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Oh Boy! Was müssen Männer eigentlich alles können?

Ein Sommertag im bayrischen Oberland. Es ist so heiß, dass die Straßen flirren, es ganz ruhig ist, weil alles zum Stillstand gekommen ist und die Menschen lieber in ihren mit Klimaanlagen ausgestatteten Zimmer sitzen, anstatt die 35 Grad draußen ertragen zu müssen. Nur im Freibad tobt es. Wir sind 14 Jahre alt, liegen in der Hitze, gucken zu den Mädchen aus unserer Schule rüber, machen blöde Witze und hören Good Charlotte. „Lass‘ vom Zehner springen“, sagt Marc, der Lauteste von uns.

Wenig später also stehen wir alle dort oben. Marc nimmt Anlauf und macht einen Salto, zehn Meter in die Tiefe, hoffend, dass die Mädchen ihm zusehen. Wir anderen zögern. Es ist verdammt hoch. Wir könnten einfach wieder runter gehen, aber natürlich machen wir das nicht. Denn wie sind keine Kinder mehr. Männer geben nicht auf. Also springen wir einer nach dem anderen. Mit flauem Gefühl im Magen. Marlon landet auf dem Bauch. Es klatscht bis zu uns nach oben. Es ist wie im Film. Er treibt reglos auf der Wasseroberfläche und die Mädchen kreischen. Natürlich ist er nicht tot, alles halb so wild. Aber schon damals mit 14 kam mir der Gedanke, wie bescheuert das sei, dass Mädchen einfach wieder runter hätten gehen können, Jungs aber nicht. Gerade in diesem Alter nicht, in dem man zum ersten Mal versucht, Schritte als von den Eltern abgekoppelter Mensch zu tun.

Es braucht Mut, Nein zu sagen

Viele Jahre später habe ich mit keinem aus der Freibad-Gang noch Kontakt, bin längst ausgezogen, lebe selbstständig. Wir sind älter, weniger gnadenlos, wenn einer aus der Clique sich etwas nicht traut. Und dennoch hat sich eines nicht verändert: Es gibt diesen unausgesprochenen Kanon an Dingen, die ein Mann können muss. Natürlich muss er nicht wirklich, aber alle erwarten es. Und die Liste wird immer länger. Auto fahren, Geld verdienen, Bierflaschen mit einem Feuerzeug öffnen, bei Frauen ankommen, sie dann natürlich auch befriedigen, stilsicher auftreten, Reifen wechseln, kochen, hart sein können, weich natürlich auch.

Wir leben in einer Zeit, an der an allen Ecken diese unausgesprochenen Dinge lauern, die Mann können muss. Die Bild-Zeitung veröffentlichte 2013 eine 75 Punkte umfassende Liste. Darin sinnbefreite Dinge wie das Öffnen eines BHs mit einer Hand oder das Kennen des Reinheitsgebots. Es ist gar nichts dagegen einzuwenden, diese Dinge zu können, aber man muss sie – natürlich – auch nicht können. Sie machen einen nicht zu einem besseren oder schlechteren Mann. Auch wenn genau das Filme suggerieren, Werbungen, Bücher. In ihnen ist der Mann schön, stark, mutig. Er trägt Frauen die Treppen nach oben, steht rauchend oben ohne am Bug eines Segelschiffs, fährt mit 180 Sachen durch Wälder und trinkt Wodka, ohne das Gesicht zu verziehen und während er einer Schönheit in die Augen sieht.

Zwischen der noch immer nicht abgelegten Härte, die unsere Eltern- und Großeltern Generation mit dem Mannsein in Verbindung bringt und dem „neuen Mann“, von dem allenthalben die Rede ist, muss man seinen Platz erst einmal finden, ohne sich ständig unfähig vorzukommen. Dazu braucht es Mut. Mut, Nein zu sagen. Egal, ob auf dem Zehn-Meter-Brett, zum nächsten Wodka-Shot, zum Mitfahren bei einem Betrunkenen, zum S-Bahn-Surfen. Und Mut zum Ja-Sagen. Ja zum Auch-mal-daheim-Bleiben, zum als feminin abgestempelten Drink, Ja zum Auch-mal-etwas-nicht-Können.

Weder kriechen noch treten

Denn noch immer – auch wenn der Mann heute zuhören können und Gefühle zeigen soll – sind die Erwartungen fest verankert in der Gesellschaft. Auch in unserer Generation. Wenn Frauen ganz selbstverständlich dem Mann die Sektflasche zum Öffnen geben oder das Reifen-Wechseln ihm überlassen. Das war schon immer so, scheint zentraler zu sein als wir alle zuzugeben bereit sind. Das Buch „Alles, was ein Mann wissen muss“ ist ein Bestseller. Sicher, darin mögen sich hilfreiche Tipps befinden. Aber beim Durchblättern setzte bei mir dennoch immer stärker werdendes Kopfschütteln ein.

„Wie man fremd geht, ohne erwischt zu werden“, lautet etwa eine Überschrift. Der Mann ist nur ein Mann, wenn er fast alles kann und dann als Quasi-Roboter (denn kein Mensch ist imstande, das alles zu können) über die Erde wandelt. Das suggeriert das Buch. Das suggerieren die Menschen, die auch heute noch wetttrinken, armdrücken, von Felsen springen. Das können sie gerne machen. Aber die in Ruhe zu lassen, die nicht mitmachen wollen oder können, das ist wahre Größe. Denn letztlich schöpft sich das Lachen über vermeintlich Schwächere aus nichts anderem als der eigenen Angst, nicht akzeptiert zu werden. Oder um es in Benjamin Franklins Worten zu sagen: „Ein wahrhaft großer Mann wird weder einen Wurm zertreten, noch vor dem Kaiser kriechen.“ Und das gilt im Erwachsenen-Alter noch mehr als mit 15 in der glühenden Freibad-Hitze.

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Bildquelle: Pexels unter cc0 Lizenz