Feuerwehrmann vs. Creative Director: Das Ende der Kindheitsträume
Beim Betreten des Amtsgebäudes riecht es nach Bohnerwachs und abgestandener Luft. Seit dem Bau – vermutlich in den späten 60ern – scheint sowohl an der Außenfassade als auch im Innenraum der Agentur für Arbeit nicht viel restauriert worden zu sein.
Neben Arbeitssuchenden bevölkern vor allem Orientierungssuchende die Flure des grauen Kolosses. Letztere pilgern zum Kompetenzzentrum in Sachen Berufsfindung. Das Berufsinformationszentrum, kurz BIZ, weckt Erinnerungen an die neunte Klasse. Da schien das Arbeitsleben noch fern und die Welt so unbeschwert. Heute, knapp zehn Jahr später, steht fest, dass die Zeit dann irgendwie doch rasend schnell verging und der Ernst des Berufslebens plötzlicher vor der Tür stand, als erwartet.
Die Generation unserer Eltern palavert gern, wie froh sie seien, heute keine Berufsentscheidungen mehr treffen zu müssen. Es sei ja alles so unübersichtlich und schnelllebig geworden. Auch das Nomadenverhalten, welches „die Jugend von heute“ jobbezogen an den Tag lege, sei nicht nachvollziehbar. Logisch, gerade mit diesem Generationenwechsel ging ein immenser Anstieg an Möglichkeiten einher: Neue Informationsquellen, fortschreitende Digitalisierung, damit einhergehend eine steigende Jobvielfalt. „Früher waren Entscheidungen junger Menschen viel mehr durch Werte der Beständigkeit geprägt“, so Theresa Härtter, Teamleitung BIZ München. Stimmt das? Müssen wir uns mangelnde Beständigkeit vorwerfen lassen?
Herr Krankenschwester
Bereits im Kindergarten entwickeln wir erste Phantasien, wie unser Leben als Erwachsene aussehen könnte: Polizist, Tierärztin, Feuerwehrmann, Krankenschwester – die bekannten Berufe waren begrenzt, die Auswahl fiel somit leicht.
Ab in die Spielecke: Mädchen zu den Puppen, Jungs an die Bauklötze. Dass diese Rollenbilder noch heute Einfluss auf die Berufswahl haben, ist nicht zu verklären. Im Bildungs- sowie Gesundheitswesen ist der Männeranteil nach wie vor auffallend gering: 7% der Erzieher, 13% der Krankenpfleger und sogar nur 1% der Sprechstundenhilfen sind männlich. Andersrum funktioniert dieses Spielchen ebenso gut: Lediglich ein 12%-iger Frauenanteil im Ingenieurswesen und sogar nur 5% weibliche Berufskraftfahrer auf Deutschlands Straßen (Statistisches Bundesamt, 2010). Und wann hat zuletzt ein Flugbegleiter ohne Rock das Einnehmen einer aufrechten Sitzposition gefordert?
Traumberuf Hartz IV-Fernsehen
Ein paar Jahre später pubertieren wir vor uns hin, hängen am Vorabend auf der Couch und zappen durchs Fernsehprogramm. Wie sehr wir hierbei in unserer Zukunftsplanung beeinflusst werden, ist uns zunächst gar nicht bewusst. „In den Soaps und Serien arbeiten die ganzen coolen Typen doch entweder in Werbeagenturen oder Rechtsanwaltskanzleien. Handwerker gibt es dort beispielsweise kaum.“ So durch Frau Härtter vor Augen geführt, entsteht die Frage, ob wir Trash-TV immer völlig unberechtigt verschmäht haben. Verdanken wir unsere beruflichen Ambitionen im Endeffekt RTL und Co., weil wir alle kleine Jo Gerners sein wollen? Besteht unsere Gesellschaft – gemessen an Berlin – Tag & Nacht – bald nur noch aus Barkeepern, DJs und Friseuren?
Gut, das ist vielleicht ein wenig übertrieben. Aber Fakt ist, dass tatsächlich kaum jemand von diesen hippen Soap-Charakteren einen uncoolen Job ausübt. Wobei, wer bestimmt eigentlich was ein cooler Job ist? Die Attraktivität eines Jobs bemisst sich laut der Expertin an den folgenden Faktoren: „Hohes Prestige, hoher Verdienst und gute Entwicklungsmöglichkeiten.“ 3:0 für Serien-Anwalt Gerner. Den wesentlichsten Anteil aber habe das Prestige. So lässt sich auch der seit Jahren bestehende Mangel an Nachwuchskräften im Handwerk erklären. „Aufstiegs- und gute Verdienstmöglichkeiten bietet die Branche nämlich schon, wenn man gut ist“, so Frau Härtter gegenüber ZEITjUNG.
„Wo sind all die Indianer hin?“
Würde man einen Blick in das imaginäre Poesiealbum eines Abiturienten werfen, würde die Hälfte der Verewigten die Frage „Was ich mal werden will“ wohl mit dem Klassiker „irgendwas mit Medien“ beantworten. Denn im Gegensatz zu Tischlern, Malern und Bäckern arbeiten in der Medienbrache ausschließlich „junge und schöne Menschen, die agil sind, das Leben beherrschen, einfach alles im Griff haben und am Puls der Zeit sind“. Übergeht man Frau Härtters ironischen Tonfall, könnte man sich glatt geschmeichelt fühlen.
Freundschaftsbücher aus der Grundschule lesen sich wesentlich abwechslungsreicher: ‚Tierärzte’ und angehende ‚Lehrer’ hatte jeder in seinem Sandkastenfreundeskreis, ebenso eine Handvoll ambitionierter ‚Fußballprofis’. Eine Klassenkameradin strebte mit sieben Jahren ein Leben als ‚Missionar’ an. Heute arbeitet sie als Creative Director in einer Werbeagentur. Vom Seelenheil in den Kommerz – steile Karriere. Zumindest die Option aufs unentwegte Reisen hat sie sich erhalten.
Dass naive Kinderträume oftmals nicht in Erfüllung gehen, ist klar – und auch gut. Nicht auszumalen, was passieren würde, sollte ein gigantischer Plastik-T-Rex tatsächlich durch unseren Alltag aus Legosteinen stapfen. Dennoch kommt man nicht umhin zu hinterfragen, wo die Traumjobs abgeblieben sind? Wo sind die Astronauten, Seefahrer, Seiltänzerinnen und Tierpfleger von damals? Oder um es mit den Worten von Hartmut Engler zu sagen: „Wo sind all die Indianer hin?“ Die bittere Wahrheit: Die meisten sitzen in BWL-Vorlesungen oder verzweifeln im Büro an Photoshop.
Folge ZEITjUNG auf Facebook, Twitter und Instagram!
Bildquelle: pexels.com unter CC0 Lizenz