Heteropessimismus

Eine Idee Liebe: Dating nach Langzeitbeziehungen

Die romantische Liebe ist zum Kitt unserer Paarbeziehungen geworden. Dass sie der Kitt zweier Menschenleben ist, ist dabei eine noch recht junge Erfindung. Seitdem hat sich viel getan. In dieser Kolumne beschäftigen sich unsere zwei Autorinnen Lena und Rahel mit dem Ursprung der romantischen Liebe. Wo kommt sie her, wo will sie hin? Ist die Liebe zwischen Swipe links und Swipe rechts nur noch ein Produkt der Liebesökonomie?

Zugegeben, für mich war der Dating-Dschungel für die Zeit meines Studiums ein großer Spielplatz. Die Welt war groß, das Leben war schön und Menschen in Bars kennenzulernen fiel mir nie schwer. Warum auch? In das Datingleben wächst man schließlich einfach so herein – dachte ich. Man kommt in die Pubertät. Jungs sind plötzlich nicht mehr doof und irgendwann kommt der Tag, an dem man versteht, welch einen großen Einfluss der richtige Blick zum richtigen Zeitpunkt auf den Verlauf des Abends haben kann.

Naja, und nach ein paar Monaten oder Jahren des Ausprobierens und Erforschens steht er dann da: Prinz Charming. Er riecht ein bisschen zu gut nach Axe-Deo und man will unbedingt mit ihm zusammen sein. „Der ist es!“ Da ist dein Teenagerhirn sich sicher.

Natürlich ist er es meistens nicht und das unerfahrene Herz macht spätestens drei Monate später die ersten Erfahrungen mit Liebeskummer. Dumm gelaufen! Doch es wird besser und nachdem man schon fast beschlossen hat, dass eine Altbauwohnung und fünf Katzen auch ein ganz schöner Lebensentwurf sein könnten, schafft es Amor schließlich doch, zwei Menschen für mehr als die obligatorischen sechs Monate zu verbinden.

Hallo Liebe!

So oder so ähnlich werden wohl die meisten von uns ihre ersten Datingerfahrungen gemacht haben. Das ist ja auch das Schöne daran, dass man sich häufig mit Menschen ähnlichen Alters umgibt: Man erlebt viele neue Dinge zur gleichen Zeit. Es ist wie eine Epidemie, die um sich greift. Der erste Kuss, das erste Mal Sex, der erste Freund, das erste Mal Liebeskummer. Dann die erste Langzeitbeziehung, die erste gemeinsame Wohnung, der erste Streit über die Farbe der Gardinen.

Doch was, wenn diese Beziehung eben nicht das ganze Leben lang hält und man anstatt mit 80 gemeinsam auf der Hollywoodschaukel, mit 46 allein im Umzugswagen oder mit 35 verlassen im Hotelzimmer sitzt? Aus der Traum von heiler Kleinfamilie.

Und während um einen herum alle Häuser abbezahlen oder einen Bootsführerschein machen, steht man in einer Bar am Tresen und fragt sich: „Wie ging das nochmal mit dem daten? Will ich das überhaupt und was sind meine Ansprüche an eine*n neue*n Partner*in?“

Wie datet man nach Langzeitbeziehungen?

… und wie findet man für so ein Thema Interviewpartner*innen, wenn man selbst mit Mitte 20 arg verliebt in seiner 2,5 Zimmerwohnung hockt?

Wie sich herausstellte, ist die Antwort auf diese Fragen, ein und dieselbe. Im (erweiterten) Freundeskreis! Ein kurzer Anruf und die Aussicht auf eine gute Tasse Kaffee reichten aus, um Henrik am Nachmittag in unsere Wohnung zu locken. Wenn der Arme gewusst hätte, dass er mir für die nächste Stunde Rede und Antwort zu seinem Datingleben stehen muss, hätte er sich das sicher auch nochmal anders überlegt.

So aber saßen wir in der Frühlingssonne am Küchentisch und ich fiel gleich mit der Tür ins Haus. „Du sag mal, wie ist das eigentlich so mit Mitte 40 auf Tinder?“ Henrik hob seinen Blick und schaute mich über den Tassenrand hinweg an. „Was soll das denn heißen? Meinst du, dass es so anders ist als mit Mitte 20?“ „Weiß ich nicht, ist es?“ „Du kannst echt nerven!“ Henrik lacht und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. „Vielleicht fangen wir lieber vorne an. Dating unterscheidet sich heute schon sehr von früher. Wenn ich zurückdenke, muss ich schon fast lachen“, er grinst und schüttelt den Kopf. „Ich sah meine spätere Frau damals in einem Geschäft in der Kleinstadt. Sie jobbte dort neben dem Studium. Irgendwie schaffte ich es, völlig ungeschickt, mich mit ihr zu verabreden. Rückblickend war das definitiv ein Zufallserfolg. Vermutlich weil wir beide noch sehr jung waren. Es war gefühlt die Zeit von „willst du mit mir gehen – ja, nein vielleicht“. Einmal zusammen war irgendwie klar, dass wir monogam zusammen alt werden wollen.“ Sofort flogen vor meinem inneren Auge sepiafarbene Bilder von unter der Schulbank durchgeschobenen Zetteln und Dates vor der Eisdiele vorbei. Ein bisschen zu kitschig, um wahr zu sein.