„Brooms up!“ – Quidditch im Real Life

Die Augsburg Owls stehen den Three River Dragons Passau gegenüber. Auf der Mittellinie zwischen ihnen liegen in einer Reihe vier Bälle: drei Bludger, ein Quaffle. Jeder hat einen Broom neben sich, alle warten auf den Pfiff des Schiedsrichters. Das Team der Münchner Wolpertinger steht am Rand und beobachtet das Spiel genau, sie sind als nächstes dran. „Brooms up!“, hallt es über den Platz. Die Spieler auf dem Feld klemmen sich ihre Besen zwischen die Beine und fliegen stürmisch los. Es ist ein kalter Tag Mitte Januar, der Rasen ist stellenweise noch mit Schnee bedeckt, es schneit. Dass in den ersten Minuten mehrere Spieler ausrutschen, ist nicht verwunderlich.

Solche Bedingungen sind die Münchner Wolpertinger gewohnt, sie trainieren immer draußen, auch wenn ihnen der Schnee bis zu den Knien reicht. Selbst bei Temperaturen um den Gefrierpunkt kommen manche in kurzer Hose. „Wir sind alle nicht aus Zucker,“ sagt Kiana. Sie spielt selbst schon seit rund zwei Jahren Jahren Quidditch. Ein großer Harry Potter-Fan ist sie nicht, damit ist sie in ihrer Mannschaft nicht alleine. Angefangen hat sie mit dem Sport, um neue Leute kennenzulernen, geblieben ist sie, weil es für sie ein guter Ausgleich ist.

Es begann in 2005 an einem College in Vermont, USA: Dort gelang es Studenten, den Sport in eine Welt umzusetzen, in der Schwerkraft existiert und Besen nicht fliegen können. Vor einigen Jahren ist der Trend in Europa angekommen, mittlerweile gibt es eine ständig wachsende Community und 34 offizielle deutsche Mitgliedsvereine. Die Münchner Wolpertinger sind einer davon und treten heute gegen Augsburg und Passau an. Es ist das erste bayerische Ligaspiel des diesjährigen Quidditch-Saison.

Are you ready? Brooms up!

 

Was auf dem Spielfeld abgeht, ist schwer in Worte zu fassen. Quidditch wirkt auf Unbeteiligte wie ein heilloses Chaos, trotzdem scheint jeder ganz genau zu wissen, was zu tun ist. Jedes Team besteht aus drei Chasern, zwei Beatern und einem Keeper. Das Ziel der Chaser: den Quaffle durch einen der drei gegnerischen Ringe werfen. Das versucht der Keeper zu verhindern. Die Beater werfen mit den Bludgern die Gegner ab, wer getroffen wurde, muss vom Besen absteigen und darf erst aufsteigen und weiterspielen, wenn er einen seiner eigenen Tor-Ringe berührt hat.

 

 

„Wie fliegt ihr?“ ist die häufigste Frage, die die Spieler beantworten müssen. Da Zaubern außerhalb von Hogwarts verboten ist, wird der Nimbus 2000 schlicht durch ein graues PVC-Rohr ersetzt. Normale Besen wären einerseits zu schwer und unpraktisch, andererseits wäre die Verletzungsgefahr zu groß. Vorurteile oder blöde Kommentare bekommen sie wegen des Besens selten zu hören. „Manchmal vergesse ich auch, dass Quidditch für andere ein ungewöhnlicher Sport ist“, sagt Laura. Sie ist seit drei Jahren mit dabei, an den Besen gewöhnte sie sich schnell. „Es ist eben ein Handicap. Beim Basketball darfst du mit dem Ball in der Hand nur drei Schritte laufen, beim Quidditch musst du eben immer auf dem Besen sitzen.“ Ansonsten wäre der Sport nur halb so aufregend.

Keine Besen, keine Capes, dafür jede Menge Energie und Teamgeist. Die außenstehenden Spieler geben durcheinander Anweisungen und feuern ihre Spieler an: „We lost control!“, „Defense!“, „Good job, guys!“ Es ist ein Vollkontaktsport mit Elementen aus Handball, Völkerball und Rugby. Eine Schiene zum Schutz der Zähne ist Pflicht bei jedem Spiel. Doch längst nicht alles ist erlaubt: Getackelt werden darf zum Beispiel nur unterhalb des Brustbereichs, eine Augsburger Spielerin bekommt wegen „Dangerous Kicking“ die gelbe Karte. Wer keinen Körperkontakt mag, sollte Quidditch meiden.

Der Sport ist geprägt von Fairplay, das beweist auch die Gender Rule: Pro Team dürfen maximal vier Leute des gleichen Geschlechts auf dem Feld spielen. „Manche Mannschaften nutzen das schon aus“, erzählt Kiana. „Aber das ist sehr verpönt.“ Jeder darf demnach selbst bestimmen, als welches Geschlecht er spielt. Deshalb ist der Sport auch bei der LGBT+-Community beliebt. Doch beim ständigen Auswechseln der Spieler kommt es schon mal vor, dass die Teams den Überblick verlieren und die Gender Rule versehentlich missachten. Darauf folgt dann auch eine Strafkarte.

 

Ab der 17. Minute kommt der Snitcher ins Spiel. Er verkörpert den Snitch (dt.: Schnatz). n den Filmen von J. K. Rowling ist er eine kleine, blitzschnelle goldenen Kugel mit Flügeln. In der realen Welt ist der Snitch ein Tennisball in einer Art Socke und am hinteren Hosenbund des Snitchers mit Klettverschluss befestigt. Was zu erst ziemlich witzig und etwas fragwürdig aussieht, wird spätestens eine Minute später spannend: Dann kommt aus beiden Teams je ein Seeker ins Spiel. Wer den Snitch zu fassen bekommt, macht 30 Punkte für sein Team. Ein normales Tor bringt zehn.

Für die Münchner Wolpertinger ist Kaegan heute der Seeker. Er rennt und greift den Snitcher an, versucht geschickt um ihn herumzugreifen. Dabei wird er immer wieder von den Bludgern getroffen und muss zurück zu seinen Ringen. „Es wäre besser, wenn wir acht Augen und Ohren hätten“, lacht er später. Fällt er hin, steht er sofort wieder auf. Der Siegeswille steht ihm ins Gesicht geschrieben. Als er es nach längerem immer noch nicht geschafft hat, wird er gegen Rena eingewechselt. Dem gelingt es, den Snitch zu fangen und damit ist das Spiel vorbei. Jetzt entscheidet der Punktestand über Gewinner oder Verlierer.

Das erste Spiel gegen Passau haben die Münchner Wolpertinger schon gewonnen. Doch werden sie auch gegen Augsburg siegen? Für ein paar Sekunden herrscht Stille, die Schiedsrichter sprechen sich ab. Dann heißt es: München 180, Augsburg 60! Also gleich einen Doppelsieg am ersten Liga-Spieltag. Alle rennen auf das Spielfeld und umarmen sich, jedes Team feiert das andere. Und wenn es im Quidditch etwas Magisches gibt, dann ist es diese große Gemeinschaft.

 

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Bildquelle: Veronika Reinhold