„Die Angst vor dem Altern sitzt tief“

Venkatraman Ramakrishnan, Nobelpreisträger für Chemie, beschäftigt sich mit den biochemischen Prozessen, die unser Altern beeinflussen. Trotz seiner Forschung hat der 72-jährige Strukturbiologe keinen radikal anderen Lebensstil angenommen. „Die drei Dinge, die am effektivsten dem Altern entgegenwirken, sind eine gesunde Ernährung, viel Bewegung und ausreichend Schlaf“, sagt er im Interview mit der FAZ. Diese Grundlagen versuche er umzusetzen – nicht immer perfekt: „Ich habe eine Schwäche für Desserts.“ Doch er betont, wie wichtig es sei, regelmäßig seine Werte für Diabetes, Cholesterin und Bluthochdruck zu überprüfen und soziale Kontakte zu pflegen. Isolation ist laut dem Wissenschaftler ein unterschätzter Faktor beim Altern.

Wie alt können wir wirklich werden?

Die Frage nach der maximalen Lebensspanne beantwortet Ramakrishnan nüchtern. „Das Maximum unserer Lebensspanne liegt wahrscheinlich bei etwa 120 Jahren, vielleicht sogar nur bei 110.“ Die Französin Jeanne Calment, die bis zu ihrem Tod 1997 122 Jahre alt wurde, sei ein Ausnahmefall. Seitdem habe niemand mehr dieses Alter erreicht. Gleichzeitig relativiert er den Mythos des immer längeren Lebens: „Jüngste demographische Studien zeigen, dass trotz aller Fortschritte in der Medizin die Zunahme der durchschnittlichen Lebenserwartung langsamer wird und sogar stagniert.“

Was geschieht auf Zellebene?

Ramakrishnan, dessen Forschung sich auf Ribosomen – die „Protein-Fabriken“ unserer Zellen – konzentriert, erklärt, dass Alterung auf molekularer Ebene beginnt. „Damit die Zellen funktionieren, müssen Gene abgelesen und aus den Informationen Proteine gebildet werden. Für die Produktion von Proteinen ist das Ribosom zuständig. Eigentlich ist der Vorgang genau reguliert, doch die zelleigenen Qualitätskontrollen versagen im Alter.“ Dieser schleichende Funktionsverlust betreffe alle Moleküle, Zellen und schließlich die Organe. „Im Laufe unseres Lebens verlieren wir ständig Zellen, ohne es überhaupt zu merken“, so der Forscher. Dennoch funktioniere der Körper weiter, bis ein kritisches System wie Herz oder Gehirn ausfalle.

Der Hype um Anti-Aging und die Rolle von Rapamycin

In den letzten Jahren ist die Forschung rund um Langlebigkeit förmlich explodiert. Ramakrishnan zeigt sich jedoch skeptisch gegenüber dem Enthusiasmus mancher Wissenschaftler: „Ich beobachte die Alternsforschung schon lange, es gibt viele spannende Entwicklungen. Aber es gibt auch eine enorme Menge an Hype.“ Viele Bücher und Studien seien von persönlichen Interessen geprägt, etwa zur Bewerbung von Firmen oder Produkten. Er wolle dagegen einen objektiven Blick bieten.

Ein zentraler Punkt in der Debatte ist das Medikament Rapamycin. „Es wurde zufällig entdeckt, als Forscher nach Antibiotika suchten“, erläutert Ramakrishnan. Gefunden wurde der Wirkstoff im Boden der Osterinsel, wo er zunächst als Mittel gegen Pilze diente. Später habe sich herausgestellt, dass Rapamycin ein Immunsuppressivum ist. Es hemmt den sogenannten Tor-Signalweg, der aktiviert wird, wenn der Körper weniger Nährstoffe erhält. Dadurch werden defekte Proteine entsorgt, während die Neubildung verlangsamt wird – Mechanismen, die das Altern positiv beeinflussen können.

Nebenwirkungen und Grenzen der Anti-Aging-Strategien

Die Möglichkeiten, die Rapamycin bietet, stehen jedoch Nebenwirkungen gegenüber. „Es hat tatsächlich viele Nebenwirkungen“, räumt Ramakrishnan ein. Als Immunsuppressivum macht es den Körper anfälliger für Infektionen. Zwar sei es denkbar, dass niedrigere Dosen positive Effekte hätten, doch dies sei bisher nicht bewiesen. Eine weitere Option ist die Kalorienrestriktion, die ähnliche Mechanismen wie Rapamycin aktiviert. Doch diese Methode ist schwer praktikabel: „Wenn man dauerhaft weniger Kalorien zu sich nimmt, als man braucht, hat man allerdings ständig Hunger. Man friert schneller, ist anfälliger für Infektionen, und Wunden verheilen schlechter.“

Ramakrishnan hebt hervor, dass jede Strategie sorgfältig abgewogen werden müsse. Das gelte insbesondere für gesunde Menschen, die über Jahrzehnte Medikamente einnehmen möchten, um ein längeres Leben zu erreichen. Die Abwägung von Risiken und Nutzen sei hierbei entscheidend.

Was treibt uns an, das Altern aufzuhalten?

„Die Angst vor dem Altern sitzt tief in uns Menschen“, erklärt der Wissenschaftler. Besonders reiche Investoren investieren enorme Summen in die Forschung, weil sie auf lebensverlängernde Ergebnisse hoffen. Doch Ramakrishnan warnt: Manche Methoden, wie die Kryokonservierung – das Einfrieren von Körpern nach dem Tod – sind reine Illusion. Andere, wie die Hemmung von Enzymen, könnten Nebenwirkungen wie ein erhöhtes Krebsrisiko verursachen. Er plädiert für einen verantwortungsvollen Umgang mit diesen Technologien.

Was bringt die Zukunft?

Obwohl die Mechanismen des Alterns komplex sind, sieht der Nobelpreisträger in den nächsten Jahrzehnten Fortschritte in der Alternsforschung. „Es würde mich nicht überraschen, wenn wir in den nächsten 10 bis 20 Jahren Wirkstoffe finden, die spezifische Aspekte des Alterns verbessern.“ Doch er bleibt realistisch: Eine einzelne „Pille gegen das Altern“ sei unwahrscheinlich. Vielmehr könnten kombinierte Ansätze helfen, die Gesundheit zu fördern.

Gesellschaftliche und ethische Fragen

Ramakrishnan warnt vor den gesellschaftlichen Folgen einer verlängerten Lebensspanne. „Es könnte ein Ungleichgewicht zwischen den Alten und den Jungen schaffen, denn die Alten würden viel länger Macht und Vermögen anhäufen.“ Zudem könnten solche Behandlungen exklusiv Wohlhabenden vorbehalten bleiben. Bereits jetzt leben reiche Menschen länger als arme. Er fordert, dass Regierungen klare Regeln für neue Technologien entwickeln. „Solche Entscheidungen sollten nicht von einzelnen Wissenschaftlern getroffen werden.“

Die FAZ zitiert ihn abschließend: „Fragt man die meisten Anti-Aging-Forscher, so sagen sie, dass es ihnen nicht darum geht, das Leben zu verlängern, sondern gesünder zu machen.“ Ramakrishnan bleibt jedoch skeptisch, ob man das eine ohne das andere erreichen könne.

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Bild: Pexels; CC0-Lizenz