Bahnhofs Verabschiedung

Die 9-Euro-Ticket-Beziehung

Das Ende des Jahres ist immer auch die Zeit des Geschichtenerzählens, vor allem über die Dinge, die uns das Jahr über bewegt haben. Heute geht es um die Geschichte von Tyler und Olivia. Sie führt uns zurück in den Sommer 2022, in eine Zeit, in der man einfach noch für 9 Euro mit den Öffis und Regios rumfahren konnte. Wie zahlreiche andere Studierende nutzten auch Olivia und Tyler das Angebot intensiv, wenn auch auf eine andere Art und Weise.

Zwei gewöhnliche Studierende

Tyler war quasi schon fertig mit seinem Bachelorstudium, er hatte nur noch zwei Kurse im Stundenplan und diese auch noch überwiegend online. Deshalb zog er Anfang des Jahres aus der kleinen Studentenstadt in die zwei Stunden entfernte Großstadt und plante von dort seine letzten Hausarbeiten und die Abschlussarbeit zu schreiben.

Olivia, die das Studium gleichzeitig mit Tyler angefangen hatte, brauchte noch ein paar mehr ECTS. Sie ging manchmal einfach lieber ihrer künstlerischen Ader nach: malte, nähte oder spielte Gitarre. In ihrer 8er-WG, nahe der Uni fühlte sie sich wohl, auch wenn das Haus etwas heruntergekommen war.

Trotz des parallelen Studiums waren sich die beiden während den vorangegangenen Semestern nie bewusst begegnet. Und auch im Sommersemester 2022 fand der gemeinsame Kurs nur online statt. Vielleicht hatte Tyler einfach nie ein Auge für sie, weil er seit 2020 in einer glücklichen Beziehung war.

In dieser war er auch noch als der erste Kontakt zu Olivia zustande kam – es handelte sich um das klassische Uni-Seminar-Kontaktaufnehmen: „Hey, hast du schon wen für das Projekt?“. Zunächst tauschten sie nur online ihre kreativen Gedanken für das gemeinsame Uniprojekt aus. Der Vibe passte und es bereitete ihnen große Freude, sich über die schnöseligen Mitstudierenden im Kurs lustig zu machen.

Ein ereignisreicher Sommer

Im Juni trennten sich Tyler und seine Freundin, da sich die beiden die anstehende Fernbeziehung nicht vorstellen konnten. Er kam überraschend gut damit zurecht, denn der Sommer hatte nach der Corona-Durststrecke endlich wieder viel Action zu bieten. Wenn Tyler abends nach Hause kam, chattet er manchmal noch bis spät in die Nacht mit Olivia.

Und so kam es, dass er für das ein oder andere überflüssige Präsenzmeeting in seine Uni-Stadt zurückkehrte. Ohne das Zusammenspiel aus 9-Euro-Ticket und der interessanten Bekanntschaft dort, hätte er das wohl nicht gemacht. Schließlich hatte er als Student nicht viel Geld und seine vorherige Beziehung wegen räumlicher Distanz nicht weitergeführt.

Das erste Treffen mit Olivia war ein vorsichtiges aber durchaus vielversprechendes Abchecken. Das zweite Date war dann schon deutlich geladener und das, was viele klassischerweise unter dem dritten Date verstanden hätten. Darauffolgend nutzten die beiden das Sonderangebot der Regierung, um sich regelmäßig zu treffen, erst mit akademischem Vorwand und dann einfach so. Sie kochten, lernten, lachten und Netflix & chillten dabei zusammen viel.

Das Gespräch darüber, wie es für die Zwei weitergehen sollte, schoben sie zunächst möglichst weit auf. Doch spätestens mit dem absehbaren Ende des 9-Euro-Tickets näherte sich ein ungewolltes Ultimatum. Sie würden nicht so weiter machen können. Während Olivia sich mehr vorstellen konnte, ruderte Tyler langsam weg von einem größeren Commitment. Er wollte nicht schon wieder in einer Beziehung landen und das Problem mit den teuren Fahrtpreisen beschäftigte ihn auch.

Tyler merkte, dass schon allein der Gedanke daran, was ihn der Kontakt in einer materiellen und emotionslosen Währung wie dem Euro kosten würde, kein gutes Zeichen ist für eine engere gemeinsame Zukunft sein konnte. Ohne es wirklich zu wissen, trafen sich Olivia und Tyler Ende August, vor ihren jeweiligen Sommerurlauben, ein letztes Mal.

Das etwas andere Datingfazit

Wenn das 9-Euro-Ticket geblieben wäre, hätte man vielleicht gegenseitig weitere Seiten von sich kennenlernen können und wäre noch auf einen Nenner gekommen. Vielleicht hätte es aber auch nichts geändert und der Zeitpunkt, an dem man feststellen muss, man ist nicht genauso investiert wie sein Gegenüber, wurde nur nach vorne gezogen. Wie ausschlaggebend das 9-Euro-Ticket für den Ausgang ihres Verhältnisses ist, wissen Tyler und Olivia beide nicht so richtig, doch ohne dieses hätten sie die aufregende Reise wohl nicht angetreten.

Sie stellen fest: Günstige Tickets fördern zwischenmenschliche Beziehungen, die dank der DB-Reise-Strapazen und spätestens mit der Rückkehr von exorbitanten Preisen direkt auf ihre Standfestigkeit geprüft werden können.

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Bildquelle: Jonathan Borba via Pexels, CC0-Lizenz