Ken braucht einen Bierbauch!
Von Melanie Wolfmeier
99-46-84. Beine bis unter die Ohrläppchen. Brüste im Umfang von Zwergplaneten. Platinblonde Haare, riesige Kuhaugen, zwei Tonnen Schminke.
Das ist Barbie. Im Grundschulalter die beste Freundin, ein paar Jahre später ein Albtraum aus Plastik. Ein Ideal, das nicht erreichbar ist (außer man heißt Lolita Richi). Und es ja auch nicht sein sollte. Weil: ungesund, völlig bescheuert und gegen die Aufgeklärtheit der weiblichen und männlichen Bevölkerung.
Seit ein paar Monaten gibt es aber eine neue Puppe, die Barbie gehörig in den Arsch tritt: Lammily. Normale Proportionen und Kleidung aus dem Store von nebenan – die bessere Barbie ist in ihrer Natürlichkeit perfekt. Nur eines fehlt noch: ein realistisches männliches Pendant.
Gegen überzogene Ideale
Nickolay Lamm hat während seines Studiums versucht, alle Ansprüche zu erfüllen. Er hat Wissen in sich hinein gestopft und darauf geachtet, auf seinem Waschbrettbauch jederzeit Käse reiben zu können. Am Ende hatte er seinen Abschluss – und fühlte sich völlig ausgelaugt. Als dann noch seine sportliche Cousine mit Jammereien über ihren muskulösen, „fetten“ Körper ankam, fand er, es sei an der Zeit, etwas an dem Barbiepuppendenken von heute zu drehen. Kurzerhand designete er eine neue Barbie, fernab der bisherigen Ideale, und bekam für seine Idee viel Zuspruch. 17.000 Vorbestellungen gab es, bevor seine Vorstellung eines kindgerechten Spielzeugs überhaupt in die Tat umgesetzt worden war.
„The foundation of Lammily is built on being true to yourself in a world that pressures you to conform to standards“, schreibt Lamm auf seiner Homepage über die Gedanken hinter seiner Erfindung, „I believe an entire world, with interactive resources, accessories, and clothes can be built to allow kids to find their own path.“ Und seine realistisch gestaltete Puppe kommt gut an. Wie gut, könnt ihr euch in dem Video ansehen:
Geheimratsecken und Bierbauch
Pickel, Cellulite und Hüftspeck zieren den Lammily-Prototypen. Gerade deshalb schätzen sie die Kids in dem Video so ein, dass sie in der Arbeitswelt als Pilotin, Schwimmerin oder Computerspezialistin unterwegs ist. Genau wie die älteren Schwestern oder Tanten. Auf die Frage, was denn der Beruf von Barbie sein könnte, lautet die Antwort: „Sie sieht nicht so aus als würde sie arbeiten.“ Höhö.
So schön es auch ist, dem blonden Püppchen mit der kompletten Douglas-Make-Up-Abteilung im Gesicht eine Konkurrenz vor die Nase zu setzen – wo bleibt die Überarbeitung von Ken? Von dem solariumgebräunten Lover, der je nach Outfit metrosexuell oder spornosexuell daher kommt? Der sollte doch auch angepasst und mit ein paar Extras ausgestattet werden. Mit anklebbarem Bart zum Beispiel. Oder einem Umschnall-Bierbauch. Oder mit Haaren auf dem Kopf, die man mit seinem fortschreitenden Alter auszupfen könnte. Es sollte sie geben: kleine Kens, schlacksige Kens. Damit sich nicht noch mehr Menschen wie zum Beispiel der brasilianische Flugbegleiter Rodrigo Alves mit Hilfe chirurgischer Messer zu einer lebenden Puppe umschnippeln lassen.
Falsches Selbstbild
Natürlich sehen nicht alle Männer aus wie Zach Galifianakis aus der Hangover-Reihe. Aber genauso wenig ist die Welt bevölkert von umherlaufenden Achilles-Duplikaten. Dennoch landen weiterhin Barbies und Kens in den Kinderzimmern und tragen dazu bei, ein falsches Bild über Körper und Aussehen zu verbreiten. Und dass Spielzeuge die Erwachsenen von morgen durchaus beeinflussen, ist nichts Neues.
2010 fand die britische Universität Sussex heraus, dass das Spielen mit Barbiepuppen das Auftreten von Essstörungen begünstigen kann. Ein Sprecher des Barbie-Herstellers Mattel meinte zu diesen Vorwürfen: „Barbie ist nicht nach einem menschlichem Maßstab hergestellt. Barbie erlaubt es Mädchen davon zu träumen, dass sie alles sein können, was sie wollen, wenn sie groß sind.“ (Also auch: arbeitslose Magersüchtige mit einer krankhaft narzisstischen Neigung.)
Besser wäre es doch, Kindern ein Vorbild in die Hand zu geben, dem sie tatsächlich nacheifern können – und das ein Bild von der Realität und nicht von einer rosadurchtränkten Plastikwelt vermittelt. Perfektes Aussehen ist eben nicht gleichzusetzen mit einem perfektem Partner. Und das kann man ruhig auch schon Kindern beibringen.