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Eine Liebeserklärung an: Hannah Gadsby

Es sind die kleinen Dinge, die uns unseren tristen Alltag versüßen und das Leben ein bisschen besser machen. Ob es hübsche Gänseblümchen sind, die am Straßenrand wachsen oder eine Kugel deiner liebsten Eissorte – wir alle haben kleine Muntermacher in unserem Alltag, über die wir nur selten ein Wort verlieren. Das soll sich jetzt ändern! Wir bieten euch eine Liebeserklärung an die kleinen Dinge, die uns in stressigen Situationen retten, an schleppenden Tagen motivieren oder uns die guten Tage versüßen!

 

Achtung: Dieser Text enthält Spoiler!

 

Wenn ich etwas mag, dann sind es Leute, die Tabus brechen. Denn Tabus habe ich noch nie verstanden. Wer legt fest, was erlaubt ist und was nicht? Oder was normal ist und was nicht? Im Büro trägt man Anzug, man ist auf der Suche nach einer Beziehung, man arbeitet, man putzt, man sagt nicht ehrlich, wie es einem geht. Wer ist überhaupt dieser „man“, wenn wir doch alle einen Namen haben? Viel zu viel wird einfach hingenommen und viel zu wenig hinterfragt.

Und deshalb feiere ich Hannah Gadsby. Ja, genau die, deren Name seit kurzem immer und immer wieder in unseren Netflix-Vorschlägen auftaucht. Neulich habe ich diesem unbekannten Namen eine Chance gegeben, um nicht zum zehnten Mal „New Girl“ zu schauen, nur weil die Serie jedes Mal hält, was sie verspricht. Ich habe etwas Neues gewagt und wurde mit Lachen, Weinen, tiefgehenden Gedanken und vor allem Begeisterung belohnt. Begeisterung für eine Frau mit kurzen Haaren, Nickelbrille und Jackett, die sich mit der Geschichte über sich und ihre Homosexualität auf eine Bühne stellt.

 

Comedy als Überlebenstechnik

 

Die australische Comedian verwandelt mit ihrem Programm „Nanette“ von der Gesellschaft enttäuschte in herzhaft lachende Gesichter und bricht Herzen, um sie danach wieder mit ihrer wundervollen Art zu kitten und zu erwärmen. Alles, was Hannah erzählt, ist von Belangen und stellt damit jedes Comedy-Programm, in dem zwar vielleicht kritisiert, aber vor allem unterhalten wird, in den Schatten der Belanglosigkeit. Sie erzählt davon, wie es ist, in ihrer Heimat Tasmanien festzustellen, dass man lesbisch ist, und dort damit zu leben. Die Reaktion ihrer Mutter: „Immerhin bist du keine Mörderin.“ Schnell wird klar, warum Hannah heute das macht, was sie macht, denn der Weg des Witzes war der einzig mögliche: „Das war kein Hobby für mich, es war eine Überlebenstechnik.“

Aber auch die Situationen von heute, in die sie immer wieder gerät, gewinnen mir erst ein Lachen ab und dann Fassungslosigkeit. Hannah nutzt die Komik des Alltags für sich. Das ist nichts Neues, das ist Stand-Up-Comedy, aber in ihrer schönsten Form. Es ist diese Art von Witzen, über die wir lachen, weil wir wissen, dass sie nicht nur Witz, sondern viel mehr auch Realität sind. Diese Art von Witzen, bei denen uns die Tränen kommen, die nie ausschließlich aus Freude bestehen. Diese Art von Witzen, die erst ein automatisches Lachen und dann einen ganzen Gedankensturm auslösen. Zum Beispiel kann sich Hannah nicht mit den lauten Paraden und schrillen Farben der Regenbogenflagge identifizieren. Natürlich gibt es auch in der LGBTQ-Community Menschen, die eben nicht laut Party machen wollen. Darüber habe ich aber vorher nie nachgedacht. Dass ihre Geschichten eine Stunde füllen, ist wohl schon Aussage allein.

 

Schluss mit der Comedy

 

Doch nach etwa der Hälfte der Show sagt Hannah, dass sie ihre Karriere beenden möchte. Das Publikum schweigt. Sie hat die Regeln der Comedy satt. Sie ist von all dem müde, das die erste Hälfte ihrer Show ausgemacht hat. Und erklärt, dass sie mit jedem Witz „eine unfassbar prägende Erfahrung als Trauma eingefroren“ hat. In jeder Show rüttelt sie die Erinnerungen wieder auf. Sie sagt, sie könne nur als dicke Lesbe auf einer Bühne stehen, wenn sie eben jene Witze über dicke Lesben mache.

Dieser Cut nimmt Stand-Up-Comedy den Boden. Und gleichzeitig den Zwang, lustig sein und unbedingt unterhalten zu müssen. So wie es auf den meisten Bühnen, auf denen sich ein Comedian halbherzig Witze über Männer und Frauen aus dem Ärmel schüttelt, der Fall ist. Dieser Cut stellt alles infrage. Denn laut Hannah fehle bei Witzen das Ende der Geschichte. Doch das möchte sie jetzt endlich erzählen.

 

Es darf auch mal zwicken

 

Und dann erzählt sie den einen Witz, dessen Pointe sie sich ausgedacht hat. Weil das wahre Ende nicht zum Lachen ist. Der Mann, der dachte, Hannah sei ein Mann und baggere seine Freundin an, beende die Situation eben nicht mit „Tut mir leid, ich schlage keine Frauen“, sondern schlug nach den Worten „Ich hab’s kapiert. Du bist ein weiblicher Homo. Ich darf dir die Scheiße aus dem Leib prügeln“ auf Hannah ein. Doch sie schwieg, weil sie dachte, sie hätte es verdient.

Daraufhin lacht keiner. Die 40-jährige Australierin bricht mit so vielen Tabus auf einmal, dass wir uns verwirrt und geschockt nicht mehr rühren können. Aber genau das braucht unsere Gesellschaft. Ein Comedy-Programm darf schocken und verwirren. Es darf kratzen und zwicken. Es darf unserer Situation den Schleier aus Optimismus, Idealisierung und Instagram-Filtern nehmen und stattdessen zumindest einmal für eine Stunde die Realität so zeigen wie sie ist.

 

Hocker, Wasserglas und Mikro

 

Mehr braucht Hannah nicht. Alles andere stünde der Wahrheit im Weg. Es geht nicht darum, tolle Geschichten mit kreativen Pointen zu schmücken, um sich dann im tosenden Applaus zu suhlen. Hannah Gadsby sagt, wie es wirklich ist, egal, wie viele Menschen da vor ihr sitzen. Und füllt damit größere Hallen denn je.

Wenn ich etwas mag, dann sind es Leute, die mit Tabus brechen. Denn damit halten sie uns den Spiegel vor, in dem wir erst entdecken, welche Tabus es noch zu brechen gibt. Wer legt fest, was erlaubt ist und was nicht? Wer legt fest, wie Comedy auszusehen hat? Wer legt fest, welche Sexualität normal ist und welche nicht? Hannah verlässt nach jedem Auftritt aufgelöst die Bühne und viele Menschen klappen nach einem Netflix-Abend mit ihr aufgelöst ihren Laptop zu. Und das ist nichts schlechtes. Danke Hannah!

 

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Bildquelle: Screenshot YouTube