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BINGE, PLEASE! Warum es ein Festival für Serien braucht

Von Nikolaus Neuleder

Heute, wo das lineare Fernsehen gerne mal totgeschrieben wird, kann man sich das gar nicht mehr vorstellen, aber: Das Fernsehen war schon mal tot. Drei bis vier Sender gab es in den 70ern und frühen 80ern gerade mal (und nur die Älteren unter uns erinnern sich daran). Und wenn man damals Serien angeschaut hat, dann „Ein Colt für alle Fälle“, „Trio mit vier Fäusten“, „Raumschiff Enterprise“ oder die gerade aktuelle Weihnachtsserie, all das also, was TV-Nostalgiker auch heute noch gern aus der Schublade holen, wenn sie von der guten alten Zeit reden. Dass das mit dem, was wir heute unter einer guten Serie verstehen, nur wenig zu tun hat, konnte man ohne Glaskugel mit Blick in die Zukunft ja nicht ahnen. Oder, dass das Privatfernsehen mit überwiegend noch mehr prozeduralen Serien kommen würde. Bevor es irgendwann dann besser werden würde. In den USA.

 

Vom Network zum Social Network

 

Aber das hier soll kein Lobgesang auf die großen Ausnahmeserien werden, die mit determiniert haben, wo das Serienschaffen heute steht. Jeder hat von „Twin Peaks“ gehört, oder von den ersten HBO-Würfen „Oz – Hölle hinter Gittern“, „The Sopranos“, „Six Feet Under“ oder „The Wire“ (meist leider tatsächlich nur das: gehört – deutsche Ausstrahlungspolitik sei dank). Und ein paar haben sich nach jeder Folge des TV-neuzeitlichen Phänomens „Lost“ die Vormittage in Schule oder Büro mit wilden Theorien um die Ohren geschlagen. Wie viele verdammte Zeitlinien gibt es hier eigentlich? Wer oder was steht hinter den „Others“? Und welche geheimen Botschaften lassen sich im Standbildmodus aus dem Rauchmonster ablesen? So hat die wunderbare Welt der horizontalen Erzählweise irgendwann nach der Jahrtausendwende auch unser Sozialverhalten verändert. Serie war eben nicht mehr nur 17:20 auf der heimischen Couch, unterbrochen von TV-Werbung, Serie war plötzlich überall: Auf dem Laptop, in den sozialen Netzwerken und – „Game Of Thrones“ und „House Of Cards“ sei Dank -irgendwann sogar in der BILD.

 

John Snow ist tot

 

Und mit einem Mal greifen unsere überkommenen Vorstellungen und Begrifflichkeiten in Bezug auf Serien nicht mehr. Alle reden von Serien, aber kaum jemand redet über sie. Zumindest nicht in Deutschland, wo man für einen „Writers’ Room“, „horizontales Erzählen“ und „Showrunner“ gerne noch ein verständnisloses Achselzucken erntet. Wenn überhaupt, dann beschäftigt uns die Frage, ob Jon Snow tot ist, wie viele Stars sich diesmal nackig gemacht haben oder wer Bekanntschaft mit Negans Lucille machen durfte. Übrigens meist vor der offiziellen TV-Ausstrahlung, weil linear ja eigentlich tot ist, remember? Ein Like, ein Meme, ein kurzer Comment, das war’s.

 

Raus aus der Nische

 

Kann es aber eigentlich nicht gewesen sein! Zumindest dann nicht, wenn man sich das europäische Ausland besieht, wo es Serien mit eigenen Festivals schon längst zur eigenen Kunstform gebracht haben. Ob die „Séries Mania“ in Paris, „Série Series“ in Fontainebleau, „The Edinburgh International TV Festival“ oder das „Totally Serialized“ in London, ganz zu Schweigen von „MIPTV“ bzw. „MIPCOM“ in Cannes – überall in Europa haben sich Marktplätze für die derzeit vielleicht heißeste Handelsware TV-Serie ebenso ausgebildet, wie Foren zur Diskussion und Feier der neuen Kunstform selbst. Nur nicht bei uns. Immerhin: Deutsche Filmfestivals haben irgendwann die Nische entdeckt – sie aber auch wie eine solche behandelt. In Nebensektionen und ohne rechte programmatische Einbettung.

 

Just do it

 

Muttern hat in so einem Fall immer gesagt: „Hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott“. Oder anders: Wenn’s keiner macht, mach’s selbst. Deswegen haben ein paar Serienbegeisterte ohne jede Veranstaltungserfahrung aber mit gefühlt 1000 Serien im Kreuz beschlossen, dass es jetzt das SERIENCAMP geben muss. Ein internationales Festival für Serien und TV-Kultur, das auch in Deutschland eine Plattform für seriellen Austausch schafft und das interessierte Herumreisen in Europa und das neidvolle Schielen über die Grenzen möglicherweise obsolet werden lässt. Zumindest für andere. Weil dieser Entschluss für die „Showrunner“ des SERIENCAMP natürlich genau das bedeutet hat: Herumreisen in Europa, Abhängen in dunklen Screeningräumen, halb angefangene Serien, aufregende Piloten, deren Fortsetzung noch in den Sternen steht, immer wieder Gespräche mit Kreativen, Weltvertrieben und Produzenten und ab und an auch den Frust darüber, dass es zahlreiche herausragende Formate irgendwie nicht nach Deutschland schaffen. Wohlgemerkt: All das parallel zum gewohnten 24/7-Serienkonsum, weil man die neue Netflix/Prime/Sky/arte-Serie ja auch gerne noch gesehen hätte, um da den Anschluss nicht zu verlieren. Und weil Du für Serien auf der Kinoleinwand kein Geld nehmen willst oder darfst (Lizenzrechte!), musst Du Dir auch noch Partner und Sponsoren suchen. Und vergiss darüber bloß nicht den organisatorischen Rattenschwanz, den so eine mehrtägige Veranstaltung auch noch mit sich bringt.