Eine Idee Liebe: ist Selbstliebe die Lösung?

Die romantische Liebe ist zum Kitt unserer Paarbeziehungen geworden. Dass sie der Kitt zweier Menschenleben ist, ist dabei eine noch recht junge Erfindung. Seitdem hat sich viel getan. In dieser Kolumne beschäftigen sich unsere zwei Autorinnen Lena und Rahel mit dem Ursprung der romantischen Liebe. Wo kommt sie her, wo will sie hin? Ist die Liebe zwischen Swipe links und Swipe rechts nur noch ein Produkt der Liebesökonomie?

Marie sitzt im Schneidersitz auf ihrem Stuhl und umklammert mit zwei Händen eine große, warme Tasse Tee. Wir sprechen über Beziehungen. Marie ist hin- und hergerissen. Sie hat neulich einen netten Typen kennengelernt und obwohl sie ihn mag, weist sie seine Annäherungsversuche vehement zurück. Als ich nach dem Grund frage, sagt sie: „Bevor ich mich auf eine Beziehung einlasse, muss ich mich erst selbst um einige Baustellen kümmern.“ Mir steckt ein Kloß in Form eines Abers im Hals. Muss man erst gänzlich ohne Fehler sein, damit man bereit für eine Beziehung ist?

Natürlich muss man für eine Beziehung grundsätzlich erst einmal bereit sein. Doch bei meiner Freundin hört sich das nach einer Ideologie an, der ich nicht so recht folgen kann. Denn es ist doch sehr unwahrscheinlich, dass man sich selbst jemals als fertige Person erscheint, ohne jegliche Problemzonen. Womöglich gibt es immer etwas, an dem man sich stört und, dass es zu verbessern gilt. Am Ende läuft man Gefahr, dargebotene Chancen und eine womöglich gute und lehrreiche Zeit zu verpassen. Als ich ihr das sage, nickt Marie verhalten, zuckt dann mit den Schultern. „Ich habe das Gefühl, dass ich mich selbst nicht genug liebe, mit mir noch nicht im Reinen bin. Wie kann ich das dann von jemand anderem erwarten?“ fragt sie mich.

Muss man sich erst selbst lieben, bevor man jemand anderen lieben kann?

Wenn es nach dem Philosophen Erich Fromm ginge, dann lautete die Antwort Ja. Denn wer sich liebt und mit sich zufrieden ist, geht auch mit seinen Mitmenschen liebevoller um, so die Theorie. Andererseits kann ein geringes Selbstwertgefühl emotionale Abhängigkeit begünstigen. Betroffene sind immer wieder auf die Bestätigung ihres Partners angewiesen. Deshalb lautet von vielen Seiten der Rat: „Sei erst mit dir selbst im Reinen, bevor du dich auf jemand anderen einlässt.“ Die Angst davor, die eigenen Probleme und Altlasten mit in die neue Beziehung zu nehmen, ist groß. Aber ist diese Angst gerechtfertigt und ist diese Art der Selbstliebe nicht wieder eine weitere schwer zu erreichende Utopie?

Vermutlich kommt es darauf an, wie man Selbstliebe definiert. Schließlich beschreibt sie den Versuch, die eigene Person in ein schöneres Licht zu rücken. Das Ziel dabei ist, sich selbst mit all seinen Fehlern zu akzeptieren und trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen zu lieben. So, wie man eben ist. Der Begriff Selbstliebe meint in seiner Bedeutung so viel wie Selbstannahme oder Selbstakzeptanz. Denn es geht keineswegs darum, sich alles schön zu reden, als viel mehr darum, es zu akzeptieren und damit zu leben. Sie hat demnach nichts mit Narzissmus oder gar der Selbstsucht zu tun. Sie appelliert einfach für einen guten Umgang mit sich selbst. Und genau hier schleicht sich der Irrtum ein. Wenn Marie darüber spricht, dass sie mit sich unzufrieden ist, weil sie noch einige Baustellen hat, verfehlt sie die wahre Bedeutung.

Liebe ist nicht perfekt und du musst es auch nicht sein  

Die Prämisse, dass man erst ein vollkommener Mensch sein muss, um sich auf jemand anderen einlassen zu können, schlägt gerade in der Liebe fehl. Denn nichts ist so unperfekt, so unvollkommen wie die Liebe. Und wer hat gesagt, dass man alle Probleme allein bewältigen muss, wenn man zusammen doch sehr viel stärker ist? Wächst man nicht gerade im Kontakt zu anderen Menschen? Persönlichkeiten bestehen nur im Zusammenhang zu ihrer Umwelt, zu ihren Mitmenschen. Sie spiegeln wider, wer wir sind. Und wir sind angewiesen auf diese Reflexion von außen, um auf das zerbrochene Glas unserer selbst blicken zu können. Jeden Blick, den wir auf uns selbst werfen, ist unscharf. Wir sind uns selbst viel zu nah, sodass jeder Austausch mit dem eigenen Spiegelbild weitsichtiger nicht sein kann.

Und vielleicht liebt man sich als Person ein bisschen mehr, wenn man merkt, dass dem anderen die Macken, die einen selbst so sehr stören, gar nicht auffallen, er sie vielleicht sogar als sympathisch ansieht. Denn wenn ein anderer Mensch es vermag, dich vollkommen zu lieben und zwar mit allem, was dazugehört, dann wächst daraus die Hoffnung, dass dir das selbst eines Tages vielleicht auch einmal gelingt. Letztendlich ist, eine Beziehung einzugehen, immer auch ein Wagnis, ein Sprung ins Ungewisse. Meine Freundin wagte den Sprung und jetzt sind sie seit zwei Jahren ein Paar.

Mehr von EineIdeeLiebe:

Folge ZEITjUNG auf FacebookTwitter und Instagram!

Foto von Wallace Felipe von Pexels; CC0-Lizenz