Du bist nicht „zu beschäftigt“, du bist nur ein Schwindler!
Ich selbst sage es ständig. Zu mir und seufzend zu anderen: „Ich hab grad viel zu wenig Zeit, sorry. Ich hab’s echt nicht mehr geschafft, noch [bitte irgendwas hier einfügen] zu machen.“ Meistens trifft das meine Überweisungen, Zahnseide benutzen, Spanisch lernen oder den Anruf bei jemandem, der am Telefon einfach nur zwei Stunden durch redet, ohne mal zu fragen „Und, wie geht’s dir so?“. Manchmal zelebriere ich meinen Stress auch – ja, ich aale mich regelrecht in meinem Weltbild des übermäßigen Beschäftigtseins.
Aber, Hand auf’s Herz: Es gibt einen massiven Unterschied zwischen tatsächlicher Aktivität und Performance. Ich bin in wirklich vielem effizient – aber in sehr wenigem wirklich effektiv. Es beginnt morgens: Wenn ich aufwache, könnte ich einfach mal unmittelbar aufstehen. Stattdessen checke ich 15 Minuten lang erst mal alle News auf Facebook, meine abonnierten Nachrichtenseiten und Instagram. Blick auf die Uhr – Katastrophe! Ich schlappe unter die Dusche und beschließe, heute ist ein guter Tag für einen Lidstrich. Der kostet mich wiederum zehn Minuten, zehn Wattestäbchen und jede Menge „VERDAMMT NOCHMAL!“.
Schlussendlich ist es jedem völlig wumpe, dass ich mich geschminkt habe. Nochmal fünf Minuten für das perfekte Lied zum Fahrradfahren raussuchen, dann in der halben Zeit mit hochrotem Kopf in die Arbeit düsen. Dort fällt mir ein, ich hätte eigentlich das Postpaket zum Reklamieren mitnehmen wollen und außerdem liegt mein Akkuladekabel noch auf dem Nachttisch. „Oh je, ich war aber auch busy heute morgen!“ Mein Blutdruck bewegt sich zwischen verdammt hoch und kurz vor dem Herzinfarkt. Ich bin kein Fan von übermäßiger Selbstoptimierung, aber ich merke, dass mich mein Verhalten in einem Teufelskreis hält. Wir ernten, was wir sähen – aber nur wenn wir auch dran denken, die Samen vorher einzupflanzen.
Schuld ist das Gehirn
Habt ihr auch schon einmal ein neues Projekt gestartet und dann auf einmal bemerkt, wie viele andere identische Projekte existieren? Das kann der Kauf des neuen iPhones sein oder das Anschaffen eines Hundewelpen. Plötzlich fällt euch auf, wie viele andere Menschen etwas ähnliches oder dasselbe haben. Und das liegt nicht daran, dass auf einmal mehr Menschen dein iPhone oder deine Hunderasse besitzen – es liegt daran, dass dein ARAS (Aufsteigendes retikuläres Aktivierungssystem) im Gehirn ab diesem Zeitpunkt aktiv arbeitet. Ich erspare euch biologische Details – kurz: Nervenerregungen, die unseren Cortex wecken – es bedeutet, dass ein automatischer Mechanismus in deinem Gehirn kommandiert, auf was du deine Aufmerksamkeit lenken sollst und auf was nicht.
Es funktioniert wie ein Filter für die Wahrnehmung. Ein fader Ausdruck für ein spannendes Phänomen: der Torwächter unserer bewussten und unbewussten Gedankenströme. Eines der besten Beispiele ist der sogenannte Roger Bannister-Effekt. Kleiner Ausflug: Roger Bannister war ein britischer Läufer, der berühmt wurde, weil es ihm 1954 als erstem Menschen gelang, eine Meile unter 4 Minuten zu laufen – dies galt zu diesem Zeitpunkt als absolut unmöglich. Knapp ein Jahr nach seinem Rekord schaffte es über ein Dutzend weiterer Läufer die vier Minuten zu brechen, inklusive regulärer Highschool Studenten.