Kinosaal

Die Zukunft des Kinos

Wer die Zukunft des Kinos bezweifelt, dem werden die konstanten Besucherzahlen und die gestiegenen Umsätze der deutschen Filmindustrie entgegengehalten. Doch die Zahlen sind trügerisch. Die Umsätze der Multiplexkinos werden durch Popcorn und Getränke geschönt, stellen diese doch teilweise schon mehr als ein Drittel der Wertschöpfung dar. Das jüngere Publikum wendet sich dem Kino ab und den schnelleren und vordergründig günstigeren elektronischen Medien zu. Film und Kino driften auseinander. Es werden jährlich mehr Filme denn je produziert und sie finden nicht immer den Weg ins Kino, aber trotzdem ein Publikum.

 

Die alten Rezepte verlieren

 

Aufwendige Neuproduktionen mit gigantischen Herstellungskosten und riesigem Marketingaufwand ließen 2015 zahlreiche Filme schon beim Start spektakulär floppen, allen voran „Pan“ der Warner Bros. Pictures, denen ein geschätzter Verlust von 150 Millionen Dollar prognostiziert werden. Spektakuläre Animationen und 3D-Effekte bei höheren Eintrittspreisen schrecken vor allem das jüngere Publikum ab, wenn keine guten neuen und insbesondere aktuellen Geschichten erzählt werden.

Noch mehr Effekte, noch mehr Aufgüsse alter Rezepte funktionieren nicht mehr durchgreifend. Neuerzählungen von Märchenstoffen und Remakes von Erfolgsfilmen können noch Zuschauer anlocken, wenn sie den neuen Sehgewohnheiten angepasst werden, also für junges Publikum aktualisiert werden. Das Marvel-Erfolgsrezept kann international kaum fortgesetzt werden, da unverbrauchte Comics z.B. in Europa nicht bekannt sind. Das klassische Starkino ist längst verbrannt. Zugkräftige „Jungstars“ sind nicht nicht in Sicht, auch kein neuer „Captain Sparrow“, und die Sequels werden für die Bestager fortgesetzt, bis wirklich keiner mehr für „Die hard 10“ ins Kino geht.

 

Problemfall Kinobesuch

 

Das zahlungskräftige Publikum wird mit Verwöhnfaktoren zusätzlich ins Kino gelockt, mit Begrüßungscocktails, Fingerfood, Luxussesseln und noch besserem Sound. Die Luxusvariante des Kinos, das Restaurant mit Filmvergnügen, mag seine Nische in Großstädten finden. Dem Durchschnittspublikum genügt aber laut Dr. Daniela Kloock, einer der namhaftesten Kinoforscher Europas, Effektkino mit dem Riesenbecher Popcorn als Zusatznutzen nicht mehr. Selbst die Gruppe der unter 28jährigen bricht weg und Kinder werden an die Film-Kunst nicht mehr herangeführt. Das treue Publikum des traditionellen, technisch oft nicht mehr nachgerüsteten Arthouse-Kino wächst nicht mehr nach. Der problemfreie Unterhaltungsfilm hat sich aus dem Kino zurück gezogen und seinen Platz neben dem Massenprodukt Krimi in der TV Prime Time gefunden

 

Das Kino in der Klemme

 

Noch mehr Remakes, Sequels, Comicverfilmungen und Technik, die von der Sinngebung, der oft fehlenden Erzählung des Films ablenkt? Soll das die Zukunft des Kinos sein? Zwei Drittel der Filmenthusiasten beklagen den Mangel an originellen Drehbüchern. Es wurde zuletzt zu viel Energie in neue Technik und zu wenig in Einfallsreichtum gesteckt. Fachleute wie Torsten Eggerth wecken Hoffnung und melden zugleich ihre Bedenken an. Schon auf dem Pariser Filmkongress von 2012 betonte Daniela Kloock, dass es viele Ideen gäbe und ebenso viele Zweifel.

Gegenüber der Geschwindigkeit der neuen Medien und ihren Distributionskanälen ist das System Kino zu groß und zu träge. Neue Geschäftsmodelle für den Weg von der Produktion bis zum Verleih sind (noch) nicht in Sicht. Themen und Filme für Jüngere erreichen ihr Publikum schneller über Fernsehen und Internet an beliebigen und erwünschten Orten. Der Kinobesuch wird nicht mehr zelebriert. Außerdem sind auch Erfolgsfilme per Streaming und DVD schnell und weniger umständlich im hochgerüsteten Home Cinema verfügbar.

 

Erlebnisort Kino

 

Eventkino und Filme nach dem Prinzip Video on Demand werden ins Gespräch gebracht, ebenso die Einbindung der Social Media und die riskante Entwicklung von transparenten Zuschauerprofilen. Wird das helfen? Wo bleibt da der Mythos Kino? Ein Kinobesuch muss wieder ein Event der besonderen Art werden. Dem widerspricht der „Charme von Großbahnhöfen“ vieler Multiplexe. Der Kinosaal ist im Idealfall weder Fressbude noch Plüschsalon. Er ist ein mystischer Ort, wie die Höhle unserer Vorfahren, das Zelt des Schamanen. Hier wurden Geschichten erzählt, Visionen erzeugt, eine andere Sicht der Welt gefunden, ein Blick hinter den Vorhang gesucht, wie in Platons Höhlengleichnis.

Kino ist Ort des Sehens, des Hörens und des Fühlens – ein Ort für Emotionen, für Entgrenzung. In dieser Höhle ohne weitere Ablenkungen, mit der ausschließlichen riesigen Leinwand und mit der vollständigen akustischen Einbindung, befinden wir uns für den Augenblick in einer Welt außerhalb von uns selbst und doch mittendrin. Was braucht es für dieses Erlebnis, das nur Kino kann, damit wir mit Kafka wieder sagen könnten: „Im Kino gewesen. Geweint.“?

 

Was braucht Kino?

 

Große Geschichten und großartige Drehbücher, hervorragende Kameraleute, gute Schauspieler – frische Gesichter und unverbrauchte vertraute Charaktere, mutige Verleihfirmen und vor allem Regisseure, die wie die Maestri der großen Orchester dies zusammenfügen können. Und Spielorte, die uns architektonisch und menschlich willkommen heißen und nicht

abfertigen. Das brauchen wir für die Zukunft des Kinos. Das brauchen wir wirklich für die Zukunft des Kinos. Neueste Technologie und umwerfende Effekte dürfen dies unterstützen, aber niemals übertrumpfen oder gar ersetzen wollen. Für dann mögliche Erlebnisse und unvergessliche Eindrücke werden wir wieder Bequemlichkeit und Verfügbarkeit aufgeben für den einzigartigen Erlebnisort Kino.

Bild: Direitos Urabanos unter cc-by-sa 2.0