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„Bi ist kein dreckiges Wort!“

In ihrem am 16. Mai im Carl Hanser Verlag erschienenen Buch „Bi – Vielfältige Liebe entdecken“ widmet Dr. Julia Shaw dem Thema Bisexualität 304 Seiten, wie es nie zuvor jemand getan hat. Denn Bisexualität ist der Inbegriff von fehlender Repräsentanz – egal, ob auf dem Buchmarkt, in Serien, in Statements. Oder wusstet ihr, dass sogar Rosen bisexuell sind?

Julia mischt dabei wissenschaftliche Fakten mit persönlichen Erfahrungen. Dadurch wird die Lektüre äußerst spannend. Die Leserschaft lernt nicht nur, wer das Wort „Bisexualität“ prägte, sondern auch etwas über Kleins Raster der sexuellen Orientierung. Dieses challengt das Selbstbild der Leserschaft durch soziale Variablen, emotionale Vorlieben und sexuelle Fantasien. Auch können sexuelle Vorlieben und sexuelles Verhalten in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft variieren.

Sind wir also gar nicht so hetero- oder homosexuell wie wir von uns selbst immer dachten?

„Dieser Tunnelblick, der Heterosexualität als Sonne unseres sexuellen Universums zentriert, blendet zugleich die Erforschung anderer Sexualitäten aus“, so Dr. Shaw. Das Buch ist zudem angereichert mit Anekdoten anderer bisexueller Menschen und erzählt viel über die Herkunft und Grundlage von Prideveranstaltungen – Wissen, das man haben sollte, wenn es in den nächsten Wochen zu den CSD-Feierlichkeiten und vor allem zu -Demonstrationen geht. ZEITjUNG sprach mit der Bestsellerautorin („Das trügerische Gedächtnis“, „Böse. Die Psychologie unserer Abgründe“), die am 23. Mai um 19 Uhr einen Insta Live Talk mit Sven Lehmnn, dem Queer Beauftragten der Bundesregierung, macht.

Bisexualität ist in der LGBTQIA+-Szene stigmatisiert und viele bisexuelle Menschen sind damit konfrontiert, dass sie nicht als queer ernst genommen werden und ihnen unterstellt wird, sie seien in Wahrheit doch heterosexuell. Heterosexuelle Menschen nehmen die queere Neigung bisexueller Menschen ebenso wenig ernst. Für wen ist also das Buch wichtiger: Für bisexuelle Menschen selbst oder den ganzen Rest?

Sehr gute Frage! (lacht) Es ist vor allem für und von der Bi-Community, aber natürlich soll es auch für alle anderen sein. Denn alle Menschen kennen bestimmt jemanden, der oder die bisexuell ist. Viele Menschen haben auch diese Anziehung in sich selbst und haben sich vielleicht nur noch nicht die richtigen Fragen dazu gestellt und ich glaube, es kann allen Herzen und Augen öffnen. Und auch, wenn man am Ende entdeckt: „Ich bin nicht bisexuell! Ich bin tatsächlich monosexuell, ich bin lesbisch oder ich bin heterosexuell“ – das ist ja auch völlig in Ordnung, aber ich finde es wichtig, dass sich alle Menschen diese Fragen stellen, sich mit solchen Themen beschäftigen und diese Binarität zwischen „Homo“ und „Hetero“ zerstören.

Hattest du das Gefühl, dein wissenschaftlich geprägtes Feld nahm dein Coming-Out anders wahr als andere Kreise?

Ja, schon. Als Wissenschaftlerin kannte ich keine Wissenschaftler*innen, die sich selbst als bisexuell identifizierten oder zumindest gegenüber uns Student*innen out waren. Inzwischen mit Social Media ist es ein bisschen einfacher und es gibt auch mehr Visibilität, auch mit dem Hashtag #biinside. Wenn man darunter sucht, sieht man, dass es natürlich viele bisexuelle Menschen in der Wissenschaft gibt, aber dass diese bisher – oder meistens weiterhin – unsichtbar sind. Weil Wissenschaftler*innen sowieso schon desexualisiert werden (lacht) – es ist ein Kontrast mit der Hypersexualität, die oft vor allem mit einer bisexuellen Identität einhergeht. Das können nicht alle so gut verarbeiten – sie sollten es natürlich eigentlich tun. Aber es macht so ein bisschen Unordnung im Kopf.

Wenn man über Forscher nachdenkt, denkt man: Wissenschaftler*innen sind asexuell, auch meistens ältere Männer. Also, dass man eine Frau ist, ist schon außergewöhnlich. Nichtbinär wäre noch krasser. Und diese ganzen Stereotypen müssen wir durchbrechen! Das wurde mir ganz bewusst, als ich zu Interviews zu meinem letzten Buch coole Schuhe angezogen habe. Und ich habe so viele Trollnachrichten bekommen, die mir gesagt haben, ich solle diese Schuhe nicht mehr anziehen. Das war reiner Sexismus! Aber es ging darum, dass ich eine Wissenschaftlerin bin, die dem Stereotypen entsprechen soll. Wäre ich eine Schauspielerin, wäre es kein Problem. Und mit Bisexualität ist es genau dasselbe.

Übrigens werde ich diese Schuhe wieder anziehen! (Anmerkung der Redaktion: And she did.)

Nach dem Coming-In und -Out hat man oft das Gefühl eines „bin ich gay genug“. Du selbst erzählst im Buch von einem sehr unschönen Erlebnis in einer Lesbenbar – was rätst du, wie man mit diesem Gefühl umgehen könnte?

Du bist auf jeden Fall queer genug, egal, was für eine Art queer du bist. Ich werde auch oft gefragt: „Darf ich als bisexuelle Frau in lesbische Bars gehen oder zu einem Event, bei dem es um homosexuelle Frauen geht?“ Meine Antwort ist: „Wir müssen offen sein. Es gibt ganz viele Menschen, die questioning sind – ist das meine Identität, wer bin ich eigentlich.“ Dafür braucht man aber ein bisschen Platz, um das überhaupt zu entdecken, und dafür braucht es eine gewisse Offenheit der queeren Community, dass auch Menschen, die sich noch suchen, reingelassen werden. Und dass sie nicht draußen stehen bleiben. Das wäre doch schade! So verlieren wir so viele Menschen, die von der Community profitieren könnten und die sich auch wenn sie sich als heterosexuell gefunden haben, super Allys wären!

Auch bezüglich der Themen Rechte, Empathie und Humanisierung: In meinem zweiten Buch „Böse“ habe ich mich geoutet. Es gab ein langes Gespräch mit meinem Lektor, ob ich das überhaupt tun sollte, denn es ging darum, dass viele Menschen queere Menschen als „böse“ bezeichnen und mit ihnen unterschiedliche, schlimme Dinge tun. Und da habe ich gesagt: „Visibilität ist ganz wichtig.“ Denn wenn man sagt: „Ich kenne eine bisexuelle Person, mein Sohn ist schwul!“ – dann ist es viel schwerer, Straftaten gegenüber queeren Menschen zu begehen. Und das ist bei Communityevents auch so: Je offener die Tür ist, umso einfacher ist es, uns zu sehen, zu uns zu stehen und uns zu unterstützen als Community und unsere Menschenrechte nicht abzuschaffen.