Mehr Internet – Mehr Bullshit – Mehr Verschwörungstheorien

Nicht erst seit den Übergriffen von Köln herrscht im Internet eine apokalyptische Grundstimmung. Ob man nun in die Comment-Section des Anonymous.Kollektiv oder auf SPON guckt: Hass macht die Runde. Am liebsten gegen Asylbewerber. Viel dagegen machen kann man nicht. Sascha Lobo hat zwar neulich einen „Hilferuf an die mindestens durchschnittlich Begabten“ geschickt und sie dazu aufgefordert, das Internet nicht den nationalen Dummbatzen zu überlassen, trotzdem wird sich an der Formel „Je dümmer, desto Social Media“ so bald nichts ändern.

Das merkt man auch an den ständig kursierenden Falschmeldungen, die man vor allem auf Facebook findet. Meist gespickt mit einem Dutzend Til-Schweiger-Gedächtnisausrufezeichen, machen sogenannte Hoaxes virtuell die Runde – rasend schnell und gefährlich inakkurat. Die Polizei Oberbayern Süd warnte am 20. Januar vor den Gefahren der „Stillen Post“ – seit Wochen müssen die Beamten Falschmeldungen dementieren, vor allem zu Verbrechen, die angeblich von Asylbewerbern begangen wurden. Im vorliegenden Fall soll ein Mädchen im oberbayerischen Landkreis Traunstein vergewaltigt worden sein. So wurde es zumindest in einem Facebook-Post verbreitet: „Und zwar von Asylanten/Flüchtlingen!!! Die Polizei, unser Freund und Helfer, hält schön den Mund und gibt nichts an die Bevölkerung raus!! Das sage ich nur SCHÄMTS EUCH!!! Diese Information stammt aus einer sicheren Quelle!!!“ Zwei Tage lang ermittelte die Polizei, ob die Geschichte wirklich stimmte – und stellte am Ende fest: „Das angebliche Sexualdelikt in einer Traunsteiner Unterführung, begangen durch mehrere Asylbewerber an einem jungen Mädchen, für dessen Geheimhaltung sich die Polizei schämen sollte, gibt es tatsächlich nicht!“

 

Nicht mehr nur Aluhutträger mit Strahlenkanonen

 

Vorfälle wie dieser sind nur die Spitze des Eisbergs. Das Geplärre über die „Lügenpresse“ hat zur Folge, dass sich immer mehr Menschen von den „indoktrinierten“ Medien abwenden und lieber das glauben, was ein irgendein angetrunkener Baggerfahrer aus Neckarsulm bei Facebook postet. „Die Nachbarin von meinem Großvater seiner Tante hat gesagt, dass die Asylanten Kinder essen!“ Hineingepustet in die unendlichen Sphären der digitalen Welt, verbreitet sich der Schwachsinn innerhalb von wenigen Stunden und schürt so Ängste, die man ohne das Internet gar nicht hätte. Und auch ohne Falschmeldungen kursiert dermaßen viel Bullshit im Netz, dass man sich in einer abgeschiedenen, WLAN-losen Hütte in irgendeinem Wald bei Trondheim verschanzen und nie wieder herauskommen möchte. Bestes Beispiel: Verschwörungstheorien. Waren sie vor einigen Jahren noch das Lieblingsthema von rauschebärtigen Aluhutträgern, die ihr Haus mit Strahlenkanonen gegen Aliens abzuwehren versuchten, werden sie heute von Prenzlberg-Muttis beim Soja-Cappuchino in der Fußgängerzone besprochen. Klar, 9/11 war gefälscht. Und Prinzessin Dianas Tod war vom britischen Geheimdienst initiiert. Oh, und die Masern-Impfung verursacht übrigens Autismus. Willst du noch einen veganen Cupcake?

Forscher der University of Kent konnten belegen, dass die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz von verschwörungstheoretischen Ideen gestiegen ist. Das habe vor allem mit dem Internet zu tun, das die Möglichkeit biete, auch komplett idiotischen Ideen eine große Öffentlichkeit bieten zu können. „Theorien, die früher höchstens an Stammtischen diskutiert wurden, finden heute durch das Internet ihren Weg in die Öffentlichkeit. Und da das Internet bekanntlich nichts vergisst, bleiben sie dort auch, und werden von Personen gelesen, die sonst keinen Kontakt mit diesen Theorien gehabt hätten“, sagt auch Giulia Silberberger. Sie hat den Blog und den dazugehörigen Negativ-Spaßpreis Der goldene Aluhut ins Leben gerufen und deckt auf, welche absurden Ideologien Verschwörungstheoretiker verbreiten – und wann das tatsächlich gefährlich werden kann.

 

Eine Spaßgesellschaft ohne Wahrheit und Vernunft

 

Es gebe eine Sehnsucht nach einer absoluten Sicht auf die Welt, schreibt der Erfurter Philosophie-Dozent Karl Hepfer in seinem Buch Eine philosophische Kritik der Unvernunft. Das kann man sogar irgendwie verstehen. Schwarz-Weiß-Denken ist angenehm und macht nicht viel Arbeit, die Vorstellung, dass „Böse Mächte“ uns von oben steuern, drängt einen in eine bequeme Opferrolle. „Die Gefühlsleistung ist: Wir sind nicht die Täter, sondern die Opfer und damit an nichts schuld“, sagt der Psychologe Thomas Kliche von der Hochschule Magdeburg-Stendal gegenüber Psychologie Heute. „Es entlastet enorm, auch von der Mühsal, politisch auf dem Laufenden zu sein und differenziert zu denken. Wir sind zu einer Spaßgesellschaft geworden, der erstens Wahrheit und Vernunft zum Opfer fallen und zweitens die Printmedien, weil es so anstrengend ist, das Zeug zu lesen.“

Grundsätzlich ist es selbstverständlich zu begrüßen, wenn Menschen abseits des Mainstreams denken, skeptisch bleiben und nicht alles schlucken, was man ihnen vorgekaut vorsetzt. Und man muss auch erkennen, dass das Wort „Verschwörungstheorie“ sich mittlerweile zu einem Kampfbegriff entwickelt hat, der oftmals angebrachten Zweifel sofort diskreditiert. „Manchmal ist das, was als Verschwörungstheorie beschimpft wird, leider die ungeschönte Wahrheit“, schreibt Tanjev Schultz auf SZ.de. „Doch oft ist es wirklich nur Schund – den viele Leute recht unterhaltsam finden.“

Unterhaltsam kann das Geblubber durchaus sein. Du glaubst an reptilienartige Wesen, die unter den Menschen auf der Erde leben und sie kontrollieren? Kein Problem, hier ist deine passende Verschwörungstheorie und eine davon absolut überzeugte Community! Leider kein Scherz: zu den sogenannten Reptiloiden sind ganze Wikis angelegt worden. Sybille Berg ist übrigens eine Reptiloide. Und Klaus Kleber auch. WACHT AUF!!!11!!

 

Einfache Wahrheiten und schnelle Lösungen

 

Die zdf-Doku Leben im Wahn zeigt anschaulich und amüsant, wer an Verschwörungstheorien glaubt – und warum. Moderator Rayk Anders trifft sich mit einer Frau, die den sogenannten Chemtrails den Kampf angesagt hat: Ria den Breejen, eine überschminkte, aber relativ normal aussehende Endfünfzigerin, glaubt, dass das Wetter mithilfe von Chemikalien gesteuert wird. Die Kondensstreifen am Himmel seien ein sicheres Zeichen dafür. „Ich bin vor ungefähr zehn Jahren auf das Thema aufmerksam geworden“, sagt sie. „Dann hab ich mich drei Tage lang auf den Balkon gesetzt und hab nur geguckt, was sich da oben tut. Da hab ich dann ganz schnell erkannt, dass da was dran ist.“ Das Militär sei dafür verantwortlich. „Um Krieg mit dem Wetter zu führen. Wer das Wetter kontrolliert, der kontrolliert so ziemlich alles.“ Außerdem habe das Versprühen der Chemikalien einen negativen Einfluss auf die Gesundheit. „Wir sind ja praktisch lebende Antennen mit diesen ganzen Nanopartikeln, die wir in unseren Körpern tragen.“

Bleibt die Frage: wenn so eine Waffe existiert – warum führt die Welt überhaupt noch normale Kriege? Und sind die Symptome, die Chemtrailgläubige gerne anführen – Kopfschmerzen, Schwindel, steifer Nacken – wirklich der Beweis für eine Existenz von Chemtrails? „Das finde ich ja besonders mysteriös“, kommentiert Anders sarkastisch, „dass Flugzeuge zu beobachten einen steifen Nacken hervorruft.“

 

Der klischeehafte Verschwörungstheoretiker ist weiblich, arm und ungebildet

 

Wie der Glaube an Verschwörungstheorien überhaupt entsteht, erforschen Wissenschaftler schon seit vielen Jahren: „Du suchst vor allem nach Mustern, die irgendwie logisch erscheinen“, so der Psychologe Dr. Sebastian Bartoschek gegenüber Anders. „Und dann suchst du irgendwann nur noch Fakten, die deine Sicht bestätigen – und bist der Widerlegung nicht mehr zugängig.“ Bartoschek hat im Rahmen seiner Doktorarbeit fünf Merkmale herausgearbeitet, die viele Aluhutträger gemeinsam haben: die Person ist weiblich, gläubig, extremistisch, hat einen niedrigen Bildungsstand und ein geringes Einkommen. Anders gesagt: Wenn jemand an Verschwörungstheorien glaubt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass mehrere dieser Fakten auf ihn zutreffen. Diverse Studien bestätigen Bartoscheks Theorie. Unsicherheit, etwa nach einem Terroranschlag, kann die Verbreitung irrationaler Erklärungsmodelle ebenfalls anfeuern, das wiesen kalifornische Wissenschaftler 2013 im Magazin Psychological Science nach. Wen wundert es also, dass sich zur Zeit so viele Menschen in abstrusen Theorien verstricken?

Giulia Silberberger bestätigt das. „Besonders ‚in‘ sind immer Verschwörungstheorien mit aktuellem politischen Bezug. Die Flüchtlingskrise zum Beispiel. Da werden Chemtrails gesprüht, damit sich das europäische Klima erwärmt und sich die Flüchtlinge wohl fühlen, oder der Flüchtlingsstrom wurde von den Obrigkeiten und Eliten gesteuert, um Europa in einen Bürgerkrieg zu stürzen.“ Theorien, bei denen sich normal denkenden Personen die Fußnägel hochrollen, verteidigen Aluhutträger „wie ein religiöser Eiferer seinen Glauben. Man selbst wird als ‚dumm‘ bezeichnet, solle aufwachen und werde es auch noch merken dass man im Unrecht war.“ Es ist das Pippi-Langstrumpf-Prinzip: Ich mach mir die Welt, widde-widde-wie sie mir gefällt.

 

Aufklären statt Auslachen

 

Zwar mag es amüsant sein, was manche Verschwörungstheoretiker so von sich geben – laut Vice haben sie auch die besten Facebook-Profile -, irgendwann ist die Grenze von „Witziger Nonsens“ zu „Gefährlich“ aber überschritten. Auch deshalb hält es Giulia Silberberger für wichtig, Aufklärung zu betreiben. „Ich kann vielleicht keinen glühenden Verschwörungsideologen überzeugen, von seinen Ansichten abzurücken. Aber eventuell kann ich deren Ansichten und Praktiken bekannt machen, um diejenigen auf die Gefahr des ideologischen Missbrauchs hinzuweisen, welche noch keine Berührungspunkte mit Verschwörungsideologien hatten.“

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Bildquelle: B Rosen via CC BY-ND 2.0