Sziget Festival Budapest 2016

Das Sziget-Festival ist der schlimmste Ort der Welt – und der beste

Wenn man es sich einfach macht, kann man die Welt grob in „gut“ und „schlecht“ unterteilen. Ein Beispiel: Dinge, die mit Käse überbacken sind, sind gut. Dinge, auf denen „fettreduziert“ steht, sind schlecht. Festivals zählen dabei definitiv zur Kategorie „mit Käse überbacken“, denn hier gibts es kein reduziert, keine Light-Version. Will auch keiner. Die Beweggründe ein Festival zu besuchen sind – um noch einmal die Milchprodukt-Analogie zu bemühen – vergleichbar mit der Auswahl an Camembert in einem französischen Supermarkt. Vielfältig, aber am Ende ist doch alles der gleiche Käse. Man will endlich seinen Lieblingsmusiker live sehen, ein paar gute Tage mit seinen Freunden verbringen, neue Menschen kennenlernen, sich den Arm mit Festivalbändchen zukleistern und am Ende besäuft man sich und hat mehr vergessen, als andere in der gleichen Zeit erlebt haben. Fair enough.

 

Friede, Freude, Feierkuchen

 

Das Sziget-Festival auf einer der Budapester Donauinseln ist der Inbegriff all dessen, was man sich von einem Festival so erhofft. Große Künstler, riesiges Rahmenprogramm und gar nicht mal so lange Wartezeiten an den Toiletten. Die Stimmung ist ausgelassen, die Menschen haben eine gute Zeit, lassen sich gehen und genießen die Freiheit auf der selbst ernannten Island of Freedom. Der eingezäunten Insel der Freiheit. Es ist als beträte man plötzlich eine andere Welt: Einhörner, bunte Haare und Jungs in Sommerkleidern. Hier darf man sein, wie man mag und muss sich keinen Konventionen beugen, von denen ich dachte, sie seien ohnehin schon seit Jahrzehnten abgeschafft. Leider fühlt es sich weniger nach Freiheitsliebe als mehr nach Junggesellenabscheid an. Aber anscheinend braucht die Eskalationen zumindest einen Rahmen. Oder eben einen Zaun.

 

Stell dir vor es ist Sziget und alle gehen hin

 

Seit 1993 gibt es dieses Festival. Von Studenten in Eigenregie initiiert, mauserte es sich rasant zu dem größten Musikfestival in Mitteleuropa. 496.000 Besucher aus über 100 Ländern feiern eine Woche lang. Megagut. Es performen Künstler auf 50 Bühnen. Weltstars wie Rihanna, Muse und David Guetta geben sich die Klinke in die Hand. Auf ein Genre festlegen? Fehlanzeige. Hier gibt es alles für alle. Völlige Reizüberflutung. Dazu kommen Ted Talks, Yogastunden, ein Kunstareal, ein Strand, ein Sportbereich, ein Zirkus, Tattoostudios und sogar ein Postamt – Und eine H&M-Area, ein Rossmann und ein ALDI Pop-Up Store. Essen gibt es mehr, als die Schnapsleichen jemals kotzen können. Und so viel zu trinken, dass es sogar einem russischen Preisboxer schwindelig würde – 24/7. Die Stimmung ist trotzdem oder vielleicht gerade deshalb friedlich. Irgendwie klingt das jetzt alles ziemlich super, aber irgendwie ist es auch ziemlich schrecklich.

 

Plastic Planet

 

Das Sziget hat eine gespaltene Persönlichkeit und befindet sich irgendwo zwischen Friede, Freude, Freiheit und unkontrolliertem Konsum- und Verschwendungswahn. Es wird nicht nur rein menschlich eskaliert, sondern auf allen Ebenen. Bestes Beispiel: Der Müll. Es ist tatsächlich nicht so, als hätte man das Gefühl in einer riesigen Kloake unterwegs zu sein. Könnte man ja meinen bei einer halben Million Menschen. Es sind viele Helfer unterwegs, die den Müll aufsammeln. Sie tragen Warnwesten – und sind damit lustigerweise kaum von den anderen Festivalbesuchern zu unterscheiden. Wie auch immer. Wirft man allerdings um drei Uhr morgens einen Blick über die Wiese vor der Hauptbühne, könnte man meinen, Wasser könne seit neuestem einen neuen Aggregatzustand annehmen und nicht mehr nur als Regen, Hagel oder Schnee auf die Erde niederregnen. Sondern auch als Plastikbecher und Bierdosen. Als ich versuche, minimalste Schadensbegrenzung zu betreiben und den Barmann bitte, meinen benutzten Plastikbecher aufzufüllen, schaut der mich fragend an, nimmt den Becher, wirft ihn weg und füllt mir einen neuen auf. Ich schiebe es auf die Sprachbarriere, exe das Bier und zerknülle den Becher.

 

Halb Hippie, halb Konsum-Opfer

 

Ich bin nicht sicher, ob ich vielleicht einfach ein desillusionerter Teilzeit-Hippie bin, der sich falsche Hoffnungen gemacht hat. Aber wenn ich daran denke, dass eine Woche auf dem Festival schnell mal so viel kostet wie eine ungarische Krankenschwester im Monat verdient, wird mir ein bisschen schlecht. Das Sziget zehrt von seinem Image als „Insel der Freiheit“, aber für mich hat alles einen faden Beigeschmack. Das Rahmenprogramm ist zwar enorm und alternativ, aber irgendwie fehlt mir die Liebe. Es wirkt aufgesetzt. Die Frewilligen an den NGO-Ständen lächeln eher gequält. Sie hatten sich mehr Zulauf erhofft. Junge, lokale Designer bieten ihre liebevoll handgemachten Waren an. Kleidung, Schmuck, Accessoires. Daneben lustige Hüte, Pferdemasken und Plastikspritzpistolen – Made in: vermutlich keinem der 100 Länder, aus denen die Festivalbesucher kommen.

 

Einsicht und so.

 

Vielleicht sollte ich einfach einsehen, dass solch ein Großereignis gar nicht existieren kann ohne den Konsum, ohne die Sponsoren. Einsehen, dass ich falsche Vorstellungen hatte. Einsehen, dass es trotzdem ein großartiges Event ist. Einsehen, dass das Bier für deutsche Verhältnisse immer noch recht günstig ist. Ja, Bier hilft. Hippie sein und Überzeugungen haben ist anstrengend. In der Zwischenzeit auf der Main-Stage: Manu Chao holt mit seiner Band das letzte aus sich raus, ruft: „Let the Refugees pass“ und die Menge eskaliert. Zwei Tage später kommt David Guetta, drückt aufs Knöpfchen, ruft: „Whoopwhoop“ und die Menge eskaliert. Ich mache mit. Schon klar, alles der gleiche Käse.

ZEITjUNG goes #Sziget2016! #welcomeislandoffreedom

Ein von ZEITjUNG.de (@zeitjung) gepostetes Foto am

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Bildquelle: Titelfoto: Mudra László, Rockstar Photographers