dem Lohn, dem Konto oder dem Führerschein seiner Frau das letzte Wort hatte.

Wenn die sozialen Folgen für die Mutter und das Kind untragbar scheinen, ist die Lüge verständlich. Nicht nur, dass der Mythos vom untreuen Teufelsweib, das ahnungslosen Männern ein Kind unterjubelt, wohl vergisst, dass auch dazu mindestens zwei Seiten gehören. Außerdem können auch Männer untreu sein – werden mit den Folgen allerdings nicht so sehr konfrontiert wie Frauen.

Trotzdem bleibt die Frage im Raum, warum Männer so lange die Augen verschließen oder erst nach Jahren die Vaterschaft anzweifeln, um dann die Beziehung zum Kind komplett abzubrechen, den Unterhalt trotz liebevoller Momente zurück zu fordern. Wolfgang Wenger, der Sprecher für den Arbeitskreis für Kuckuckskinder der Männerpartei in Bayern war, spricht in einem Interview darüber, dass sowohl Mütter wie Väter nach der heilen Familie streben, Männer sich allerdings vom Kind abwenden, sobald die Liebe zwischen den Eltern vergangen ist: „So lange die Männer eine gute Beziehung zur Frau haben, so lange fragen sie nicht nach. Auch wenn sie vielleicht schon lange etwas ahnen.“

Anstatt zwei Vätern ist da keiner

Und wahrscheinlich gibt es gute Gründe für Mütter und Väter die Entscheidungen zu treffen, wie sie eben getroffen wurden. Aber am Ende muss klar sein, dass die Leidtragenden immer die Kinder sind. Jene, die sich auf den Goodwill ihrer Eltern verlassen müssen. Ausgeliefert und schutzbefohlen zugleich. Und Kuckuckskinder haben es besonders schwer. Anstatt wie in Patchworkfamilien zwei Väter zu haben und das irgendwie zu koordinieren, ist da niemand. Sie müssen sich damit auseinandersetzen, warum gekränkter Stolz eine jahrelange Beziehung ruiniert. Müssen sich mit der Zurückweisung ihres Vaters auseinandersetzen. Jener Person, die einem den Stromkreislauf erklärte, den Ball zu kickte, Fahrradreifen flickte. Sie müssen das Fehlen verstehen.

Die meisten von uns wissen, wer ihr Vater ist. Oder meinen es zumindest. Und dieses Wissen ist so tief und fest in uns verwurzelt und bildet schlichtweg die Basis, auf der wir aufwachsen. Egal, ob wir diesen Menschen gut oder schlecht finden. Doch nicht zu wissen, woher man kommt, macht es manchmal schwierig zu entscheiden, wohin man gehen will. Wo man überhaupt steht.

Folge ZEITjUNG auf Facebook, Twitter und Instagram!

Beitragsbild: Caroline Hernandez unter cc0 Lizenz