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„Bi ist kein dreckiges Wort!“

Du bist in Köln geboren, in Kanada aufgewachsen, forscht derzeit als promovierte Rechtspsychologin am University College London. Siehst du regionale Unterschiede?

Kleinstadt/Großstadt macht einen Unterschied, das weiß ich aus der Forschung. Man nennt es „the great migration“: Als alle aus den Kleinstädten plötzlich zum Beispiel nach San Francisco gezogen sind, weil sie dort ihre ‚Community‘ fanden. Es ist immer noch so, dass queere Menschen oft in die Städte abwandern und hoffen, dass sie dort mehr Gleichgesinnte finden. Und das stimmt auch meistens. Aber bei mir ist natürlich der Unterschied auch, dass ich an ganz unterschiedlichen Lebensabschnitten in diesen unterschiedlichen Ländern gelebt habe.

Zum Beispiel durfte ich im Bachelor- und Masterstudium meine Identität nochmal entdecken, da war ich Anfang 20. Wir sehen diese Zeiten als identitätsformend an und da ist alles „erlaubt“, aber darum sieht man Bisexualität auch oft als „Phase“ an. Am Arbeitsplatz als junge Wissenschaftlerin war ich vor allem von vielen älteren Männern umgeben. Mein Komitee für meine Doktorarbeit bestand aus fünf Männern. Sie hatten auch viel zu sagen über das, was ich anhatte! Der Sexismus war durchgehend und natürlich habe ich ihnen nicht erzählt, dass ich bi bin. Ihre Gedanken waren eh schon nicht da, wo ich sie haben wollte! Und jetzt bin ich out, habe aber auch mehr Kraft. Es geht darum, wie viel Power man hat. Im Moment habe ich die Kraft, als Bi-Aktivistin in der Öffentlichkeit zu stehen, ohne dass mein Leben auseinander fällt und ich Konsequenzen am Arbeitsplatz erfahre – hoffentlich.

Und dann kann man – egal wo – etwas bewegen. Du hast gerade schon die Forschung erwähnt: Mit „Bi“ wolltest du dich gestützt auf ein solides geschichtliches und wissenschaftliches Fundament auf die Suche nach Repräsentation dieser sexuellen Orientierung in Politik und Popkultur machen. War dir direkt klar, dass du dafür den Masterstudiengang „Queer History“ am Goldsmiths College absolvieren würdest oder war der Wunsch vorher ohnehin schon da?

Es war nie so gedacht, wie es gekommen ist; aber ich glaube, das kann ich über viele Aspekte meines Lebens sagen. Ich wusste auch nicht, dass ich als junge Forscherin schon Bücher schreiben darf. Dass ich überhaupt Sachbücher schreibe, liegt daran, dass jemand einen winzigen Artikel über mich gelesen hat in einer Londoner Zeitung auf Seite 56 und mich dann treffen wollte – und das war eine Buchagentin. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen und genauso war es mit meinem Studium für „Queer History“. Diesen Studiengang gibt es ohnehin erst seit 2017. Ich habe zufälligerweise einen Podcast gehört, in dem einer der Professoren über seine eigene Forschung gesprochen hat. Ich war bereits am Schreiben und ich fand es sehr schwer, die Sprache zu lernen – die politische Sprache, aber auch die wissenschaftliche Forschungssprache, wie man überhaupt über Queerness spricht. Und deswegen habe ich mich entschieden, diesen Master zu machen. Ich bin gerne lebenslange Studentin. Ich unterrichte auch gerne, aber ich lerne noch lieber! Ich kann mir gut vorstellen, dass noch ein paar Master dazukommen!

Wow, viel Glück! Apropos Sprache: Du sprichst in deinem Buch die gesamte sexuelle Familie an, inklusive poly- und pansexuell. Wie stehst du zu all diesen Begriffen?

Wenn man eine Identität annimmt, muss das für einen selbst passen. Man muss es selbst wissen, wie man sich identifiziert – fluide, ohne Label. „Queer“ ist ein super populärer Begriff, weil das sehr umfassend ist. Aber es kommt einfach darauf an, wofür man das Label hat! Wenn ich zum Beispiel sage „ich bin queer“, hilft mir das nicht unbedingt, einen Partner oder eine Partnerin zu finden. Denn: „Was für eine Art von queer bist du?“ Wenn ich sage „bi“, hilft es mir. Es kann nur jeder selber wissen, wie er sich identifiziert. Aber ich würde raten: Bi ist auf jeden Fall kein dreckiges Wort! Benutzt es, es ist ein schönes Wort! Es ist nicht genderbinär. Und die Geschichte dahinter ist auch interessant und es gibt eine große Community und so findet man sich einfacher, wenn man so einen Oberbegriff benutzt.

Wir sprachen jetzt viel über alte, weiße Männer: Stimmt es, dass Männer sich schwerer tun, sich als bi zu outen?

Ja. Wir wissen auch durch Umfragen, dass nur halb so viele Männer, die sich als bi identifizieren, im Vergleich zu Frauen, die die Biidentität haben, sich bei Menschen, die ihnen wichtig sind, outen. Insgesamt ist das Outing sehr niedrig bei bisexuellen Menschen im Vergleich. Es ist also ohnehin schon niedrig und bei Männern noch einmal die Hälfte. Ein Grund dafür ist eine andere Art der Biphobie. Bei Frauen wird angenommen, dass wir sexuell fluide sind – „wir sind immer sexuell verfügbar, das ja sowieso, und eine Bifrau ist ja kein Problem, weil es ist immer noch ein Mann im Spiel.“ So die Pornofantasie! Das gilt natürlich bei Lesben auch, solange Männer zuschauen dürfen: „Lesbisch, aber nicht für mich.“ Aber bei Männern sieht es noch einmal anders aus, als bei dieser Hypersexualisierung und der Gefahr von sexualisierten Straftaten. Bei Männern geht es eher darum, dass man lügt. Die Annahme ist: Man sei eigentlich schwul, man traut es sich nur nicht zu sagen. Entweder lügt man sich selbst an oder die Community. „Sag doch einfach, du bist schwul!“ Und das ist eine andere Art der Biphobie. Hinzu kommen Männer, die bisexuelle Erfahrung gemacht haben, die aber nie diese Identität annehmen würden wegen maskulinen Identitätsnormen. „Vielleicht hatte ich schon einmal etwas mit einem anderen Mann, aber ich bin doch heterosexuell!“

Im Buch schreibe ich auch über Gefängnisse, ein homosozial strukturierter Ort – mit einer höheren Rate an homosexuellen Erfahrungen unter Menschen, die sich als heterosexuell identifizieren. Trotzdem sagen diese Menschen, die in diesen Situationen homosexuelle Akte begehen, „ich bin 100% heterosexuell“. Und das find ich super interessant, denn man muss ja im Gefängnis keinen Sex haben, es ist ja nicht nur Macht und Zwang. Man kann ja überlegen, vielleicht bin ich ja bi? Aber das lässt eine Version der Maskulinität nicht zu.

Und dann kommt noch das Gewicht der Geschichte der Achtziger und Neunziger hinzu: Die Stigmatisierung von Bimännern als Aidsbrücken: Die dreckige Brücke zwischen der dunklen Aidsunterwelt und der glänzenden, sauberen heterosexuellen Welt.

Dafür, dass die Medien suggeriert haben, wie „in“ es ist, bisexuell zu sein, gibt es erstaunlich wenig bisexuelle, fiktionale Figuren. Auch „The L Word“ schrieb jetzt erst ihrer langjährigen bisexuellen Hauptprotagonistin einen Boyfriend zu. Hast du eine Empfehlung für gute Repräsentanz?

Ursula K. Le Guin war eine Science-Fiction-Autorin und sie hat ganz viel mit Gender und Sexualität gespielt und es gibt einen Grund, warum ganz viele Bimenschen Science Fiction super finden, weil wir uns immer wieder darin als Protagonist*innen sehen. Es gibt aber auch die Kritik von Forscher*innen an der Science Fiction: „Bisexualität darf zwar in der Zukunft existieren, aber nicht in der Gegenwart.“ Es muss nicht erst irgendwann sein, jetzt wäre auch okay!

Es gibt auch ein paar Netflixserien – „The Politican“, „Crazy Ex-Girlfriend“ hat bisexuelle Figuren, darunter sogar einen Mann.

Momentan wirkt es, als wären queere Gesetzgebungen, vor allem in Amerika, rückläufig. Hast du das Gefühl, nun alles erreicht zu haben mit dem Prozess, der hinter dem Buch liegt? Oder beginnt jetzt eigentlich erst die Arbeit?

Ich wollte ja eigentlich nur egoistisch lernen – für mich selbst, für diesen Bereich – und dann wurde mir bewusst, wie privilegiert ich bin, dass ich in einem Land lebe, in dem mich Gesetze beschützen. Und trotzdem gibt es Diskriminierung und trotzdem habe ich schon negative Erfahrungen gemacht. Und das möchte ich nicht für die nächsten Generationen oder für mich selbst in der Zukunft.

Der Grund, warum ich dieses Buch geschrieben habe, ist, dass mir schon länger bewusst ist, wie fragil sexuelle Freiheit ist. Ich hab Angst, dass ich irgendwann in meinem Leben nicht diejenige sein kann, die ich bin, und dass ich dafür irgendwie ins Gefängnis muss oder es andere Konsequenzen gibt. Das wäre eine Schande für die Menschheit! Aber man sieht es ja, dass diese Rechte wieder rückgängig gemacht werden können. Und es ist nicht garantiert, dass es so bleibt, und wir müssen dafür kämpfen.

Das Gespräch zu Bi-Rechten haben wir noch gar nicht gehabt. Viele meinen: „Ach, Bisexualität, das passt ja zu Homosexualität, so halbschwul, halbstraight, die Mischung verstehe ich doch!“ Aber so ist es ja nicht wirklich. Bisexualität braucht seinen eigenen Platz und und mein Buch zeigt, warum

Julia Shaw: Bi. Vielfältige Liebe entdecken
Übersetzt aus dem Englischen von Sabine Reinhardus
304 Seiten; € 24,00 (D)
Carl Hanser Verlag, München

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