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Wie der Drang nach Individualität uns alle gleich langweilig macht

Von Anna Charlotte Grabow

Alternativ. Was ist eigentlich „Alternativ“? Alternativ war vor einigen Jahren jemand, der sich anders gekleidet hat als die anderen Menschen. Jemand, der Zigaretten selbst gedreht oder Bier im Park auf einer Decke sitzend getrunken hat. Plötzlich sind wir alle alternativ. Ob Kleidungsstil, Tabakmarke oder Lieblingsgetränk. Alles wird gnadenlos in gesellschaftliche Schubladen einsortiert. Wir streben danach, unglaublich individuell zu sein, wobei sowas tendenziell völlig absurd ist, da jeder Mensch individuell ist.

Aber wie wird Individualität definiert?

Mittlerweile hauptsächlich über Kleidung, Musik und besagtes Lieblingsgetränk. „Am liebsten trinke ich Gurkenwasser mit Kohlensäure. Aber keinen Kaffee, Matcha im Müsli mit etwas Guarana-Pulver ist wirklich viel gesünder.“ Ja, wir sind alle so alternativ in dem, was wir tun, dass uns gar nicht auffällt, dass das Alternative mittlerweile zu dem wird, was früher das Mods- und Rockertum in den 1950er Jahren war. Eine massenhafte Bewegung zur allgemeinen Gleichstellung unserer Gesellschaft. Ich poste Bilder bei Instagram, ich benutze einen ganz bestimmten Filter, damit es auch „moody“ genug aussieht. Was ich poste? Meine pompös zubereiteten Speisen, meine Berge von Büchern. Wir drehen uns im Kreis, wir reihen uns in die Ansammlung von blasenartigen Gruppierungen ein, nur damit wir letzten Endes dem Gefühl des Nichtdazugehören entfliehen können.

Beginnend mit Sozialen Netzwerken geht ohnehin vieles an Kommunikation verloren. Man streiten sich über Whatsapp, man denunziert sich gegenseitig in den Kommentarspalten bei Facebook, Instagram, Twitter. Wozu? Und trotzdem bestimmen diese Banalitäten unser tägliches Handeln. 90 Minuten ohne einen Blick auf das mobile Gerät zu werfen, erscheinen beinah unmöglich, undenkbar, unfassbar. Was könnte ich denn bloß verpassen? Ein Meme? Einen Post, der mit größter Wahrscheinlichkeit mein Leben auf geringste Weise beeinflussen wird? Und dennoch ist es immer wieder beinah eklatant, wenn ein Mensch weder Facebook noch Whatsapp benutzt. Wow, so alternativ, beinah rebellisch. An dieser Stelle fragt man sich doch, wo das alles hinführt.

Ein Phänomen, das uns alle betrifft

Es ist schon fast naiv zu denken, dass man selbst von diesem Phänomen nicht sonderlich betroffen zu sein scheint. Allein die Tatsache, dass ein Großteil meiner sozialen Interaktion erst stattzufinden scheint, wenn ich besagte Netzwerke benutzt und befragt habe, lässt mich kurz innehalten. Und trotzdem bin ich so alternativ und benutze kein Whatsapp. Zusätzlich schaue ich mir gern Tutorials an, in denen mir genauestens beschrieben wird, wie ich einen „Out-of-bed-look“ frisiere. Weil wenig Input gleichzeitig genau dem entspricht, was ja den angeblichen alternativen Stil auszumachen scheint. Ist es nicht absurd und gleichzeitig naiv zu glauben, wir seien alle anders und individuell, wenn wir alle von den selben Mechanismen und Konzepten geprägt werden? Und trotzdem stellt sich mir die Frage, inwiefern ich Teil des Ganzen bin. Wie wichtig ist es mir, „alternativ“ zu sein? Oder ist das ein unbewusster Vorgang, der lediglich durch mein Umfeld den Weg dorthin zu nivellieren scheint? Ich nehme mich da gar nicht raus. Ich ernähre mich gern bewusst, benutze Instagram oder mache Yoga. Was ist denn nun also „alternativ“ an dem, was uns als „alternativ“ vorgelebt wird? Nichts.

Tatsächlich glaube ich eher, dass der Anspruch, den wir an uns persönlich stellen von dem abweicht, was wir uns einst als Ziel gesetzt haben. Das bedeutet also primär, dass wir gar nicht mehr den Anspruch zu haben scheinen „alternativ“ zu sein? Tendenziell wäre das schön. Denn abgesehen davon, dass wir ständig irgendwelchen Ansprüchen hinterher eilen, ist es befreiend sich von einigen Ansprüchen loslösen zu können. Das Uhrwerk rattert also weiter. Ein Schlag folgt auf den anderen und ich frage mich nach wie vor, ob meine Blase platzt oder ob ich sie beibehalten kann. Das wird sich zeigen. Ich mag meine Blase. Sie ist bequem. Hier kann ich sein, wie ich möchte und mache mir gar keine Gedanken darum, wie und ob ich wirke. Ist das nicht das Ziel? Wahrscheinlich schon.