Polnische Flagge

Liebeserklärung an: die Polen

Es sind die kleinen Dinge, die uns unseren tristen Alltag versüßen und das Leben ein bisschen besser machen. Ob es hübsche Gänseblümchen sind, die am Straßenrand wachsen oder eine Kugel deiner liebsten Eissorte – wir alle haben kleine Muntermacher in unserem Alltag, über die wir nur selten ein Wort verlieren. Das soll sich jetzt ändern! Wir bieten euch eine Liebeserklärung an die kleinen Dinge, die uns in stressigen Situationen retten, an schleppenden Tagen motivieren oder uns die guten Tage versüßen!

Liebe Polen,

wenn ich euch mit einer Speise vergleichen müsste, wäre es vermutlich ein großer Topf eures Nationalgerichts Bigos. Auf den ersten Blick etwas Grobes und Mächtiges. Doch dann, wenn man sich davon nicht einschüchtern lässt und probiert, erkennt man die inneren Werte: Da ist ganz viel Wärme, da ist ganz viel Herzlichkeit, da ist ganz viel Wonne.

Ab durch den Vorhang

Unabhängig voneinander kamen meine Mutter und mein Vater um 1980, jeweils knapp 20 Jahre alt, mit ihren Familien nach Deutschland. Der eiserne Vorhang war noch da, man überwand ihn (übrigens legal) mit der Hoffnung auf ein besseres Leben. Noch während die beiden ihre Deutschkurse besuchten, lernten sie sich auf einer Party kennen. Ein paar Jahre später dann die Hochzeit, kurz darauf kam meine Schwester auf die Welt. Dann wurde ein Haus gebaut, und dann, noch ein paar Jahre später, kam ich dazu. Hat geklappt mit dem besseren Leben.

Es war doch irgendwie „normal“

Meine Eltern haben ihre polnischen Wurzeln eigentlich weitgehend in ihrer Heimat gelassen. Mit meiner Schwester und mir sprachen sie kein Wort Polnisch, auch nicht miteinander. Sie wollten sich voll und ganz mit ihrer neuen Heimat identifizieren, sich assimilieren. Doch andererseits war da, wenn auch nur ganz latent, immer etwas Polnisches, was in meinem Leben und meiner Erziehung mitschwang. Das sollte ich erst später merken, denn als ich klein war, war es für mich irgendwie „normal“.

„Mama macht jetzt Bigos“

Es war ganz normal für mich, dass es nach einem Grillabend hieß: „Mama macht jetzt Bigos.“ Das bedeutete: gefühlte zehn Kilogramm Sauerkraut kommen in einen Topf, dazu schnippelt Mama das ganze übrig gebliebene Grillfleisch klein. Dazu noch Gewürze, ein großzügiger Schuss Bier. Alles in Tupperdosen und wir hatten erst mal für zwei Wochen genug zu essen. Eine Woche, wenn sie beim Kochen nicht aufpasste und mein Vater ungehindert probieren konnte.

Ironie des Schicksals oder logische Konsequenz?

Wer in einer polnischen Familie groß wird, bekommt viel Fleisch vorgesetzt, sieht auf Familienfeiern, wie Erwachsene jede Menge Alkohol genießen und muss sonntags in die Kirche. Man kann es jetzt entweder als Ironie des Schicksals betrachten, oder auch als logische Konsequenz, dass ich heute Vegetarier und Atheist bin. Und keinen Tropfen Alkohol trinke. Aber was ist dann das typisch „Polnische“, das ich so sehr mag, und was auch, das denke und hoffe ich zumindest, auch in mir steckt?

Eine unglaubliche Herzlichkeit

Das ist zum einen diese fast schon unglaubliche Gastfreundschaft und Herzlichkeit. Mit zehn, elf Jahren, war ich das erste Mal in Polen. Wir besuchten im Heimatort meiner Mutter Bekannte. Oder über zig Ecken Verwandte, wer weiß das schon so genau bei einer Familie, bei der der eigene Großvater mit neun Geschwistern aufwuchs. Jedenfalls rückten diese Bekannten/Verwandten in ihrem eigenen Haus zusammen, nur damit wir bei ihnen übernachten und Urlaub machen konnten. Ohne dafür irgendetwas zu verlangen. Sie haben uns bekocht, uns die Hand gereicht, uns mit offenen Armen empfangen.

Jeden Tag in den Wald, jeden Tag „ognisko“

Ich durfte nach Herzenslust in den Wald gehen und Holz sammeln, um jeden Abend ein Lagerfeuer zu machen. Über unserem „ognisko“, eines der ersten polnischen Wörter, das ich lernte, rösteten wir dann Kartoffeln, Würstchen und Zwiebeln. Nachbarn, die sich über den ganzen Rauch beschweren? Die gibt es nicht in einem Dorf, in dem knapp 900 Leute wohnen und jeder jeden kennt. Und jeder jedem hilft.

„Onkel Bodo baut ein Haus? Wo sind die Schubkarren, los geht’s!“

Das ist die zweite Eigenschaft, die ich als typisch polnisch bezeichnen möchte und meine Eltern an mich weitergegeben haben. Und zwar eine Mischung aus Hilfsbereitschaft und Bescheidenheit. In unserer Familie ist es ganz normal, dass man einander hilft. Und zwar nicht, weil man muss. Sondern, weil man es wirklich MÖCHTE. Was, Onkel Bodo und seine Familie bauen ein Haus? Wo stehen die Schubkarren, los geht’s! Was, die große Schwester zieht in ihre erste eigene Wohnung? Fahr schon mal den Möbelwagen vor!

Work hard, play hard

Das Gleiche gilt für Familienfeiern, bei denen bei uns beileibe nicht wenige Menschen zusammenkommen. Jeder hilft mit beim Vorbereiten, jeder hilft mit beim Aufbauen, und natürlich auch beim Aufräumen am nächsten Morgen. Dazwischen liegt das, was sich alle verdient haben: Das Zusammensein und Spaß haben. Denn genauso einsatzfreudig, wie die Polen „malochen“ können und sich gegenseitig helfen, genauso feiern sie auch. Polen trinken nicht nur viel, sondern auch alles weg. Und dich unter den Tisch. Das dürfen sie auch. Work hard, play hard.

Damit es etwas Besonderes bleibt

Polnische Bescheidenheit lehrten mich meine Eltern auch durch kleine, alltägliche Dinge, die sich einfach einprägen. Meine Schwester und ich waren abwechselnd mit den üblichen Haushaltspflichten dran: Das Geschirr abtrocknen, den Müll rausbringen, Wasser aus dem Keller holen. Videospiele habe ich in der Regel nie „einfach so“ bekommen, sondern musste mir das Geld zusammensparen. So blieb es etwas Besonderes und ich war richtig stolz, dass mein Vater mit mir dann extra ins Kaufhaus fuhr und das Sparen honorierte.

Selber schmieren und marschieren

Selbst unser Urlaub war etwas „Bescheidenes“, für das ich bis heute dankbar bin. Wir haben nur einmal „klassisch“ Urlaub in einem Hotel in Spanien gemacht. Das hat mir noch nicht mal gefallen. Viel eher aber unser typischer Urlaub. Immer in der gleichen Pension bei der gleichen Wirtin in Österreich. Nur das Frühstück haben wir serviert bekommen, ansonsten verpflegten wir uns selbst und waren den ganzen Tag unterwegs. Wo es für andere Urlaub ist, ein All-inclusive-Büffet zu plündern und den ganzen Tag am Strand zu liegen, ist es für mich Urlaub, sich morgens selbst Brötchen zu schmieren, den Rucksack zu packen und dann zu „unserem“ Wasserfall zu wandern.

„Und jetzt gleich schön so eine rohe Polnische mit Senf“

Meine Eltern haben mir beigebracht, das ist für mich einfach polnisch und aller Ehren wert, dass man sich selbst nicht allzu wichtig nimmt und die kleinen Dinge zu schätzen weiß. Das hat, ungeachtet dessen, ob man nun an Gott glaubt oder nicht, mit einer gewissen Art von Dankbarkeit und Demut zu tun. Diese Bescheidenheit kommt vielleicht am besten dadurch zum Ausdruck, was sich jedes Jahr an Heiligabend im Hause meiner Eltern abspielt. In einer polnischen und katholischen Familie gibt es an Heiligabend, daran führt kein Weg vorbei, Karpfen. Fleisch ist an diesem Tag tabu. Harter Tobak für meinen Vater. Dann, so gegen 23.00 Uhr, beginnt ein familieninternes Highlight. Mein Vater wandert vorfreudig zwischen Wohnzimmer und Küche, wärmt seine Kaumuskeln auf und malt sich aus, welche fleischlichen Genüsse er sich gleich ab Mitternacht wieder gönnen darf. Da fallen dann Sätze wie „Und jetzt gleich schön so eine rohe Polnische mit Senf“ gefolgt von einer Art Brunftgrollen.

In solchen Momenten denke ich mir dann: Es ist schön, wenn sich ein Mensch an den kleinen Dingen dermaßen erfreuen kann. Es ist schön, wenn man etwas von der polnischen Mentalität in sich trägt. Ich sage Danke, Mama und Papa. Ich sage Danke, liebe Polen. Ich sage „dziękuję“.

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Bildquelle: pexels.com | kaboompics