Dorian-Gray-Syndrom: Die krankhafte Angst vorm Älterwerden

Wer Oscar Wildes Meisterwerk „Das Bildnis des Dorian Gray“ gelesen hat, ahnt sofort, was hinter dem sogenannten Dorian-Gray-Syndrom steckt: die Angst vor dem Altern sowie der Drang, unbedingt jung und fit zu bleiben.

Wahrscheinlich könnte kaum jemand von sich behaupten, dem optischen Alterungsprozess nicht mit einer gewissen Abneigung zu begegnen. Schließlich würden sich wohl die wenigsten von uns vom Gedanken an Falten, graue Haare (oder noch schlimmer: Haarausfall) und schlaffe Haut überhaupt nicht einschüchtern lassen. Der möglichst lange Erhalt der Jugend wird stets als erstrebenswert dargestellt. Nicht umsonst haben Anti-Falten-Cremes, Shapewear und Fitnessstudios schließlich derart viele Abnehmer*innen. Wir alle altern mit dem Druck, eigentlich nicht altern zu dürfen.

Insbesondere von Frauen wird erwartet, dass sie zumindest noch jung aussehen – wenn sie es auch nicht mehr sind. Wenn jemand für eine Personenbeschreibung die Worte „junge Frau“ wählt, geschieht das häufig nicht ohne Wertung und bezieht sich nicht allein auf das Alter als neutrales Merkmal: Es ist ein Lob, ein Kompliment, eine „junge Frau“ zu sein, oder optisch so zu wirken. Die Konnotation ist positiv. Eine „junge Frau“ zu sein ist besser als eine ältere Frau zu sein. Kein Wunder also, dass vor allem Frauen sich unter Druck gesetzt fühlen.

Das Dorian-Gray-Syndrom geht jedoch über diese „normale“ Abneigung gegen den äußerlichen Alterungsprozess hinaus. Ebenso wie in Oscar Wildes Roman beschreibt es eine regelrechte Besessenheit mit dem äußeren Erscheinungsbild, insbesondere dem Festhalten an Jugend und Schönheit.

Ursprünge und Merkmale

Das Dorian-Gray-Syndrom ist keine offiziell anerkannte psychische Störung, aber es manifestiert sich in einer Reihe von Verhaltensweisen und Einstellungen, die auf eine ungesunde Besessenheit mit dem eigenen Aussehen hindeuten. Personen, die unter diesem Syndrom leiden, sind oft extrem besorgt über den Alterungsprozess und greifen zu drastischen Maßnahmen, um jung auszusehen. Dies kann exzessive Kosmetik, plastische Chirurgie, strenge Diäten und exzessive sportliche Aktivitäten umfassen.

Die Verbreitung sozialer Medien wirkt dem Dorian-Gray-Syndrom sicher nicht unbedingt entgegen. Plattformen wie Instagram und TikTok fördern ein Idealbild von Schönheit und Jugend, das oft unerreichbar und unrealistisch ist. Die ständige Präsentation von bearbeiteten und gefilterten Bildern kann bei einigen Menschen zu einem verzerrten Selbstbild und zu einem Druck führen, diesem Ideal nachzueifern.

Psychologische Auswirkungen

Psychologisch gesehen kann das Dorian-Gray-Syndrom zu einer Vielzahl von Problemen führen, darunter geringes Selbstwertgefühl, Angstzustände und Depressionen. Die Betroffenen können eine obsessive Beschäftigung mit ihrem Aussehen entwickeln, die ihr soziales und berufliches Leben beeinträchtigt. In extremen Fällen kann dies zu einer Dysmorphophobie führen, einer Störung, bei der eine Person besessen von einem eingebildeten Defekt in ihrem Aussehen ist.

Die Behandlung des Dorian-Gray-Syndroms erfordert oft einen multidisziplinären Ansatz. Psychotherapie, insbesondere kognitive Verhaltenstherapie, kann dabei helfen, die zugrunde liegenden Ursachen der Obsession zu verstehen und zu behandeln. In manchen Fällen kann auch eine medikamentöse Behandlung angezeigt sein.

Letztendlich ist das Dorian-Gray-Syndrom ein Spiegelbild unserer Zeit, in der äußere Erscheinung und Jugendlichkeit überbewertet werden. Während das Streben nach Schönheit an sich nicht schädlich ist, wird es problematisch, wenn es obsessive Formen annimmt. Es ist wichtig, ein gesundes Gleichgewicht zwischen Selbstpflege und Akzeptanz des natürlichen Alterungsprozesses zu finden. In einer Welt, die zunehmend von Oberflächlichkeit geprägt ist, ist die wahre Herausforderung, innere Werte und Authentizität zu fördern.

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Bildquelle: Andrea Piacquadio via Pexels; CC0-Lizenz