Mädchen, Straße, Rücken

The Dress Is Not An Invitation: Warum das Aussehen rein gar nichts mit sexuellen Übergriffen zu tun hat

„Du bist doch selbst schuld, wenn du dich so kleidest.“
„Man darf halt nicht provozieren.“

Ich höre schon das Blut in manchen Adern kochen. Opfer sexueller Gewalt müssen sich Sätze dieser Art aber recht oft anhören. Dabei hat das nichts mit dem eigenen Aussehen zu tun, sondern einzig und allein mit der pervertierten Denkweise anderer Menschen. Eigentlich sollten wir theoretisch auch nur im Bikini auf der Straße herumlaufen dürfen, ohne dass jemand auf die Idee kommt, das sei eine „Einladung“. Aber die Realität sieht leider ganz anders aus.

Vor kurzem ist auch Ariana Grande Opfer dieser Art von Doppelstandard geworden. Bei der Beerdigungszeremonie der verstorbenen Aretha Franklin trat Grande auf, und wurde vor laufender Kamera vom Pastor Charles Ellis III an der Brust berührt. Seine Entschuldigung lässt auf keine besonders gute Reflektionsgabe schließen, da er sein Verhalten allenfalls als „zu freundlich“ bezeichnet. Viele Menschen standen Grande zur Seite, ein beträchtlicher Teil der Tweets aber scheint sich eher darüber zu echauffieren, dass sie einen „viel zu kurzen Rock“ anhatte. Bei weitem ist das nicht der erste Fall gewesen, wo sexuelle Übergriffe mit Kleidung in Verbindung gebracht werden.

 

Fälle sind allseits bekannt

 

Es ist absoluter Bullshit, von Mädchen und Frauen zu verlangen, dass sie sich nicht freizügig kleiden sollen, um damit keine Männer zu provozieren und deren „Gelüste“ zu verstärken. Mit einem kurzen Rock und/oder tiefen Ausschnitt laufen Frauen also Gefahr, als Freiwild gebrandmarkt zu werden? Mayim Bialik vertritt in einem Kommentar für die New York Times die Meinung, dass sie für sich selbst „schützende Maßnahmen vor sexueller Belästigung vorgenommen hatte, zum Beispiel sich nicht freizügig zu kleiden oder mit Männern zu flirten“. Mit ihrer Meinung, dass „das eben die Welt sei in der wir leben, und Frauen nicht so naiv sein sollten“, zog ihr Text einen enormen Shitstorm auf sich – das Internet war not amused. Indirekt gab sie damit freizügig gekleideten Frauen die Schuld an Übergriffen. Auch wenn die Schauspielerin ihre Aussagen missverstanden und aus dem Kontext gerissen empfindet, und ein paar Passagen später zurückrudert, wird ihre Meinung zum Thema sehr deutlich. Nämlich, dass Kleidung und Aussehen eine übergeordnete Rolle in sexueller Gewalt spielen. Aber Frauen wurden schon lange vor #MeToo Opfer sexueller Gewalt, lange vor dem Minirock und lange vor dem Push-up BH.

Im Jahr 2006 kam ein Täter straffrei davon, weil das Opfer ihn unter „einladenden Umständen“ getroffen haben soll. Der Richter schob die Tat im Grunde auf das Opfer, das sich zum Zeitpunkt der Tat in einem Top, Minirock und High Heels bekleidet war, und zudem stark geschminkt war. Inwiefern das jetzt eine Einladung war? Im Jahr 2011 riet der Polizist Michael Sanguinetti einer Gruppe Studentinnen „sich nicht wie Schlampen anzuziehen, um sich nicht zum Opfer zu machen“. Die Designerin Donna Karan verteidigte Harvey Weinsteins Taten, indem sie behauptete, dass viele Frauen ihm durch ihre Kleidung Signale gesendet haben sollen. Und die Liste geht traurigerweise ins Unendliche. Dieser ganze Irrglaube führt oft auch dazu, dass die Opfer die Schuld bei sich selbst suchen und nicht beim Täter, oder die Tat erst gar nicht melden.

 

Vorsicht vor dem Generalverdacht

 

Der Doppelstandard zwischen Männer und Frauen ist längst nichts Neues. Männer, die besonders viele Partner/innen hatten, gelten als Frauenhelden und Knallkönige, aber wenn Frauen im zweistelligen Bereich landen, dürfen sie sich oft auf schiefe Blicke gefasst machen. Aber es wäre genau so falsch, alle Männer unter Generalverdacht zu stellen, weil das eben auch für diejenigen Männer eine Beleidigung ist, die Frauen nicht als Objekte sehen und Klamotten als das ansehen, was sie nun mal sind: Klamotten. Es ist anmaßend, diese Männer mit jenen Triebtätern und Vergewaltigern unter einen Hut zu stecken, die ihre kranken Fantasien in der realen Welt auszuleben versuchen. Rein biologisch gesehen ist es auch gar nicht möglich, dass jemand alleine durch Klamotten so erregt sei, dass er die Kontrolle über sich verliert.

 

Slut-Walks als Gegenbewegung

 

Auf den absichtlich provokant bezeichneten „Slut-Walks“ marschieren Frauen und Männer gemeinsam gegen das Stigma der Freizügigkeit und des Slut Shamings. (Die Slut Walks kamen übrigens durch das Zitat des oben erwähnten Polizisten Michael Sanguinetti zustande). Auf einer dieser Veranstaltungen war auch die Demonstrantin Samirah Rahmee, die sich ein paar extrem übergriffigen Fragen des konservativen Talk-Show-Moderators Jesse Lee Peterson stellen musste, und mit ihren selbstbewussten Antworten das Internet im Sturm eroberte. Auf den Kommentar „Sie kleiden sich wie eine Schlampe.“ antwortete sie selbstbewusst: „Nein, ich kleide mich wie eine Frau. Und eine Frau kann sich kleiden wie sie will. Ich bestimme über meinen Körper. Er ist kein politischer Spielplatz. Er gehört mir, und ist meine Zukunft.

 

Wir sind verantwortlich für das, was jetzt folgt

 

Das Gute an der Sache ist: es ist keine ausweglose Situation, in der wir uns befinden. Menschen wie Samirah Rahmee gibt es zahlreich. Es liegt eher daran, diesen Menschen eine Stimme zu geben. Wir haben Menschen zu lange aufgrund ihres Aussehens verurteilt, und wir sind jetzt in der Position, dieses Problem wieder in den Griff zu bekommen. Das klingt jetzt vielleicht nach großen, leeren Worten. Aber es wäre ein Anfang, Menschen nicht mehr zu fragen, was sie anhatten, als sie belästigt wurden. Und sich daran erinnern, dass die Rocklänge rein gar nichts über einen Menschen aussagt. Falls du jetzt schon wieder ein Stück Vertrauen in die Menschheit verloren hast, folgen zum Schluss noch ein paar Tweets, um den Optimismus in dir wieder zum Leben zu erwecken:


 

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Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz

Facebook-Bild: Screenshot Twitter