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Vom Leben mit einem Babyface

Von Apfel van Cooper

 

Früher hatte ich unglaubliche Angst vorm Älterwerden – oder besser gesagt: vorm Altsein. Ich bekam regelrechte Panik bei dem Gedanken daran, meinen jugendlichen Glanz eines Tages zu verlieren, was hauptsächlich daran lag, dass ich mir viel zu viel aus Äußerlichkeiten machte. Meine Befürchtungen sollten sich jedoch als unbegründet herausstellen, denn mein körperlicher Alterungsprozess scheint sich jeglicher Aufmerksamkeit von außen zu entziehen. Fast so als hätte es Latoya Jackson – oder viel eher ihr Synchronübersetzer – beim Dresdener Sempernopernball mit den Worten „sie könnten noch jünger werden“ heraufbeschworen.

 

„Haben Sie einen Ausweis dabei?“

 

Also habe ich mich an die ständige Fragerei nach meinem Ausweis beim Kauf von Ware, die nur volljährigen Menschen zur Verfügung steht, gewöhnt. Sogar der Erwerb von alkoholfreiem Bier wurde mir einst verweigert, da ich mein Ausweisdokument vergessen hatte, welches meinen Ü-18-Status bestätigen sollte. Da konnte auch der nette Herr in der Schlange hinter mir nichts bewirken, der anbot, das alkoholfreie (!) Bier für mich zu kaufen. „Bier ist nun mal Bier“, damit war die Diskussion mit der unwirschen Kassiererin beendet und ich fragte mich zugleich, ob Teenager sich heutzutage wirklich versuchten mit alkoholfreiem Bier zu besaufen. Ich schüttelte verständnislos den Kopf über einen solch unökonomischen Gebrauch von Unterhaltungspharmazeutik.

Aber auch mit Ausweis bekam ich zunehmend Probleme. „Das bist du doch nicht, der ist doch von deiner großen Schwester!“ Ich gewöhnte mich schrittweise daran, immer jünger geschätzt zu werden. Ich nahm es in Kauf, dass man mich hier und da nicht ernst nahm und versuchte jegliche Kommentare über mein anscheinend sehr kindliches Äußeres als Kompliment zu werten. Auf einer Spanienreise erkannte ich schließlich die Ursache für mein Erscheinungsbild. Plötzlich fingen auf meiner Haut an Pickel zu sprießen, die ich so von tiefst pubertären Teenagertagen nicht kannte und ein Licht ging mir auf. Ich werde immer jünger! Ein jugendliches Hautbild, welches ich früher nur belächelt hatte, verzierte nun meine eigentlich 27 jährige Haut. Ist 27 wirklich das neue 17? Oder litt ich einer sehr seltenen, aber doch weltweit bekannten Krankheit, dem sogenannten Benjamin Button Syndrom? Werde ich eines Tages wieder Windeln benötigen und aus der Flasche trinken? Die Ärzte stehen vor einem Rätsel und können mir keine prägnanten Prognosen geben – da bleibt mir wohl nichts, als mich meinem Schicksal zu fügen und abzuwarten.

 

„Fahrkarte für Erwachsene oder für Kinder?“

 

Bis dahin erledige ich meine Wege mit Kinderfahrkarten im Bus, die mir mit den Worten „Na, du bist doch unter 15!“ angeboten werden, fahre kostenlos mit Familientickets mit und erwerbe ermäßigte Theaterkarten. Zur Krönung bekam ich zu meinem 27. Geburtstag LED-Schuhe geschenkt. Ja, das sind genau die Art Schuhe, deren Sohlen in den unterschiedlichsten Farben und Rhythmen leuchten. Sogar einen Strobo-Modus kann man einstellen. Es hat auch seine Vorteile jünger zu sein als man ist, denn ich kann nun mit meinen Leuchtschuhen durch die Stadt tänzeln und niemand wird es komisch finden. Ich brauche mich außerdem nicht zu alt fühlen, um mein Leben über den Haufen zu werfen und neue Träume zu verwirklichen. Ich kann einfach sein. Am Ende des Tages befinden wir uns doch alle zwischen dem dringenden Bedürfnis nach kindlicher Freiheit und unserem Widerstand gegen einen greisen Verstand. Die Balance daraus nennt man dann Weisheit. Und ganz egal, wie alt wir sind, werden, waren oder aussehen, wir dürfen mit den Zahlen spielen, zwischen den Regeln hin und her springen und uns endlich befreien vom allgegenwärtigen Altersfaschismus.

Und sollte sich das Benjamin Button Syndrom wirklich langfristig bestätigen, hat das auch sein Positives – dann wird wenigstens der sehnliche Wunsch meiner Mutter nach einem Enkelkind erfüllt. Sie kann mich dann wieder haben: klein, kompakt und infantil. Unsere Zeit auf dieser Welt ist endlich und wir sollten sie so schön gestalten wie möglich. Also lasse ich meinen bunten Hoola Hoop Reifen um meine Taille kreisen und höre Bibi Blocksberg zum Einschlafen, während ich tagsüber versuche die Welt ein klitzekleines Stückchen besser zu machen. Benjamin Button selbst hat aus seinem kuriosen Fall das Beste herausgezogen. Mit seinen Worten will ich abschließen: „Nach meiner Meinung ist es nie zu spät oder in meinem Fall zu früh, der zu sein, der man sein will. Es gibt keine zeitliche Begrenzung. Fang damit an, wann du willst. Du kannst dich ändern oder so bleiben wie du bist. Es gibt keine Regel. Du kannst das Beste daraus machen oder das Schlechteste (…) Ich hoffe du lebst ein Leben, auf das du stolz sein kannst. Und wenn es nicht so ist, dann hoffe ich du reißt dich zusammen und fängst nochmal von vorne an.“ Touché.

Bildquelle: Anni Spratt unter cc0 Lizenz

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