Proteste USA

Rassismus: Und dann kam Dallas

Das erste Mal fiel Jojo im Kino etwas auf. Sie saß ganz hinten mit zwei Freundinnen aus der High School, aß Popcorn, trank Cola aus einem 1,5-Liter-Super-Size-Becher. Sehr amerikanisch. Sie lachten, redeten über die Jungs aus der Schule, die am nächsten Tag ein Football-Match haben würden. Später, als der Film in vollem Gange war, lachte Jojo nicht mehr. Sie schauten „Twelve Years a Slave“ im Premiere Cinema in Amarillo, einer 190.000-Menschen-Stadt im Norden von Texas. Das Popcorn schmeckte plötzlich schal, die Cola blieb unangerührt. Jojo hatte Tränen in den Augen. Denn der Film ist heftig. Sklaven werden ausgepeitscht, weiße Herren behandeln sie wie Tiere. Ihre Freundinnen aber lachten weiter. Sie lasen WhatsApp-Nachrichten von den Jungs aus ihrer Klasse. Als die Sklaven um den von Chiwetel Ojiofor großartig gespielten Solomon Northup ihrer Verzweiflung in emotionalem Gesang Ausdruck verliehen, lachten sie auch. „Albern“, sagten sie später über die Szene, bei der Jojo fast geweint hätte.

 

Nicht offen rassistisch, aber mindestens unsensibel

 

Im November 2014 war das. Jojo, die kleine Schwester einer guten Freundin, besuchte die Amarillo High School im Zuge eines Auslandsjahrs. „Es war nicht so, dass das offen ausgelebter Rassismus war. Aber mir fiel diese Unsensibilität gegenüber dem Thema als solchem auf“, erzählt sie mir heute, fast drei Jahre später. Sie ist 19 und immer noch in Texas. Sie fand vieles fragwürdig in den Staaten, das Uni-System aber toll. Deswegen ist sie geblieben und mit ihrem Freund nach San Antonio gezogen, wo sie an den bekannten Alamo Colleges studiert. Seit diesem Moment im Kino hat sie diverse Male Alltagsrassismus miterlebt. Mal ausgeübt durch Worte, wenn einige ihrer Mitschüler bei einem Basketballspiel den besten Spieler des Gegners permanent rassistisch beschimpften und ein Mal auch durch Gewalt, als ein paar Chaoten vor ihren Augen vor einem Burger King einen Mann zu Boden schlugen und ihn als „Scheiß-Neger“ beschimpften.

Sie hat sich auch an Zeitungsmeldungen gewöhnt. Denn in den USA passiert ständig etwas. Schüsse. Oder die Geiselnahme in einem Walmart ihres ehemaligen Wohnortes Amarillo. „Man hat das gelesen und hingenommen“, sagt Jojo. Was sich in den vergangenen Tagen allerdings in Dallas zutrug, sei schlimmer gewesen. „Ich habe fassungslos vor dem Fernseher gesessen.“ Was war passiert? Nachdem zwei Schwarze von Polizisten erschossen worden waren, hatte es gewaltsame Proteste in Dallas gegeben, während denen fünf Polizisten erschossen wurden. Das ganze Land stand und steht plötzlich unter Schock, Obama versucht sich in Tagen, die an das Chaos nach Martin Luther Kings Ermordung 1968 erinnern, in Zweckoptimismus: „Ich glaube fest daran, dass Amerika nicht so gespalten ist, wie es manche darstellen.“ Auf seiner Trauerrede in Dallas kritisiert er die vielen Waffen. Auch deshalb haben viele Angst, besonders die Älteren, die mitbekamen, wie die Gewalt damals eskalierte.

 

„Krass, wie meine Freunde sich äußern“

 

Und die Jungen? „Es ist schon krass, wie manche meiner Freunde sich äußern“, sagt Jojo. Ihre Freunde, das sind in der Regel Weiße aus der oberen Mittelschicht. Gebildet, behütet aufgewachsen. „Ein Freund, der in einer sehr ländlichen Gegend aufgewachsen ist, sagte nach den Polizisten-Morden: ‚Jetzt zeigen die Schwarzen ihr wahres Gesicht’“, erzählt Jojo mir am Telefon. Sie ist geschockt, andere Freunde beschwichtigen. „Er ist eben sauer“, sagen sie. Dabei ist das Hauptproblem ein anderes: „Einzelne, die radikal denken, gibt es überall. Krass ist aber, dass viele meiner Freunde sich mit den Polizisten solidarisieren und die Täter der gesamten Protestbewegung zuschreiben.“