Was ich beim Zocken über das Leben gelernt habe

In den 1990er Jahren haben viele von uns Essenzielles gelernt, sei es im analogen Leben oder auch mit der Spielkonsole vor dem Fernseher. Immerhin waren die 90er auch das Jahrzehnt, in dem die Grafik der bunten Fantasiewelten zunehmend in 3-D dargestellt wurde. Als Videospieler*in sah man sich auf einmal ganz neuen Möglichkeiten ausgesetzt. Frei nach der deutschen Punk-Band Extrabreit in ihrem Song „3-D“: „Die Welt ist gut, die Welt ist schlecht, ich seh mehr als ich begreifen kann“. Zeit, einmal Revue passieren zu lassen, was uns die (3-D)-Jump’n’Runs von damals über das Leben gelehrt haben.

Verlass dich nie auf deine eigene Perspektive

Mit dem Vormarsch der 3-D-Jump’n’Runs konnte man Level auf einmal viel freier erforschen. Ein Abschnitt musste nicht mehr ganz linear von links nach rechts in 2-D-Manier abgegrast werden, sondern der*die Spieler*in durfte (mal mehr, mal weniger) frei die Welt erkunden. Beste Beispiele sind hier „Super Mario 64“, „Banjo Kazooie“ und „Crash Bandicoot“, um nur drei Glanzlichter zu nennen.

Das Problem: Die Kameraführung der ersten 3-D-Jump’n’Runs lief häufig zu wünschen übrig. Zwar durfte man in der Regel selbst manuell nachjustieren. Aber dennoch „rutschte“ die Perspektive immer wieder von allein weg – fast so, als würde man vergeblich immer wieder einen Hut neu aufsetzen, während man auf einem Pferd über eine steinigen Pfad galoppiert. An eternal, never-ending struggle.

Und, ja, selbst das hochgelobte „Super Mario 64“ hatte in dieser Hinsicht seine Tücken. Ob nun Beutelratte Crash, Klempner Mario oder der gutmütige Bär Banjo, sie alle mussten gelegentlich einen solchen Pixel-Tod hinnehmen, der darauf basierte, dass wir einfach nicht sahen, wohin wir sprangen.

Und so wurde mir schon mit etwa zehn Jahren klar: Es ist alles eine Frage des Blickwinkels. Die eigene Sichtweise, die so sicher, so richtig erscheint, muss nicht unbedingt die beste sein. Verlass dich nicht nur auf die eigene Perspektive, nimm auch mal eine andere an. Dann fällst du auch nicht in den nächsten Abgrund.

Schuster, bleib bei deinen Leisten

Einer unserer liebsten Jump’n’Run-Helden hat den Übergang von 2-D zu 3-D bis heute nicht wirklich gemeistert. Er ist ziemlich blau und stachelig. Die Rede ist natürlich von Sonic, dem vermutlich schnellsten und auch kühnsten Igel, den die Medienlandschaft kennt. Mit Ausnahme von „Sonic Adventure“ und etwas später „Sonic Heroes“ gibt es kaum 3-D-Spiele mit dem rasanten Säugetier, welche tatsächlich Spaß machen. Und selbst diese beiden Beispiele haben ihren Längen.

Kurzum: Manchmal ist es besser, bei dem zu bleiben, in dem man gut ist. Tatsache: Sonic, mit all seiner Geschwindigkeit, mit all seinen brachialen Dashes, seiner tollkühnen Art und seinem immer währenden Drang nach vorn, funktioniert in 2-D einfach am besten. Deswegen haben die Neuauflagen bzw. an die alte Zeit erinnernden Spiele, die auf aktuellen Konsolengenerationen erschienen, auch am allerbesten funktioniert, wenn sie sich auf 2-D zurückbesannen. Ein echter Geheimtipp ist hier „Sonic CD“, welches eines der besten 2-D-Sonic-Spiele aller Zeiten ist. Es hatte damals nur leider das Problem, dass es für eine Zusatz-Hardware für das Sega Mega Drive erschien, das so gut wie niemand besaß. Woran das Spiel selbst, und vor allem der gute Sonic, natürlich keine Schuld trägt.

Wir lernen daraus, ich lernte daraus: Es kann sich lohnen, etwas Neues zu probieren – aber vergiss niemals, wo du herkommst und was deine Stärken sind. Auf diese kannst du dich verlassen, diese kannst du mit Selbstbewusstsein ausspielen.

Mach’s dir schwer – aber am besten mit Unterstützung

Als ich in den 1990ern Jump’n’Runs spielte, war eine Person im Grunde fast immer mit dabei: meine Schwester. Nicht nur deshalb, weil wir gern zusammen Videospiele spielten. Sondern auch weil sie, zumindest damals, einfach viel besser als ich darin war. Ein Altersvorsprung von 5 Jahren brachte schlichtweg auch einen kognitiven Vorsprung mit sich, den ich nicht aufzuholen vermochte. Aber das machte mir nix aus, denn ich war davon fasziniert, wie wir uns gemeinsam wieder und wieder an scheinbar unüberwindbaren Stellen in Jump’n’Runs die virtuellen Zähne ausbissen, bis wir es dann irgendwann schafften. Oder, sagen wir, bis sie es dann schaffte.

Das waren zum Beispiel die berühmt-berüchtigten Levels in „Donkey Kong Country“, in welchen man mit der Lore durch eine verlassene Mine fuhr und im Akkord die richtige Momente abpassen musste, um zu springen und die nächste Schiene zu erwischen. Ein wenig abgewandelt fand sich das Prinzip auch teilweise in „Yoshi’s Island“ wieder, beispielsweise in dem Level, in welchem Yoshi auf Skiern fährt. Obgleich ich also damals merkte, dass ich diese Stellen (noch) nicht allein bewältigen konnte, hat mich das nicht wirklich gestört. Ich habe mit meiner Schwester mitgefiebert und ihr die Daumen gedrückt, während sie mit ihren Daumen das Steuerkreuz und die Action-Buttons bearbeitete, um dieses verflixte Loren-Level zu meistern.

Das hat mir gezeigt: Wenn andere wachsen, wachse ich mit. Auch, wenn man dabei mal, simpel ausgedrückt, auf die Schnauze fällt. Nur, wenn man sich traut, beim Überspringen von Hürden auch mal hängen zu bleiben, überwindet man sie irgendwann auch. Ob nun bei der digitalen Hatz auf dem Bildschirm oder im richtigen Leben. Danke nochmal, Kathrin.


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Bildquelle: Unsplash; CCO-Lizenz