SMS gegen Liebe

Eine Idee Liebe: Wie Whatsapp unser Liebesleben zerstört

Natürlich kommt es auch hier wieder auf meine Beziehung zu dieser Person an. So werde ich bei einer genervten Antwort meines Partners wohl eher zweimal nachfragen, ob wirklich alles in Ordnung ist. Aber wenn es um jemanden geht, den ich kaum kenne, dann sehe ich mich heute meist nicht mehr in der Position dessen Laune zu interpretieren, denn das kostet ganz schön viel Zeit und emotionale Ressourcen, die ich im Zweifel lieber für mir nahestehende Menschen aufwenden möchte.

Aber warum interpretieren wir so gerne?

Obwohl ich in der Pubertät furchtbar gerne über den Smiley hinter einer Nachricht von Ben aus der 8b sinnierte, half mir das im Deutschunterricht tatsächlich denkbar selten weiter. So wollte mein Teenagerhirn partout nicht darauf kommen, dass die Uhr im Gedicht von Busch Vergänglichkeit andeuten sollte und auch Droste-Hülshoffs „Der Knabe im Moor“ ließ mich ratlos zurück. An einer kollektiven Begeisterung für Gedichtinterpretationen kann es also kaum gelegen haben, dass meine Freundinnen und ich so gerne über das Leben der Anderen philosophierten.

Doch woran liegt es dann?

Die erste mögliche Antwort ist so einfach, wie langweilig: Weil man es uns so beigebracht hat. Wie sollen junge Frauen auch lernen, die Nachrichten von Männern anzunehmen, wie sie sind, wenn uns bereits als Kind beigebracht wurde, dass der Junge, der uns im Kindergarten an den Haaren zieht, eigentlich nur verliebt in uns ist? Gleiches gilt übrigens für Aussagen wie: „Was sich liebt, das neckt sich“ oder die Idee, dass man sich als Frau rarmachen soll, damit der Mann einen spannend findet.

Aus genau solchen Spielchen entsteht im Erwachsenenalter nämlich eine absolut gestörte Kommunikation zwischen Mann und Frau, in der beide von Anfang an antizipieren, dass der oder die andere immer in Rätseln spricht (oder schreibt). Kommt dann noch das Smartphone hinzu, ist das Chaos perfekt. Dann wird drei Tage nach dem ersten Date nicht geantwortet, Witze werden aufgrund von fehlender Mimik nicht verstanden und auch die gute alte Ironie kann bei falschem Smiley-Gebrauch in einem Desaster enden.

Die zweite Möglichkeit liegt in unserer eigenen Unsicherheit. Wenn wir nicht glauben, dass jemand es tatsächlich gut mit uns meint, werden wir alles, was diese Person sagt, doppelt hinterfragen. Das funktioniert übrigens auch auf der Arbeit hervorragend. Eine inhaltlich neutrale Mail von der Kollegin und wir sind der festen Überzeugung, dass sie uns hasst. Die digitale Kommunikation ist schon ein Segen.

So gesehen, hat Tobi mit seiner Nachricht an Caro also in doppelter Hinsicht alles richtig gemacht. Denn anstatt das anonyme Getippe noch länger hinzuziehen und damit noch mehr Missverständnisse zu riskieren, ist er gleich in die Vollen gegangen und hat sie nach einem zeitnahen, persönlichen Treffen gefragt. Eine Win-Win-Situation für beide Seiten.

Zu dieser Einsicht kam schließlich auch Caro. Die beiden trafen sich am nächsten Vormittag zum Brunch und man soll es nicht glauben, aber Tobi war tatsächlich einfach nur ein charmanter und sehr direkter Kerl, der wenig Lust auf ewige Telefonate und Diskussionen über WhatsApp oder Tinder hatte.

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Bildquelle: cottonbro von Pexels; CC0-Lizenz