Arbeiterkind: Weder arm noch reich

Arbeiterkind: Das klingt negativ, das klingt hart. So, als würde etwas fehlen, als hätte man Pech gehabt. Das stimmt aber nicht. Im Gegenteil. Zumindest, soweit ich es beurteilen kann.

Ich bin ein Arbeiterkind. Ich komme aus einer polnischen Arbeiterfamilie, bin im Ruhrpott aufgewachsen. Mein Vater war gut 30 Jahre Bergmann „unter Tage“, hat als Schlosser in Zechen Maschinen repariert. Meine Mutter hat alle möglichen Jobs gemacht; Sekretärin, Verkäuferin in Schreibwarenläden, war sich auch nicht zu schade, im Altersheim zu putzen. Das prägt.

Ganz normal: Jeder packt mit an

Wenn man mitbekommt, wie der eigene Vater jede Sonderschicht mitnimmt, die er kriegen kann, hat man später eine andere Beziehung zu und eine andere Wertschätzung gegenüber Geld, als der Sohn eines Anwalts oder Oberstudienrats. Nicht, dass nicht auch ein Anwalt bodenständig sein kann. Oder ein Oberstudienrat sparsam. Aber unsere Bodenständigkeit, das war die „echte“ Bodenständigkeit. Wir waren nicht reich, wir waren aber auch nicht arm. Aus dem, was wir hatten, haben wir das Beste gemacht und es vor allem wertgeschätzt.

Um mich herum war einfach immer Arbeit. Im Garten, in der Küche, bei den Nachbarn. Mama beim Tischdecken helfen, Samstagfrüh mit Mama zum Einkaufen fahren. Mit Papa für eine Geburtstagsfeier Getränke holen und Getränkekisten schleppen, Tische und Bänke aufstellen, das Grillfleisch vorbereiten. Mir wurde erst später klar, dass es in anderen Familien nicht selbstverständlich war, dass jeder mithilft, jeder anpackt. Bei uns war es das. Und es war schön. Denn Spielen, das „einfach mal Kind sein“, war ja trotzdem nicht verboten.

Selbstgeschmierte Brote und Rätselhefte

Im Urlaub waren wir in der Regel immer am gleichen Ort, in einer kleinen Pension in Österreich. Ich habe es geliebt. Wir haben uns größtenteils selbst verpflegt, mit der Wirtin der Pension waren wir, natürlich, „per Du“. Urlaub, das hieß für mich: Mit selbstgeschmierten Broten im Rucksack den Berg hinaufwandern, mit meiner Schwester zum Kiosk laufen und Rätselhefte kaufen, am Wasserfall mit Steinen werfen, Fußball spielen bis es dunkel wird. Im Keller der Pension standen immer Kisten mit Limonade. Wir durften uns jederzeit davon etwas nehmen und sollten in der Küche auf unserem Zettel einfach einen Strich für jede Flasche machen. Das sagt etwas über das Vertrauen aus, das uns entgegengebracht wurde, über die Heimeligkeit.

Wir waren während meiner Kindheit einmal in Spanien Urlaub machen, in einem Hotel. Ich habe es gehasst. Diese Anonymität, diese „Massenveranstaltung“ beim Abendessen. Man musste sich um nichts kümmern, man sollte nur am Strand und am Pool liegen, wo andere das Gleiche machten. Ich mag Hotels bis heute nicht, ich mag bis heute einen solchen Urlaub nicht. Das kann man von mir aus spießig finden. Mir ist das egal. Für mich gibt es Entspannung nur dann, wenn man sie sich vorher auch selbst verdient hat.

Später als Arbeitskind studieren zu gehen, war eine ideale Mischung. Kein Druck von außen, denn ich war der Erste in der Familie, der überhaupt studieren ging und musste mich an niemandem messen lassen. Dennoch war da mein eigener Ehrgeiz, mein „Arbeitseifer“, wenn man so will. Das war ganz wunderbar.

Heißes Frittenfett und erschöpfte Zufriedenheit

Wenn ich ehrlich bin, fühle ich mich bis heute dort wohler, wo es nach heißem Frittenfett, selbstgemachtem Krautsalat und der Zufriedenheit darüber riecht, wieder eine Woche geschafft zu haben, als dort, wo die Besserverdiener verkehren. Nun, trotz allem, ich bin kein Arbeiter. Ich werde keine Arbeiterkinder haben. Dennoch, sollte ich eines Tages selbst Kinder haben, möchte ich, dass sie genau das mitbekommen und erleben, was auch ich erfuhr. Das erdet, das impft eine gesunde Bescheidenheit und Menschlichkeit ein. Davon können wir, gerade heute, im Zeitalter der Wegwerfkultur, der Zurschaustellung in Social Media und des unheimlich schnelllebigen Alltags, vermutlich noch mehr gebrauchen, als ich damals. Das Arbeiterkind aus dem Ruhrpott.

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Bildquelle: Unsplash