Kopfschmerzen Alina Schröder

Ein Leben mit Kopfschmerzen: „Ich werde kindlich, sentimental und fatalistisch.“

Von Alina Schröder

Ich hänge kotzend überm Klo in irgendeinem Hotelzimmer in Berlin-Charlottenburg. Es ist 9:45 Uhr. Um 14 Uhr soll ich einen Vortrag halten bei einer Messe. Seit 16 Stunden habe ich Kopfschmerzen. Jetzt haben sie ihren Höhepunkt erreicht. Dies soll kein Jammer-Brief werden, es soll nur einen Einblick geben für die Menschen, die Geschwister, Partner, Eltern oder Freunde mit chronischen Kopfschmerzen haben.

Wenn mir jemand sagt „Ich hatte noch nie Kopfschmerzen“, möchte ich ihm den Hals rumdrehen oder ihn auf den Kopf küssen. Irgendwie hat es etwas Heiliges an sich. Manchmal träume ich dann nachts davon mit dem Menschen Sex zu haben, um mir seine Kopfschmerzimmunität einzuverleiben. So ist das oft bei Sex-Träumen. Es geht nicht um Erotik, sondern darum, dass wir etwas haben wollen von dem, mit dem wir nachts schlafen. Manchmal reagieren Menschen auf meine Kopfschmerzen auch mit „Hast du genug getrunken?“. Dann möchte ich ihnen wirklich den Hals umdrehen. Und danach gibt es keinen Sex-Traum. Wenn ich meine Kopfschmerzen mit 3 Liter Wasser am Tag vermeiden könnte, würde ich 5 Liter trinken.

„Schlaf, Wetter, Ernährung, Stress, Zyklus.“

 

Es ist 11:38 Uhr. In 22 Minuten müsste ich mein Hotelzimmer verlassen. Ich habe keine Ahnung wie ich dieses Zimmer verlassen soll. Ich versuche, mir eine Banane zu organisieren. Irgendwo habe ich gelesen, dass das gegen Kopfschmerzen hilft. Lächerlich. In 2 Stunden und 22 Minuten muss ich einen Vortrag halten. Ich sage ihn ab. Ich hätte dem Publikum vor die Füße gekotzt.

Seit ich 14 bin, habe ich regelmäßig Kopfschmerzen. In der schlimmsten Phase 3 mal pro Woche. Damals hätte ich fast mein Abi abgebrochen, habe meinen Kopf an die Wand gehauen bis ich eine Platzwunde hatte. Der äußere Schmerz überblendete den inneren. Das war für ein paar Minuten gut. Ich bin von Arzt zu Arzt gelaufen. Ich habe ein CT gemacht, in der Hoffnung, dass sie einen Tumor finden. Ich weiß, wie bescheuert das klingt. Aber dann hätte es die Chance gegeben, dass sie etwas finden, es rausnehmen und ich meine Ruhe habe. Es wurde nichts gefunden und ich damit nur noch verzweifelter. „Ihre Kopfschmerzen sind mulitkausal“, sagen die Ärzte. Deswegen sind sie quasi nicht behandelbar: Schlaf, Wetter, Ernährung, Stress, Zyklus. Ich habe versucht alles auszuschließen, aber die Schmerzen blieben. Am Anfang halfen noch Aspirin, dann Thomapyrin, dann Dolormin, dann Ibuprofen. Inzwischen hilft, wenn ich Glück habe, Novalgin. Das ist allerdings verschreibungspflichtig und deswegen nicht immer verfügbar. Ich habe Yoga gemacht, Akupunktur und Nackentraining. Nichts.

 

„Ich hatte noch nie einen Kater.“

 

Es ist 12:04 Uhr. Ich konnte mein Hotelzimmer auf 14 Uhr verlängern. Ich habe mich entschuldigt und gesagt: „Ich habe furchtbare Kopfschmerzen, aber es liegt nicht am Alkohol. Ich habe nichts getrunken.“ Ich weiß nicht, ob sie mir glaubt, aber sie ist sehr nett und sagt: „Kein Problem.“ Ich mache das Fenster auf und lege ein nasses Handtuch auf meinen Kopf.

Ich habe im Laufe der Zeit gelernt mit meinem Kopfschmerzen umzugehen und gewisse Dinge zu vermeiden. Am schlimmsten ist Licht. Und die Sonne ist der Endboss. Es gibt nichts Schlimmeres als einen wolkenlosen Himmel. Dann mache ich die Rollladen runter und tue so als wäre Nacht. Ich hatte noch nie Kopfschmerzen wegen eines Katers. Ich hatte noch nie einen Kater. Die Vorstellung auch noch selbst für die Schmerzen verantwortlich zu sein, würde mich umbringen. Während einer Attacke denke ich manchmal darüber nach, mich einfrieren zu lassen oder so. Einfach nur, damit der Schmerz aufhört. Letztlich verdanke ich mein Leben auch der Tatsache, dass keiner meiner Eltern im Schützenverein war…

 

„Kopfschmerzen verändern meine Persönlichkeit.“

 

Es ist 14:35 Uhr. Ein Freund hat mir Bananen gebracht und mich mit dem Auto zum Bahnhof gefahren, damit ich nach Hause fahren kann. Die Zugfahrt wird 6 Stunden dauern. Der Zug ist voll. Ich lege mich über zwei Sitze in die 1. Klasse. Sollte der Schaffner mich in die 2. Klasse schicken, kotze ich ihm vor die Füße! Ich kann bleiben.

Kopfschmerzen verändern meine Persönlichkeit. Im akuten Fall, aber auch langfristig. Ich werde kindlich, sentimental und fatalistisch. Eine Scheißmischung. Zum Glück habe ich (in diesem Zustand) nie Drogen genommen. Ich wäre in der Klapse gelandet. Ganz sicher! Immer wieder treffe ich Menschen, die Kopfschmerzen für eine Anti-Sex-Mädchen-Ausrede halten, für selbstverschuldete Absturz-Folgen oder für einen Schmerz 2. Klasse, der mit einer Aspirin doch schnell wieder vorbei ist. Vielleicht hat einer von diesen Menschen diesen Artikel gelesen, vielleicht führt es zu irgendwas.

Es ist 19:34 und ich tippe diesen Text. Der Bildschirm tut in den Augen weh, obwohl ich ihn auf die geringste Helligkeitsstufe gestellt habe. Vielleicht versteht der Mann, der mir hier im Zug gegenübersitzt, dass die Tränen, die mir gerade vor Schmerz die Wangen runter laufen, keine Liebeskummer-Tränen sind. Vielleicht auch nicht.